Kriminell gut
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Krimistar Veit Heinichen und sein Commissario unterwegs in geheimer Mission. In ihrer spannenden Wahlheimat Triest spüren sie Verbrechen, die besten Caffès und Trattorien auf – fast schon kriminell gut.
Von Werner Ringhofer
Man stürmt in das Caffè, ruft im Gehen Begrüßung und Bestellung. Während man die Münzen auf den Tresen klimpern lässt, rührt man schon den Zucker in der Tasse um und stürzt den Kaffee hinunter. Ciao, basta. Der Koffeinspiegel stimmt wieder. Kaffeetrinken läuft hier temperamentvoll ab.
Der Tatort: Triest, Wahlheimat des deutschen Krimistars Veit Heinichen und seines berühmten Fernseh-Commissarios Proteo Laurenti, der natürlich leidenschaftlich Kaffee trinkt. Nicht immer in den gleichen Caffès, die Auswahl ist groß. Innerhalb weniger Straßenzüge reiht sich ein Koffeintempel an den anderen. Und in keiner anderen Stadt Italiens fließt das schwarze Gold aus den Bäuchen der Espressomaschinen in schönerem Ambiente, nirgendwo trinkt man so guten Kaffee, wie das englische Wirtschaftsmagazin The Economist feststellte. Was zu hitzigen Diskussionen in Neapel geführt hat. Auch in Venedig oder Genua werden wohl geballte Fäuste erzürnt auf die Kaffeetische gesaust sein.
Egal. Im Vergleich zu Skandinavien kann Italien ohnehin einpacken. Der Kaffeekonsum ist dort statistisch bewiesen nicht zu überbieten. Vielleicht weil die Kommissare im Norden die regenverhangene Tristesse ständig mit Kaffee hinunterspülen müssen. Die italienische Trinkkultur unterscheidet sich von der skandinavischen aber ganz wesentlich. Bei unseren Nachbarn wird vor allem Espresso genossen, jährlich fünf Kilo pro Kopf. In Triest trinkt man fast das Doppelte, 1.500 Tassen pro Jahr.
Die beste Bar
Flippig, modern wie die Bar Rex, gediegen mit Holz, Stuck und Luster wie das Torinese oder original im Jugendstilambiente wie das San Marco – Triest bietet für jeden Geschmack etwas. Wo man seinen Kaffee trinkt, ist Glaubensfrage. Die Vielfalt ist so berauschend wie die feinen Weine in der Gran Malabar an der Piazza San Giovanni. Sie ist stetiger Anlaufpunkt für Heinichen und seinen Commissario, auch Starwinzer Angelo Gaja feiert die Weltpremiere seiner neuen Kreationen gerne in der Malabar. Selbst die New York Times schreibt über diese Enoteca mit ihren 60.000 Schätzen im Keller. Natürlich gibt es hier auch ganz ausgezeichneten Kaffee. Spaßige Grimassen und launige Wortspenden von Barista Walter Cusmich werden frei Haus mitgeliefert.
