Ein Milliardär auf Einkaufstour
- Written by Redaktion_Report
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Warren Buffett goes shopping. Der schrullige US-Investor mit dem goldenen Händchen nützt die Finanzkrise auf seine Weise – selten zuvor waren Unternehmensanteile so günstig zu haben.
Während andere in Depressionen flüchten, herrscht für Warren Buffett Hochkonjunktur. Der 78-jährige Investor frönt seiner größten Leidenschaft und kauft todgeweihte Unternehmen, um sie zu neuem Leben zu erwecken. Davon gibt es zur Zeit mehr als genug. Die Finanzkrise hat einen Kahlschlag hinterlassen und Buffett – der Mann mit dem sicheren Instinkt für gute Geschäfte – ist längst dabei, die besten Stücke für seinen Fundus aufzuklauben.
Kleines großes Kind.
Glaubt man der jüngst erschienenen – übrigens der einzigen jemals autorisierten – Biografie „Das Leben ist wie ein Schneeball“, ist der legendäre Großinvestor abseits der Börsenwelt absolut lebensuntüchtig. Die Autorin Alice Schroeder, früher Reporterin des Wall Street Journal, erhielt nicht nur Zugang zu Buffetts Archiv, sondern begleitete den schrulligen Kauz vier Jahre lang durch sein privates und geschäftliches Leben.
Ihrer Beschreibung nach ist der Börsenguru einfach ein kleiner Bub geblieben: Aussehen und Kleidung sind ihm unwichtig; wie altmodisch seine Anzüge und die Krankenkassenbrille wirken, dürfte ihm noch nie aufgefallen sein. Am liebsten ernährt er sich von Fastfood, Süßigkeiten und Cherry Coke. Und hätte seine erste Frau Susie, als sie ihn 1977 nach 25 Jahren verließ, nicht ihre Freundin Astrid Menks als würdige Nachfolgerin ausgesucht, wäre Buffett vermutlich an den elementarsten Dingen des Alltags gescheitert. Um weiterhin ein Auge auf ihn zu haben, ließ sich Susie nie scheiden; Menks heiratete Buffett erst 2007, drei Jahre nach Susie’s Tod.
Starke Marken.
Wirklich gut kennt Buffett sich nur mit Geld aus – auf diesem Gebiet kann ihm allerdings keiner so leicht das Wasser reichen. Der Milliardär folgt, so sein augenzwinkerndes Credo, bei seinen Investments einem einfachen Prinzip: Er kaufe nur Anteile von Unternehmen, die jedes Kind kennt und deren Geschäfte er verstehe. So finden sich in seinem Portfolio Aktien und Anleihen u.a. von Coca-Cola, Walt Disney, American Express, McDonalds, Mars, Washington Post und seit kurzem Harley Davidson.
Neben dem wahren Kern – einem Faible für starke Marken – schwingt da natürlich ein bisschen Understatement mit, ist seine Analyse lohnender Investments doch etwas komplexer. So müssen die Aussichten des Unternehmens langfristig gut sein, kompetente und ehrliche Manager am Werk sein und der Aktienkurs deutlich unter ihrem Wert liegen, um in Buffetts Augen eine Kaufgelegenheit darzustellen. Mit Technik steht Warren Buffett allerdings tatsächlich auf Kriegsfuß, weshalb er sich trotz gut gemeinter Ratschläge standhaft weigerte, in technologielastige Firmen zu investieren. Selbst Anteile an Microsoft lehnte er ab, obwohl er mit Bill Gates eng befreundet ist und 2006 fünf Sechstel seines Vermögens (etwa 30 Milliarden Dollar) der Bill & Melinda Gates Foundation vermachte.
Affinität zu Zahlen.
Seinen außergewöhnlichen Geschäftssinn bewies Warren Buffett bereits als Sechsjähriger. Im Sommer 1936 kaufte er Coca-Cola-Sixpacks um 25 Cent und verkaufte die einzelnen Flaschen um fünf Cent weiter. Er arbeitete als Zeitungsbote, vermietete Flipperautomaten und zog einen Handel mit gebrauchten Golfbällen auf.
Ins Aktiengeschäft schnupperte Buffett erstmals in der Broker-Firma seines Vaters Howard, den er noch heute als eines seiner Vorbilder bezeichnet. Trotzdem war seine Kindheit nicht ungetrübt: Die, vermutlich psychisch kranke, Mutter demütigte ihn und seine beiden Geschwister; möglicherweise sind seine Menschenscheu und so manche kauzige Eigenheit Resultat dieser frühkindlichen Verletzungen.
