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\"DieDer Handel mit Herkunftsnachweisen von Strom

versteht sich als ­langfristiger Beitrag zur Energiewende. Gleichzeitig hofft die Branche auf neue, lukrative Geschäftsmodelle.

Von Raimund Lang

Es ist eine der strapaziertesten Wahrheiten der Elektrizitätswirtschaft, dass Strom kein Mascherl hat. Damit ist gemeint, dass sich die aus dem Netz entnommenen Energiemengen nicht mehr dem Ort ihrer Produktion zuordnen lassen. Das folgt aus der Physik: Alle Elektronen sind qualitativ identisch. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn zumindest als abstraktes Handelsgut ist die konkrete Herkunft einer gegebenen Menge Strom ein Produkt, das sich zunehmender Beliebtheit erfreut. Dafür hat der Markt neben dem physikalischen und damit an Kupferleitungen gebundenen Elektronenfluss ein neues, frei handelbares Produkt geschaffen: der Herkunftsnachweis. Beide Produkte können völlig unabhängig voneinander an verschiedene, auch geografisch dislozierte Kunden geliefert werden. Gefragt sind in erster Linie Herkunftsnachweise von Ökoanlagen, wie Wasser- oder Windkraftwerken. Theoretisch erhalten Konsumenten dadurch die Möglichkeit, den Erzeugungsmix ihres Stroms weitgehend selbst zu bestimmen


>> Hohe Nachfrage <<

»Strom aus erneuerbaren Energiequellen wird von Kunden immer mehr nachgefragt. Leider gibt es in Österreich nicht genug Produktionskapazitäten, um den Bedarf zu decken«, sagt Christian Wojta, Geschäftsführer der EnergieAllianz, der gemeinsamen Vertriebsgesellschaft von EVN, Wien Energie, BEWAG und BEGAS. »Mittels Zukauf von Herkunftsnachweisen können wir unseren Kunden trotzdem sauberen Strom anbieten.« Standardisiert sind diese Marktprozesse durch das Normensystem EECS (European Energy Certificate System). Darin ist beispielsweise festgelegt, welche Kenngrößen ein Herkunftsnachweis enthalten muss. In EECS sind das unter anderem eine eindeutige Kraftwerksnummer, die Energiequelle, die Produktionsperiode und das Ausstellungsdatum. Praktisch funktioniert es so, dass jeder Stromerzeuger seine Ökostromanlagen bei seiner zuständigen Landesstelle, dem sogenannten »Issuing Body« registrieren lassen muss. In Österreich übernimmt die E-Control diese Aufgabe. Danach erhalten Stromproduzenten pro Megawattstunde erzeugten Stroms einen Herkunftsnachweis ausgestellt, der in einer internationalen Datenbank auf ihrem Konto verbucht wird. Die Nachweise können dann zur Kennzeichnung der eigenen Stromprodukte verwendet oder frei auf dem Strommarkt verkauft werden. Bei einem Marktpreis von zwischen ein und vier Euro pro Zertifikat ist Letzteres die bevorzugte Variante. Stromerzeuger generieren auf diese Weise also einen zusätzlichen Profit für ihr Unternehmen. Stromhändler wie die EAA können Zertifikate einkaufen und auf diese Weise den Anteil an Ökostrom in ihrem Produktmix erhöhen. Umgekehrt dürfen die Stromerzeuger ihren real produzierten Strom in Menge der verkauften Zertifikate nicht mehr als »öko« vertreiben.

