Zukunft Sicherheit
- Written by Redaktion_Report
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Hartmut Müller: Wir hatten drei große Innovationen in der IT: zunächst der PC, die Mobilität und dann Internet. Jetzt hat die Branche keine wesentliche Innovation dieser Dimension mehr, deshalb geht’s jetzt immer mehr darum, alles einfach, besser, schneller zu machen.
(+) plus: Taucht am Horizont keine Technologie auf, die alles noch einmal auf den Kopf stellt?
Müller: Es gibt nichts, was annähernd die gesellschaftsverändernde Wirkung entfalten wird wie die Personalisierung, die Mobilität und die globale Kommunikation via Internet. Für uns leitet sich daraus aber ein Auftrag ab, für den Nutzer die Welt bequemer zu machen. Viele versuchen immer noch Innovationen, die in Wirklichkeit keine mehr sind, weil sie Arbeits- und Lebensprozesse nicht mehr grundlegend verändern.In der Vergangenheit hat man ikonenhaft Kürzel vor sich hergetragen. Ein Hype folgte dem anderen. Musterbeispiel war der kollektive Rinderwahnsinn ausgedrückt im Kürzel UMTS.
(+) plus: Ist die Zeit der heilsbringenden Technologie vorbei?
Müller: Die Realität holt uns ein. Was damals passiert ist, ist schwer gewinnbringend zu machen. Heute lässt sich nur mehr mit konkretem Nutzen verdienen. Die Mobilität zum Beispiel beginnt jetzt erst, die Möglichkeit des ortsungebundenen Arbeitens zu realisieren. Für die Mobilen ist das wunderbar, die Wahrheit aber ist: Der Großteil der arbeitenden Menschen ist nicht mobil. Also, wo ist der Nutzen aus besserer mobiler Datenanbindung, wenn die Arbeitsrealitäten nicht danach ausgerichtet sind?
(+) plus: Aber gerade beim Mobilfunk war ja ein wesentlicher Treiber der Veränderung der harte Wettbewerb, der dafür sorgt, dass Dienste zu sagenhaft niedrigen Preisen angeboten werden. Penetrationsraten jenseits der hundert Prozent kommen nicht von ungefähr. Wird nicht die kostengünstige Verfügbarkeit von mobilen Bandbreiten letztlich auch die Arbeitsrealität radikal verändern?
Müller: Wir haben die Verbreitung der Infrastruktur und der Technologie, aber nicht die Erträge. Deshalb reden viele ja vom Wander-Break-even . Der wandert von einem Jahr ins nächste.Die Nachfrage ist gestiegen, die Umsätze nicht. Daran sind viele Start-ups gescheitert. Die wenigen Großen halten das aus, die vielen anderen scheitern an den übersteigerten Erwartungshaltungen. Das Thema Innovation um der Innovation willen ist ersetzt durch Betriebssicherheit, Verfügbarkeit, Rentabilität. Die Merkmale der Neunziger sind heute nicht mehr gefragt.
(+) plus: Ende der Neunzigerjahre war die Phase der Irrationalität, wo unglaubliche Beträge mit ebenso unglaublichen Geschäftsmodellen verloren wurden. Aber hat diese Phase, in der bisherige Betrachtungsweisen aus den Angel gehoben werden, nicht doch eine unglaubliche Bedeutung für die Entwicklung?
Müller: Man hat in Wirklichkeit in dieser Phase sämtliche Unternehmen mit allen technologischen Möglichkeiten konfrontiert. Das Irrationale war, dass Wettbewerbsfähigkeit gleichgesetzt wurde mit der Komplexität der eingesetzten Technologien. Das aber stimmt nicht.
Wer die Technologie X nicht einsetzt, ist nicht überlebensfähig, das war das Killerargument. Viele Unternehmen haben sich aber dadurch zu fulminanten Fehlern verleiten lassen.
(+) plus: Der kollektive Irrtum hat Aktien zu atemberaubenden Kursen geführt, obwohl sie statt Substanz nur Vision und Marketing bieten konnten. Wie war das möglich?
Müller: Börsenbewertungen werden oft als gottgegeben angesehen. Manager leiten daraus ab, dass die Zukunft dort liegt, wo die Kurse sind. Erst Anfang 2000 hat sich langsam ein Paradigmenwechsel angekündigt. Zuerst haben Manager rund um Technologien Strategien gebastelt, dann ist IT wieder in die dienende Rolle zurückgekehrt und hat geholfen, Strategien umzusetzen.
(+) plus: Die Rückkehr der Nüchternheit spiegelt sich auch in der Namensgebung von Unternehmen wider. Statt Jet2Web heißt es wieder Telekom Austria. Auch bei Raiffeisen Informatik gab es durchaus kreative Firmennamen. IT4You war ein Ausflug in diese Richtung. Jetzt ist »Raiffeisen« in der Namensgebung überall zurück.
