Der Standort ist noch ausbaufähig
- Written by Redaktion
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Ereignisreich, herausfordernd, lehrreich – so könnte man die vergangenen 20 Jahre aus Sicht des Wirtschaftsstandortes Österreich umschreiben. Um die Talfahrt des Standortes zu stoppen, braucht es neue Ideen, Kraft und vor allem Mut zu echten Reformen. Ein Gastkommentar von Georg Kapsch, Präsident der Industriellenvereinigung
Die Wirtschafts- und Finanzkrise des Jahres 2008 war der Beginn einer Reihe an Herausforderungen für Politik, Finanz- und Realwirtschaft, die uns noch heute beschäftigen. Wirklich entscheidend ist aber der dritte, eingangs erwähnte, Punkt: die Lehren, die wir aus den Entwicklungen der vergangenen Jahre gezogen haben oder noch ziehen müssen. Eine davon ist, dass ein starker industrieller Sektor als stabilisierender Faktor in Krisenzeiten entscheidend ist. Österreichs Industrie hat ihre Stärke, ihre Rolle als Motor für Wachstum und Beschäftigung in unserem Land unter Beweis gestellt. Aktuell erwirtschaftet der servoindustrielle Sektor eine Wertschöpfung von über 130 Mrd. Euro, beschäftigt rund 1,92 Mio. Menschen und zahlt fast 72 Mrd. Euro an Löhnen und Lohnnebenkosten an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Unser Land beherbergt mit Stand 2015 rund 170 sogenannte »Hidden Champions« – österreichische Unternehmen, die auf ihrem Gebiet international führend bzw. Weltmarktführer sind. Österreichs Industrie muss den internationalen Vergleich daher nicht scheuen, im Gegenteil.
Sinkende Tendenz bei Standortqualität und Wettbewerbsfähigkeit
Internationale Wettbewerbsrankings bescheinigen hingegen dem Wirtschaftsstandort eine sinkende Tendenz bei Qualität und Wettbewerbsfähigkeit. Viele Rahmenbedingungen stellen große Herausforderungen für die Unternehmen dar und haben zu einer hartnäckigen Investitionszurückhaltung geführt. Steuerliche Maßnahmen, hohe Arbeitszusatzkosten, eine überbordende Bürokratie sowie ein restriktives Unternehmens- und Arbeitsrecht wirken als Bremsen für Konjunktur und Arbeitsmarkt. Debatten über kontraproduktive Maßnahmen wie etwa die jüngst wieder aufgebrachte Wertschöpfungsabgabe und Arbeitszeitverkürzung tragen ihren Teil zu Verunsicherung und Vertrauensverlust in den Standort bei. Dem Ziel einer Reindustrialisierung Österreichs steht so etwas diametral entgegen.
Österreich braucht neue Ideen
Österreich braucht neue Ideen, Kraft und vor allem Mut zu echten, tiefgreifenden strukturellen Reformen. Der politische Neustart der Bundesregierung bietet die wohl letzte Möglichkeit dazu. Tatsächlich befindet sich der Industrie- und Arbeitsstandort Österreich an einem Wendepunkt. Der europäische Vergleich zeigt deutlich, dass unsere Investitions- und Wachstumsschwäche genau wie unsere negative Arbeitsmarkentwicklung hausgemacht ist. Folgerichtig hat Österreich allein es in der Hand, die Trendumkehr zu schaffen. Was es dafür aus Sicht der Industrie bräuchte, ist hinlänglich bekannt: Senkung von Steuern, Abgaben und Lohnnebenkosten, Modernisierung des Arbeitsrechts, Deregulierung im staatlichen Bereich, Entbürokratisierungsmaßnahmen für Unternehmen, Energiepolitik mit Innovation statt Subvention – insbesondere auch auf europäischer Ebene –, Wiederbelebung des Kapitalmarktes, um nur einige Punkte zu nennen.
Und wir brauchen mehr Mut und Durchsetzungskraft, um Mindset und Strukturen fit für die Realitäten des digitalen Wandels – Stichwort Digitalisierung – zu machen. Denn jener Wandel hat die vergangenen 20 Jahre wohl am meisten geprägt und wird auch die Zukunft prägen. Damit richtig umzugehen, sich der Veränderung zu stellen und sie anzunehmen, wird daher eine der zentralen Herausforderungen für Österreichs Industrie, Politik und auch für seine Gesellschaft sein.