Caffès in Triest sind Weltklasse. Die Numero Uno unter ihnen? Wohl das San Marco. Milde Lichtströme fließen durch die hohen Fenster und den Sesseln sieht man an, dass sie seit Jahrzenten von Kaffeesüchtigen abgewetzt wurden. 1914 wurde das San Marco gegründet und es ist das einzige Caffè, das jegliche Modernisierungswut unbeschadet überstanden hat. Früher war es Zuflucht für die verbotene italienische Presse, im Hinterzimmer gab es Passfälscher, die jungen Triestinern, die nicht in den Krieg ziehen wollten, Dokumente ausstellten. Heute sieht man Schachspieler, einer liest mit einer überdimensionalen Lupe Zeitung, Studenten pauken. Schon immer war Triest auch Anziehungspunkt für Literaten wie James Joyce, Italo Svevo, Umberto Saba und Fulvio Tomizza. Im San Marco ist ein Tisch für Claudio Magris besetzt, einen der großen Autoren Triests. Was die Faszination dieses Caffès ausmacht? Es ist eine Art verlängertes Wohnzimmer, das sich der Öffentlichkeit erschließt, aber wo man sich jederzeit in einen vertrauten Winkel zurückziehen kann. »Das San Marco ist eine Arche, die für alle Platz hat«, schreibt Claudio Magris. »Ein hierarchiefreier Ort, das ist fundamental für die Bar im Allgemeinen«, sagt Veit Heinichen, der selten im San Marco anzutreffen ist. »Ein Schriftsteller pro Caffè genügt.«
Pulsierende Genussstadt
Der ehemalige Marketingleiter des S. Fischer-Verlags und Gründer des Berlin-Verlags hat Wurzeln geschlagen in Triest – Schnittstelle zwischen Balkan und Europa, mit einer Mischung aus k. u. k.-Flair und italienischer Fröhlichkeit, verdichtet mit europäischer Geschichte, voller Brüche. Eine einmalige Kombination aus untergegangener Weltstadt und pulsierendem Meltingpot, Prototyp der europäischen Stadt, wo 90 Ethnien vereint sind. Für Veit Heinichen ist die Stadt außerdem Protagonistin und nicht bloß Kulisse seiner Krimis. Triest ist aber bei Gott keine gefährliche Stadt. Kaum eine gestohlene Handtasche, und Schlusslicht in der italienischen Kriminalitätsstatistik. »Triest hatte eine andere Funktion, war riesengroße Geldwaschanlage – und wir hatten neun Stasiagenten.« Die Linien des Verbrechens verlaufen fein. Heinichen und Proteo Laurenti, dessen Name von einem Grottenolm in den Höhlensystemen der Umgebung abgeleitet ist, wühlen gründlich in vergessen geglaubten Geschichtswunden. »In Triest vereinen sich die Balkanmafia und die italienische mit der deutschen und der österreichischen. Der Kreuzungspunkt führt nach Klagenfurt.« Heinichen kennt durch seine Recherchen alle – die Polizei, die Opfer und die Verbrecher. So wie Proteo Laurenti, der lieber in einer Osmizza, einer Buschenschenke im Karst, ein Glas Vitovska und kräftigen Schinken genießt. Hier oben, wo manche Menschen früher sechs verschiedene Pässe hatten.
Der Geruch des Meeres dringt in Triest durch alle Ritzen und entfaltet sich in frischem Fisch, Muscheln, Algen. Oder in einem Hauch von Brackigkeit, die von angerosteten Industriestahlleichen herweht, einer dieser vielen Gegensätze der Stadt. In erster Linie ist Triest aber ein Ort der Genüsse. Nirgends isst man so vielfältig – Prager Schinken mit Kren, panierte Sardinen, Kutteln, Krebse oder Muscheln.
Und immer wird das Essen vom Kaffee begleitet. Bevor man sich dem schwarzen Genuss hingibt, sollte man sein Vokabular aufpeppen. Espresso heißt in Triest »Nero«, »Cappuccino« ist Espresso mit einem Schuss Milchschaum in einer kleinen Tasse, der Cappuccino heißt »Caffè latte«.
Heinichens Vorlieben
Heinichen trinkt morgens zu Hause zwei »Neri«. Wenn er aus dem Haus geht »Caffè latte«, den Rest des Tages nur noch »Neri«. Wie viel er trinkt (und raucht), weiß er nicht. »Man kann sich nicht an einer Nummer festhalten, sondern am Geschmack.« Und noch eines ist wesentlich. »Den Nero trinke ich nur ohne Zucker«, proklamiert er und leert gedankenverloren ein kleines Säckchen in seine Tasse.
Buchtipp: Veit Heinichen, Ami Scabar. Triest, Stadt der Winde. Ein kulinarisches Porträt. Sanssouci, 14,90 Euro. Veit Heinichen, Die Ruhe des Stärkeren. Der neueste Krimi. Zsolnay, 19,90 Euro