>> Geschäft mit Herkunftsnachweisen <<

Damit das System funktioniert, muss jeder Herkunftsnachweis nach Gebrauch entwertet werden. Insbesondere soll das EECS-Regelwerk sicherstellen, dass Zertifikate nicht doppelt vergeben werden. Das würde die Statistik verfälschen und mehr Ökostrom auf dem europäischen Markt ausweisen, als tatsächlich vorhanden ist. Werden Nachweise nicht verwendet, verfällt ihre Gültigkeit nach einem Jahr automatisch. Transparenz versprechen sich Befürworter des Systems vor allem davon, dass es auf der Erneuerbare-Energien-Richtlinie 2009/28/EG des europäischen Parlamentes und des Rates basiert. Damit unterscheidet es sich vom Vorgängersystem RECS (Renewable Energy Certificate System), das auf freiwilliger Basis von privaten Unternehmen organisiert wurde. In Österreich werden RECS-Nachweise nicht mehr anerkannt und sollen auch auf europäischer Ebene sukzessive von EECS verdrängt werden. Derzeit sind 18 europäische Staaten am EECS beteiligt. Vorreiter beim Handel mit Ursprungszertifikaten ist Norwegen, das 95 Prozent seines Stroms aus heimischer Wasserkraft produziert und damit über ein gewaltiges Reservoir an Ökozertifikaten verfügt. Mehr als die Hälfte aller gehandelten Herkunftsnachweise kommt aus Norwegen, fast ein Viertel aus Schweden. Der Handel mit Stromherkunftsnachweisen ist in Europa seit dem Jahr 2001 möglich. Bisher fristete er jedoch eher ein Schattendasein. Vor allem zwei Faktoren könnten das jetzt ändern. Zum einen müssen Stromlieferanten auf der Jahresabrechnung ihren Strommix nach Erzeugungsarten aufschlüsseln. Importanteile, für die kein Herkunftsnachweis erbracht werden kann, werden als »Strom unbekannter Herkunft« ausgewiesen. Dahinter versteckt sich jedoch meist Atomstrom oder zumindest solcher aus fossilen Kraftwerken. Umweltbewusste Verbraucher sind damit zunehmend unzufrieden. Gleichzeitig wächst in einigen Ländern wie Deutschland oder Österreich seit dem Reaktorunfall in Fukushima der Widerstand gegen Atomstrom. Stromlieferanten wie die EAA sehen hier die Chance, mithilfe von Herkunftsnachweisen saubere Alternativen anbieten zu können. »Wir planen, in Zukunft maßgeschneiderte Produkte anzubieten«, sagt Christian Wojta. Viele Varianten sind hier denkbar. Etwa ein Stromprodukt ausschließlich aus Wasserkraft, ausschließlich aus Windkraft oder eine Kombination aus beiden. Vielleicht auch in Verbindung mit Kraft-Wärme-Kopplung und Solarstrom.

>> Verbote gefordert <<

Umweltorganisationen geht EECS dennoch nicht weit genug. Denn kurzfristig hat das System keinen Einfluss auf die Menge an produziertem Ökostrom. Ein EECS-Herkunftszertifikat garantiert dem Endkunden ja lediglich, dass irgendwo in Europa eine Megawattstunde sauberer Strom erzeugt wurde. Irgendwo anders darf die gleiche Menge physikalischer Strom jedoch nicht mehr als Ökostrom verkauft werden. In Summe bleibt die Menge an erzeugtem Ökostrom europaweit also dieselbe. »Wir fordern das gesetzliche Verbot, Strom aus unbekannter Herkunft zu verkaufen«, sagt deshalb Reinhard Uhrig von Global 2000. »Energieversorger müssten dann auch für den bisher nicht ausgewiesenen Strom Herkunftsnachweise zukaufen.« Ab 2015 soll zudem verboten werden, dass der Anteil einer über Herkunftsnachweise zugekauften Stromerzeugungstechnologie höher ist als der real im Verkaufsland erzeugte Anteil. Das würde verhindern, dass sich die Energieversorger mit billigen Zertifikaten von fossilen Kraftwerken eindecken. Für Christian Wojta ist das System der Herkunftsnachweise dennoch auch in seiner jetzigen Form ein wesentlicher Bestandteil der Energiewende. »Es bietet Produzenten einen langfristigen Anreiz, in den Bau von Kraftwerken auf Basis erneuerbarer Energieträger zu investieren«, meint er. »Weil sie sehen, dass man mit dem Verkauf von Herkunftsnachweisen zusätzliches Geld verdienen kann.«

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