Menu
A+ A A-

Fluch der schwedischen Karibik

Die Rechteindustrie jubelt zu früh: Die spektakuläre Verurteilung der Betreiber des Torrent-Trackers The Pirate Bay ist ein Pyrrhussieg ohne Langzeiteffekt. Die Wunderbare Welt des Web.

Damit hatten die wenigsten Beobachter gerechnet: Mitte April wurden im bislang spektakulärsten Gerichtsfall zum Thema Filesharing die vier angeklagten schwedischen Betreiber des P2P-Trackers The Pirate Bay von einem Gericht nicht nur zur Zahlung einer Geldstrafe von fast drei Millionen Euro, sondern auch zu einjährigen Haftstrafen verurteilt. Der enthusiastischen Freude der klagenden Film- und Musikindustrie über das eigentlich unerwartet harte Urteil steht öffentliches Unverständnis und eine überraschend entspannte Reaktion der Piraten gegenüber: „Wenn uns Hollywood etwas gelehrt hat, dann dass die Guten am Anfang immer eine Niederlage einstecken müssen, um am Ende dann doch zu gewinnen“, ließen die Betreiber direkt nach dem Urteil auf der Seite verlautbaren. The Pirate Bay selbst ist durch das Urteil nicht betroffen, der Betrieb verläuft durch dezentralisierte Server weiterhin, als wäre nichts geschehen.

Nun gehen die Verurteilten in Berufung, und bis ein endgültiges Urteil gefällt ist, können noch Jahre vergehen. Und die Chancen stehen wirklich nicht schlecht, dass am Ende die Rechteindustrie den Kürzeren ziehen wird: Die wenig kenntnisreiche Argumentation des Richters, wonach die Betreiber der Seite, auf deren Servern dank der Architektur des Torrent-Netzwerks immerhin keine belastenden Daten getauscht worden waren, deshalb direkt verantwortlich seien, da sie davon gewusst hätten, dass urheberrechtlich geschütztes Material mit Hilfe ihrer Seite vertrieben wird, ist allzu leicht angreifbar: Mit ähnlichen Argumenten könnte man Waffenproduzenten für Morde oder Telekombetreiber für alle Straftaten innerhalb ihrer Infrastruktur verantwortlich machen, bemängeln Kritiker des Urteils. Auch die Bemerkung des Richters, das Peer-to-peer-Protokoll Bittorrent selbst sei illegal, zeigt die tiefe Kluft, die offensichtlich zwischen rasantem Technologiefortschritt und Gesellschaft und indirekt auch zwischen den Generationen liegt.

Die Filmindustrie und die schon seit Jahren schwer angeschlagene Musikindustrie verfolgen also ihren Kurs weiter, auch wenn der Kampf mit harten Bandagen gegen Millionen abgesprungene Kunden schon bisher nicht gerade ein Erfolg genannt werden kann: Trotz wiederholter spektakulärer Verurteilungen zur Abschreckung, trotz minutenlanger Drohbotschaften vor jedem neuen Film und trotz intensivem Lobbying bei Regierungen weltweit kommen die goldenen Zeiten der Prä-Internet-Ära sicher nicht mehr zurück. Auch das immer wieder vorgebrachte Argument, das Raubkopieren schade den Künstlern, ist in Zeiten der kreativen Explosion im Internet und anhand einiger Pioniere, die abseits der Industrie durchaus lukrativ direkt mit ihren Fans zusammenarbeiten, eher fadenscheinig geworden.

Ausgerechnet die Spieleindustrie, selbst historisch arg gebeutelt von Piraterie, zeigt vielleicht einen hoffnungsvollen Ausweg: Möglicherweise stimmen ja einfach Abrechnungs- und Vertriebsmodell der Vergangenheit nicht mehr mit den Gewohnheiten des heutigen Kunden überein. „Piraten sind unterversorgte Kunden“, meine Valve-CEO Gabe Newell jüngst, und untermalte seine These vom falschen Ausgangspreis mit einer spektakulären Aktion: Während eines Discount-Wochenendes verkaufte Valve einen seiner aktueller Titel per Onlinevertrieb zum halben Preis – und erzielte um 3.000 Prozent mehr Umsatz als beim Verkaufsstart. Hier wird eine Lektion gelehrt, die die Anwaltsheere der Musik- und Filmindustrie noch stur ignorieren: Die Regeln der sich ständig rasant weiterentwickelnden neuen Technologie und ihrer weltweiten Nutzung sind nicht vor Gericht verhandelbar.

Wer versäumt, sich anzupassen und seine Kunden mit den gewünschten Produkten zum akzeptierten Preis und zum gewünschten Zeitpunkt weltweit zu beliefern, wird mittelfristig immer mehr von ihnen zu Feinden machen. Auch Copyright und Patentrecht sind keine Naturgesetze und gehen schlussendlich den Weg alles Irdischen – höchste Zeit, sich andere Einkünfte zu sichern.

back to top