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»IT muss zu einem Grundrecht werden«

(+) plus: Wie ist das Geschäftsjahr 2006 aus Sicht der Raiffeisen Informatik gelaufen? Was wurde nach dem in der Auftragslage »ruhigeren« Jahr 2005 im vergangenen Jahr erreicht?
Wilfried Pruschak: Die Zahlen für 2006 werden erst veröffentlicht, wir können aber bereits sagen: Es war ein hervorragendes Jahr, in dem wir gut zulegen konnten. Raiffeisen Informatik ist deutlich über zehn Prozent und damit schneller als der Markt gewachsen.

(+) plus: Sie haben Anfang 2006 von einem bevorstehenden Großprojekt gesprochen: die Großrechnerübernahme für die Mannheimer Versicherung.
Pruschak: Großprojekte wie dieses haben das abgelaufene Geschäftsjahr wesentlich mitbestimmt. Die übernahme des Rechenzentrums der Mannheimer Versicherung könnte als eines der ersten großen Outsourcingprojekte von Deutschland nach österreich auch neue Werte mitbestimmen: die Kompetenz des heimischen Standortes im internationalen Dienstleistungsgeschäft. Damit drehen wir die traditionell industrielle Abhängigkeit österreichs von seinem großen Nachbarn mit dem IT-Geschäft erstmals um: Unterschiedliche Hard- und Softfacts, wie etwa unser beweglicheres Arbeitsrecht, ermöglichen im Vergleich bessere Konditionen bei Projekten und Auslagerungen. Dennoch muss sich in österreich ein Selbstbewusstsein über die Grenzen hinaus entwickeln.

(+) plus: Sie sprechen davon, Raiffeisen Informatik zur heimischen Nummer eins bei IT-Service-Marktanteilen machen zu wollen.
Pruschak: Es sind mehrere Aspekte, die den Markt in österreich entscheidend mitbestimmen. So werden wir sehen, wie die Ankündigungen der neuen Regierung - etwa jene, österreich unter die Top-drei-Technologieländer innerhalb der EU zu bringen - umgesetzt werden. Generell bewegt sich der IT-Services-Markt in österreich aber nicht mehr viel, die Branche ist in einem Konzentrationsprozess. Das Ziel, mittelfristig Nummer eins zu werden, besteht aber weiterhin. Schon 2005 haben sich die Umsätze in IT-Services bei Raiffeisen Informatik und dem Branchenleader Siemens um lediglich dreißig Millionen Euro unterschieden. Wir haben einfach ein natürliches Bestreben, an die Spitze zu kommen. Von Marktwachstum sprechend, sind aber auch andere Player nicht zu unterschätzen: S&T etwa hat in den letzten Jahren beständig durch Akquisitionen zugelegt, ist freilich aber weiterhin in sehr speziellen Dienstleis­tungssparten unterwegs.

(+) plus: Was tut sich in der Sparte Druckoutputservices bei Raiffeisen Informatik?
Pruschak: Entgegen der Annahme, dass der Trend in Richtung papierloses Büro geht, steigt der Papierverbrauch unaufhörlich. Wir haben mit jährlich 300 Millionen Seiten das größte Outputcenter im personalisierten Bereich und jüngst den Großkunden EVN dazugewinnen können. Freilich sind bei uns Outputservices nicht auf den Papierdruck beschränkt: Ein duales Zustellkonzept, das etwa mit digitalen Rechnungen den Papieroutput teilweise wieder zu reduzieren vermag, verspricht große Kosteneinsparungen für die Unternehmen. So werden Portokosten eingespart und die Zustellzeiten verkürzt und letztlich wird so auch die Liquidität der Unternehmen verbessert. Auch im Zusammenhang mit der elektronischen Signatur sehen wir ein enormes wirtschaftliches Potenzial. Man kann sich vorstellen, was sich die Wirtschaft bei über einer Milliarde Briefsendungen und zig Millionen Rechnungen, die jährlich in österreich verschickt werden, einsparen kann. Schätzungen von PricewaterhouseCoopers gehen von unmittelbaren Einsparungen von 600 Millionen Euro durch den Einsatz von elektronischen Rechnungen aus. Alleine in österreich sind jährlich 700 Millionen Rechnungen im Umlauf - die müssten nicht alle auf Papier gedruckt werden. Doch brauchen neue Technologieansätze auch Zeit. Im Durchschnitt muss mit sieben mageren Jahren der Aufbauarbeit gerechnet werden, bis eine Technologie wirklich zum breiten Einsatz kommt. Bei Sig­natur und E-Rechnung sind wir bereits am Ende dieser Phase. Mittlerweile unterstützen nahezu auch alle Softwareanbieter - von SAP bis Mesonic, Sage bis Data Systems - die entsprechenden Standards. Im Vordergrund wird weiterhin immer das Dokument, also beispielsweise die Rechnung, stehen. Dahinter kann dann aber bei jedem Adressaten entschieden werden, ob der Output elektronisch oder auf Papier erfolgt.

