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Die Konsumenten von Morgen

Das klassische Milieudenken hat ausgedient. Die Einteilung in Sozialcluster - vom Proletariat bis zum Postmodernisten - ist heute ebenso wie die klassische Zielgruppenlogik zu statisch und zu eng. Zu diesem Schluss kommen die Zukunftsforscher Oliver Dziemba, Benny Bock und Andreas Steinle in der aktuellen Studie des Zukunftsinstituts \"Lebensstile 2020 - Eine Typologie für Gesellschaft, Konsum und Marketing“. An ihre Stelle treten Lebensstil-Typologien. Diese Typologien gestehen dem einzelnen Menschen Veränderung und sogar Widersprüche zu. Die sozialen Schichten sind durchlässig geworden, auch Alter, Einkommen und Geschlecht erklären soziales Verhalten nur unzureichend, sind die Studienautoren überzeugt.
Die Lebenstil-Typologie beschreibt einzelne Positionen, in denen man sich zu einer gewissen Zeit seines Lebens befindet. Diese Sichtweise hat natürlich auch Auswirkungen auf das Konsumverhalten. Die Studienautoren sind überzeugt, dass die klassische Marktforschung in Zukunft durch ein prognostisches Marktverstehen abgelöst wird. Denn was lässt heute noch über das rein biologische Alter im Hinblick auf Wünsche, Bedürfnisse und Konsumentscheidungen der Menschen aussagen, fragen die Autoren. \"Nicht viel“, lautet ihre Antwort. Die vermeintliche Twen-Sportart Snowboard wird zu mehr als einem Drittel von Menschen jenseits der 35 ausgeübt. Die A-Klasse war für den Mercedes-Nachwuchs konzipiert und wird in erster Linie von Best Agern, also Vertretern der 50plus-Generation gekauft. Auch Handy- und Online-Games sind längst nicht mehr pickeligen Pubertierenden männlichen Geschlechts vorbehalten. Jeder dritte Käufer von Handyspielen ist über 30, ein weiteres Drittel entfällt auf weibliche \"Zocker“. Es zeigt sich eine veränderte Zielgruppen-Konstellation. \"Die Zielgruppen müssen vor dem Hintergrund der zunehmenden biographischen Freiheit gesehen werden und unter dem Einfluss des Megatrends Individualisierung stärker in Bezug zum gesellschaftlichen Wandel gesetzt werden“, heißt es in der Studie. Die klassische Biographie wird zur Multigraphie. Jugend, Berufstätigkeit und Ruhestand werden durch neue Biographiephasen ergänzt. Zwischen Jugend und Erwachsenendasein schiebt sich die Postadoleszenz als \"Zeit des Ausprobierens, der seriellen Monogamie, der Selbstfindung und Ausprägung der individuellen Eigenschaften“. Familien werden später gegründet und durch eine umfangreichere Ausbildungsphase wird länger an einem jugendlichen Lebensstil festgehalten. Der Schritt zur Erwachsenen-Identität wird verzögert. Zwischen Berufstätigkeit und Ruhestand kommt es zur Phase des zweiten Aufbruchs. Man orientiert sich beruflich neu und hält Ausschau nach neuen Partnerschaften. Diese Aufbruchsphase darf laut Studie aber nicht mit der Midlife-Crisis verwechselt werden. \"Es handelt sich nicht um eine Rebellionsphase, sondern um eine bewusste Neuorientierung.“
Während die klassische Biographie einen linearen Verlauf nimmt, tritt die Multigraphie in Schleifen auf. Die Floskel \"Bis dass der Tod uns scheidet“, hat schon lange keine Gültigkeit mehr, zwei und mehrere Eheschließungen werden zur Regel. Ebenso verhält es sich mit dem beruflichen Umfeld. Anstelle eines einzelnen, lebenslangen Berufes treten mehrere Job- und Branchenwechsel bzw. ein Nebeneinander verschiedener Beschäftigungsformen.

Auswirkungen auf den Konsum
\"Marketing war noch nie so spannend wie heute“, heißt ein bekannter Werbeslogan. Das gilt in noch stärkerem Ausmaß für \"morgen“. Wenn sich soziale Milieus auflösen und die klassische Biographie durch Multigraphien ersetzt wird, stehen Marketingexperten vor großen Herausforderungen. Nicht mehr Schichten und Klassenzugehörigkeiten entscheiden über das Konsumverhalten, sondern Situationen und Kontexte. Damit ist die klassische Marktforschung nicht an ihrem Ende angelangt, sie tritt aber in den Hintergrund. \"Das Forschen und Nachdenken über Konsumenten wird sich auch in 100 Jahren immer noch an \"relevanten äußerlichkeiten“ wie Alter, Einkommen, Geschlecht usw. orientieren“, so das Fazit der Studie. Es sei jedoch höchste Zeit, die komplexen Strukturen, in denen sich die Menschen im 21. Jahrhundert bewegen, auch in den Beschreibungen der Lebens- undKonsumsituationen zu berücksichtigen. Schneller reagieren und individuell handeln, müsse das Motto von Unternehmen sein, die mit der Lebensstil-Typologie eine Grundlage vorfinden, um zukunftsorientierte und krisenfester zu handeln.

Infos: www.zukunftsinstitut.at

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