Müller: Wir hatten zwei Phasen. IT4You war in einer Zeit, als wir nur im Sektor tätig waren und natürlich auch nicht der Versuchung widerstehen konnten, an den Hype anzuknüpfen. Raiffeisen lebt vom Genossenschaftsprinzip und da ist Autonomie ein hoher Wert. Der Name diente der Differenzierung nach innen, erst seit wir uns dem Markt außerhalb des Sektors zugewandt haben, nutzen wir die Marke Raiffeisen. Das, was ein Bankenrechenzentrum an Werten ausstrahlt, hat heute wieder einen hohen Stellenwert: Sicherheit, Stabilität, Verfügbarkeit.
(+) plus: Seriös, sicher, verfügbar ist wunderbar, aber halt auch fad.
Müller: Ja, in den Neunzigern hätten wir damit ein Problem gehabt. Heute reüssieren wir damit genau in dem für uns wichtigen Kundensegment der Großunternehmen. Dort ist das Thema Sicherheit zentral und da sind wir der Ansprechpartner.
(+) plus: Das spiegelt sich ja auch in der Umsatzentwicklung von Raiffeisen Informatik wider. Sie haben in zehn Jahren um 500 Prozent zugelegt?
Müller: Ja, das stimmt. Wir haben kräftig zugelegt, weil wir rechtzeitig auf die richtigen Themen gesetzt haben. Wir haben das für uns erreicht, indem wir Anfang 2000 ein Projekt gemacht haben, das sich die zentrale Frage gestellt hat, wie unser Geschäft 2020 ausschauen wird. Wir haben uns dem mit der Szenarienmethode angenähert, wobei immer die Frage nach den Extremen gestellt wird. Wir hatten zum Beispiel 35 Merkmale ausgewählt, eines davon war der Zahlungsverkehr. Und die Frage war, wie schaut der Zahlungsverkehr 2020 im Extremfall aus. Die Antwort war einmal, gezahlt wird nur mehr digital. Die radikale Gegenthese: Der reine Tauschhandel, Ware gegen Ware, ersetzt den Geldverkehr.
Wie überleben wir als Unternehmen unter beiden Szenarien, haben wir uns gefragt, und das Interessante dabei ist, dass in jedem Szenario Antworten herauskommen, die auch im anderen funktionieren. Bei dieser Arbeit ist uns mittendrinnen aufgefallen, dass in allen Fällen Sicherheit das zentrale Thema ist. Mittendrinnen haben wir große strategische Entscheidungen getroffen, wo wir wirklich viel investieren. Das ist das Zukunftsthema, das wir drei Jahre vor dem Mitbewerb erkannt haben, und das sichert uns einen Wettbewerbsvorsprung. Wir tun heute schon Dinge, die bei anderen erst ins Bewusstsein dringen.
(+) plus: Was heißt das konkret? Wodurch haben Sie sich einen Vorsprung erarbeitet?
Müller: Nehmen Sie das Problem das uns alle trifft: Jeder von uns hat unzählige Accounts, wo er sich mit unterschiedlichen Passwörtern anmelden muss. Jedes Passwort hat eine andere Logik, irgendwo muss man sich das aufschreiben, weil es immer unübersichtlicher wird. Was passiert dann? Irgendwann hängt am Bildschirm ein gelber Zettel, auf dem die Passwörter stehen. Ein durchschnittlicher Bankmitarbeiter hat zwölf bis 15 Passwörter. Der Anmeldevorgang dauert pro Tag acht bis zwanzig Minuten. Wenn ein neuer Mitarbeiter kommt, muss er angelegt werden, wenn er innerhalb des Unternehmens wechselt, kriegt er neue Berechtigungen. Wenn er ausscheidet, weiß man oft überhaupt nicht mehr, wo er überall Zugang hat.
Hauptproblem der Zukunft wird sein, dass die IT-Verarbeitung nachweisbar dokumentiert wird. Das kommt auch aus der Basel-II-Ecke. Das macht Sicherheit zum dominierenden Thema. Aber es wird gerade von den Herstellern sträflich vernachlässigt. Wenn wir heute ein neues Notebook bekommen, dann ist zwar ein WLAN drinnen, aber ein unbedarfter User öffnet damit das System für jeden Angriff. Sicherheitslücken werden heute von den Herstellern ausgeliefert.
(+) plus: In Wirklichkeit beißen sich da ja zwei Dinge: die Sicherheit und die Bequemlichkeit. Das Sichere ist aufwendig, das Unsichere bequem.
Müller: Wir haben jetzt ein System, wo Sie wie mit Bankomatkarte und Code einsteigen und Zugang zu allen Anwendungen bekommen. Wenn Sie weggehen vom Arbeitsplatz, nehmen Sie die Karte mit und der Zugang ist gesperrt. Sie können sich bei jedem anderen Arbeitsplatz sofort wieder einloggen. In diesem Fall wird Sicherheit mit Bequemlichkeit verbunden. Die Frage ist immer nur, wie intelligent die Lösung ist.
Sicherheit muss präventiv komplett in den Betriebsablauf integriert sein, dann bedeutet Sicherheit Geborgenheit. Wenn man erst reagiert, wenn etwas passiert ist, dann wird aus dem Heim Alcatraz. Das ist auch sicher, nur wohnen will dort keiner. Sicherheit und Datenschutz, das sind die Themen der Zukunft.