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»Gebot der Stunde«

\"JosefTrotz des massiven Ausbaus der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien sieht Josef Reisel, seit Jänner Geschäftsführer des Technologiekonzerns Alstom in Österreich, die Notwendigkeit eines breiten Strommixes in Europa.

(+) plus: Allerorts wird die Energiewende in Richtung erneuerbarer, sauberer Stromgewinnung über Windkraft, Biomasse und Solarenergie propagiert. Wie sehen Sie die Zukunft der Erneuerbaren?

Josef Reisel: Österreich hat aufgrund seiner Topologie eine gute Marktposition, die wir aber noch ausbauen könnten. Die Wasserkraftwerke in Österreich bergen vielerorts ein großes Verbesserungspotenzial. So sind einige Anlagen mittlerweile 30 bis 40 Jahre alt. Durch eine Modernisierung von Anlagenkomponenten wie zum Beispiel Generator, Turbine, Einlaufbauwerk und Leittechnik, kann eine deutliche Wirkungsgradverbesserung erzielt werden. Gerade bei bestehenden Pumpspeicherkraftwerken mit Ober- und Unterspeicher gibt es die Möglichkeit, größere Maschinen zu installieren, um die Standorte effizienter zu betreiben.

Wir würden uns hier eine proaktive Unterstützung für die Umsetzung von Projekten und die Abwicklung innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens durch die Behörden wünschen. Viele Projekte verzögern sich aufgrund von endlosen Diskussionen um Restwassermengen, Wegerechte und ausufernde Parteistellungen über Jahre hinweg.

Zudem sind auch Übertragungsnetze nötig, um den Strom von den Erzeugern zu den Konsumenten zu bringen. Das Fehlen des 380-kV-Teilstückes der Salzburgleitung bedeutet immer noch eine große Lücke im österreichischen Übertragungsring.

Gerade bei der Einbindung der Erneuerbaren gilt es nun, solche Projekte auch europaweit unter einem neuen Blickwinkel zu sehen – eine große Herausforderung für alle Beteiligten. Besonders der Ausbau von Windkraft und Photovoltaik in Deutschland erfordert nun ein entsprechendes Backup – damit nicht das Licht ausgeht, wenn einmal nicht der Wind bläst oder die Sonne scheint.Pumpspeicherkraftwerke übernehmen diese Rolle und werden es in der Zukunft verstärkt tun. Österreichs Energieversorgungsunternehmen haben längst die Zeichen der Zeit erkannt. Sie entwickeln Projekte, um der Forderung nach Energiespeicherung nachzukommen und dem Schlagwort »Grüne Batterie Europas« gerecht zu werden.

(+) plus: Welche Rolle spielen heute noch die thermischen Energieerzeugungsanlagen?

Reisel: Fossile Energieträger werden weiterhin eine wichtige Säule des Energiemixes darstellen. Sie stellen unabhängig von äußeren Einflüssen wie Tageszeiten oder Wetter Ausgleichsenergie zur Verfügung. Neuere Anlagen zeichnen sich zudem durch einen wesentlich besseren Wirkungsgrad und damit auch eine höhere Wirtschaftlichkeit aus. Der Ersatz von  älteren thermischen Anlagen durch hocheffiziente Anlagen mit besten Wirkungsgraden bringt dabei ein CO2-Einsparungspotenzial und bessere Brennstoffnutzung.

(+) plus: In welchen Bereichen bewegen sich die Wirkungsgrade bei Kraftwerken?

Reisel: Kohlekraftwerke werden heute in Westeuropa mit rund 38 Prozent Wirkungsgrad betrieben, bei neuen, mit Steinkohle befeuerten Anlagen können Wirkungsgrade von bis zu 46 Prozent erzielt werden. Gaskombikraftwerke werden heute mit Wirkungsgraden von 59 Prozent gebaut. Die Entwicklung geht jedoch weiter. Einige Anlagenhersteller, darunter auch Alstom, haben vor kurzem neue Gasturbinen auf den Markt gebracht. Unsere Gasturbinenanlage KA26, die in der letzten Zeit am Prüfstand Birr in der Schweiz entwickelt wurde, wird eine Leistung von 500 MW bei einem Wirkungsgrad von 61 Prozent erreichen. Die Entwicklung ist extrem aufwendig, zeigt jedoch, welches Potenzial noch in den Anlagen steckt.