(+) plus: Welche weiteren Entwicklungen werden das Outsourcinggeschäft vo­rantreiben?
Pruschak: Eine Fülle an Möglichkeiten eröffnet sich im Gesundheitssektor. Wir haben E-Health vor zwei Jahren in unsere mittelfris­tige Strategie einbezogen - als Bereich, der ähnlich dem Bankensektor bei einer Bündelung der Kräfte und Ressourcen ein enormes Automatisierungs- und Rationalisierungspotenzial entfesseln kann. Derzeit findet dort ein Konzentrationsprozess auf Landesebene statt, wo Services wie IT-Betrieb oder Einkauf der einzelnen Kliniken zentral durch eine Landesklinikenholding durchgeführt werden. Die Erkenntnis dieses Potenzials hinsichtlich Einsparungen und Qualitätsverbesserungen findet auch auf europäischer Ebene statt. In österreich­ konnten wir vor kurzem einen Auftrag der Nieder­österreichischen Landeskliniken Holding gewinnen, der innerhalb der nächs­ten drei Jahre die Vereinheitlichung einer SAP-Lösung für alle betriebswirtschaftlichen Aufgaben, für den Einkauf und die Logistik sowie für das Patientendatenmanagement und die Patientenabrechnung umfasst. Dazu kommt die Integration mit bestehenden medizinischen IT-Systemen - ein unglaublich großes Potenzial, wenn man die elektronische Befundung, Röntgenbilder oder die langjährige Archivierung von Patientendaten einbezieht. Meiner persönlichen Einschätzung zufolge sind allein im Verwaltungsbereich hier locker zwanzig bis 25 Prozent Einsparungen bei IT-Kosten möglich. Die Zentralisierung der IT der Krankenhäuser ist aber nicht nur aufgrund des Kos­tenfaktors nötig: Würden die Systeme an den unterschiedlichen Standorten weiter eigenständig bleiben, würde sich aufgrund der Eigendynamik der Prozesse und IT-Entwicklungen eine Vereinheitlichung von Jahr zu Jahr schwieriger gestalten. Zudem braucht es durchgängige IT-Systeme, um die zunehmend komplexen medizinischen Leistungen effizient zum Patienten zu bringen und - unter voller Berücksichtigung des Datenschutzes - zu verwalten. Auch in die neue Gesundheitsministerin, Andrea Kdolsky, setzen wir große Hoffnungen. Sie kommt ebenfalls aus der Nö Landeskliniken Holding.

(+) plus: Sehen Sie abseits des Gesundheitswesens noch weitere Wachstumsmärk­te?
Pruschak: Ein weiterer wesentlicher Wachstumsfaktor sind Mautsysteme, die mittlerweile das Potenzial zum Exportschlager haben. Derzeit läuft in Ungarn eine zweistufige Ausschreibung dazu, für das Stockholmer Stadtmautsystem hat Raiffeisen Informatik zuletzt das Systemdesign geliefert. Die Mautsysteme sind generell aber in einem sehr frühen Stadium, in dem jeder noch seine eigene Suppe kocht. Optimal wäre hingegen, einen länderübergreifenden Standard zu schaffen, um auch eine künftige europäische Vereinheitlichung und die übergabe von Mautdaten zwischen den landesspezifischen Systemen gewährleisten zu können. Investitionen, die jetzt getätigt werden, sollten bereits diesen Trend, der sicherlich kommen wird, berücksichtigen. Auch der Mobilfunk hat ähnliche Phasen durchgemacht. Heute wird dessen Netzverkehr per Roaming grenzübergreifend abgewickelt. Im Straßenverkehr sind die Entwicklungen und Probleme heute weder für den Individual- noch für den Schwerverkehr allein regional lösbar. Schon aus Umweltschutzgründen ist ein europaweiter Konsens notwendig. Auch zur verkehrspolitischen Steuerung ist ein überregionales Vorgehen sinnvoll: etwa wenn es um die Sinnhaftigkeit geht, Lebensmittel zum Verpacken quer durch Europa zu transportieren.

Insgesamt gesehen muss die IT auch endgültig zu einem Grundrecht für alle werden. Zahlreiche lobenswerte Initiativen - wenn auch leider nur auf Länderebene - tragen dieser Entwicklung bereits Rechnung. Es ist nun mal nur schwer finanzierbar, Breitband auch in entferntere Regionen zu bringen, doch ist dies ein enorm wichtiger Standortfaktor. Der Ausbau sollte machbar sein: In dem alpinen Land österreich herrschen ja ähnliche Voraussetzungen wie in den technologisch so erfolgreichen Ländern in Skandinavien.

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