(+) plus: Während für Stromgewinnung aus Gas nicht zuletzt auch durch den angekündigten Atomausstieg Deutschlands wieder goldene Zeiten angebrochen sind, scheint es für Kohlekraftwerke langfristig kaum Zukunft zu geben – zumindest nicht in Österreich.

Reisel: Kohle ist in Österreich leider negativ besetzt. Die Regierung hat ja entschieden, dieses Kapitel zu schließen. Bei den chemischen Verbrennungsvorgängen von  Kohle wird im Vergleich zu Gas doppelt so viel CO2 produziert. Die Industrie wird nun in den nächsten Jahren versuchen, CO2  abzuscheiden und zu speichern. Auch Alstom forscht und entwickelt dazu Lösungen – derzeit laufen bei uns Pilotprojekte, um verschiedene Technologien auszutesten. Dies kann etwa eine besonders hohe Verbrennungstemperatur sein oder das Kühlen und Auswaschen von CO2, welches dann speicherbar wird. In Österreich wird eine CO2-Speicherung in den kommenden sechs Jahren aufgrund fehlender Langzeiterfahrungen gesetzlich aber nicht erlaubt sein. In Deutschland ist die Situation ähnlich.

Prinzipiell aber ist weiterhin ein Mix an unterschiedlichen Energiegewinnungsformen  interessant und die Unabhängigkeit von einzelnen Technologien wichtig. Wenn Europa den Weg in Richtung erneuerbarer Energie gehen will, benötigen wir trotzdem Diversifikation.

In manchen Ländern in Südosteuropa ist das Image von Kohle ja noch intakt. Kohle ist schließlich nahezu unbegrenzt verfügbar und herkömmliches Gas ist möglicherweise auch ein zu edler Rohstoff, um ihn in größerem Maße für die Stromgewinnung zu verwenden. Geeignete Kohlevergasungsanlagen für einen Teil der Energiegrunderzeugung dagegen könnten bei den herrschenden Vorkommen auf Jahrzehnte hinaus strategisch betrieben werden.

In Südosteuropa bedeuten Braunkohleprojekte noch Zigtausend Arbeitsplätze und werden aus Prestigegründen geführt, um von Energielieferungen Dritter unabhängig zu werden. Mit möglichen Wirkungsgraden von 43 Prozent bei Braunkohle und 46 Prozent bei Steinkohle sind auch dort neue Anlagen eine große Herausforderung. Alstom hat hier zuletzt bei einem 600-MW-Braunkohleprojekt in Slowenien eine internationale Förderbank überzeugen können, trotz der herrschenden CO2-Diskussion aus nationalem Interesse in diese Anlage zu investieren.

(+) plus: Gerade die Stromerzeugung aus Kohle ist mit allfälligen Klimaschutzabkommen und dem Handel mit Emissionsrechten stark verknüpft.

Reisel: Letztendlich bleibt der wirtschaftliche Betrieb von Kohleanlagen weiterhin abhängig von den Preisen für CO2-Zertifikate. Ändern sich hier die Parameter, so verändern sich auch die Szenarien für die Stromproduktion. Auch die Kohlekraftwerke in Österreich werden in den nächsten Jahren einen Modernisierungsbedarf haben, um weiterhin wirtschaftlich betrieben werden zu können. Eine zusätzliche Nutzung könnte sich durch Co-Firing mit Biomasse ergeben. Auch hier muss freilich die Gesamtbilanz der einzelnen Prozesse in der Energieerzeugung betrachtet werden. So macht es wenig Sinn, wenn in Europa Biomassekraftwerke mit Pellets befeuert werden, die per Schiff aus Kanada angeliefert werden.

>> Zur Person:

Dipl.-Ing. Josef Reisel studierte Maschinenbau mit Schwerpunkt Verbrennungstechnik und ist seit 2000 im thermischen Anlagenbau bei Alstom tätig. Seit Anfang des Jahres ist Reisel Geschäftsführer der Alstom Austria GmbH. Das Unternehmen ist in Österreich mit den Sektoren Renewable Power, Thermal Power, Grid und Transport vertreten und beschäftigt derzeit rund 120 Mitarbeiter.

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