Sein Selbstbewusstsein richtete sich erst langsam auf, als er seine besondere Affinität zu Zahlen erkannte. Nach der Schule studierte Buffett an der Universität von Nebraska, der Wharton School in Philadelphia und erwarb schließlich 1951 den Master in Economics an der Columbia-Universität in New York. Zunächst arbeitete er als Wertpapieranalyst in der Investmentfirma seines ehemaligen Lehrers Benjamin Graham. Mit 25 gründete er mit der „Buffett Partnership“ eine Kommanditgesellschaft, in der er das Geld von Verwandten und Bekannten verwaltete. Wegen der sagenhaften Anlageerfolge zog der Investmentpool aber schon bald viele prominentere Kunden an. In Charlie Munger fand Buffett einen kongenialen Partner, der durch seine konservative Besonnenheit den jungen Unternehmer des öfteren auf den Boden der Realität zurückholte.
Goldenes Händchen.
1965 kaufte Buffett die Textilfabrik Berkshire Hathaway und wandelte in der Folge das marode Unternehmen zu einer Investmentfirma um, indem er seinen Investoren den Tausch ihrer Anteile in Berkshire-Aktien anbot. Heute steuert er mit nur 19 Mitarbeitern ein Imperium, das eine Holdinggesellschaft mit nahezu 70 Firmen und unzähligen Beteiligungen umfasst, deren Schwerpunkt im Versicherungsgeschäft liegt. Stützpfeiler des Konglomerats ist Geico, heute eine der größten Versicherungen der USA, mit deren extrem billigen Aktien der junge Buffett bereits während seiner „Lehrzeit“ bei Graham spekuliert hatte.
Mit Berkshire begann auch die Buffett-Legende, denn egal wo der Mann seine Hände hineinsteckte, floss Geld. Zwar wandte er immer die Prinzipien seines Mentors Graham, die sogenannte „Sicherheitsmarge“, an, entschied aber auch mitunter nach durchaus subjektiven Einschätzungen. Mit schlafwandlerischer Sicherheit erkennt Buffett lange vor allen anderen trügerische Bullenmärkte oder das Ende langer Durststrecken. Nicht ohne Grund wird er ob seiner Prognosen auch das „Orakel von Omaha“ genannt. Lang ist die Liste seiner Weisheiten und Bonmots, die der grauhaarige Herr vor seinen zahlreichen Anhängern gerne zum Besten gibt, wie etwa: „Wer sich nach den Tipps von Brokern richtet, kann auch einen Friseur fragen, ob er einen neuen Haarschnitt empfiehlt.“
Von 1965 bis 2007 gab es insgesamt nur sechs Jahre, in denen die Berkshire-Aktien den S&P 500, den Aktienindex der 500 größten US-Firmen von Standard & Poors, nicht überflügelte. Mit einem Vermögen von 62 Milliarden Dollar (Forbes 2008) hat Buffett seinen Kindheitstraum, reichster Mann Amerikas zu werden, verwirklicht. Trotzdem blieb er bis heute sehr bodenständig. Noch immer lebt er in seinem Heimatort Omaha in Nebraska in dem Haus, das er 1958 für 31.500 Dollar gekauft hatte.
Absolut integer.
Im Gegensatz zu vielen unrühmlichen Beispielen, die – siehe Bernard Madoff – erst durch die Finanzkrise ans Tageslicht gespült wurden, gilt Buffett als absolut integer. Auch der kleinste Geldbetrag sollte mit äußerster Sorgfalt verwaltet werden, predigt er immer wieder, schließlich hätten ihm andere Menschen ihr Geld anvertraut. Vor allem auf Schulden aufgebaute Geschäfte sind ihm ein Dorn im Auge. Um Spekulationsblasen und boomende Märkte macht Buffett seit jeher einen großen Bogen, lautet doch einer seiner berühmten Grundsätze: „Der dümmste Grund eine Aktie zu kaufen, ist, weil sie steigt.“
Doch auch die Investment-Legende blieb nicht von den Abstürzen an der Wall Street verschont. Berkshire Hathaway verlor im vergangenen Jahr um 32 Prozent an Wert – der tiefste Fall seit drei Jahrzehnten. 2007 war der Kurs noch fast um die gleiche Spanne, 29 Prozent, gestiegen. Es mag Buffett ein kleiner Trost sein, dass der S&P 500 im selben Zeitraum mit 39 Prozent noch stärker abstürzte, der Dow Jones immerhin um 34 Prozent. Sogar die bisherigen Cash-cows in Buffetts Portfolio ließen den erfolgsverwöhnten Senior im Stich: Coca-Cola verlor 14 Prozent, der Finanzdienstleister Wells Fargo 21 Prozent und ConocoPhilips 29 Prozent. Schwer auf den Berkshire-Kurs drücken aber vor allem langfristige Wetten, die der Investor weltweit auf vier Indizes, darunter den Standard & Poor’s, abgeschlossen hat und bis 2019 laufen. In turbulenten Zeiten machen solch riskante Geschäfte, selbst wenn sich in zehn Jahren noch viel ändern kann, auch den ergebensten Anleger nervös.
Rosinen picken.
Doch es wäre nicht Warren Buffett, würde er in dieser Situation den Kopf in den Sand stecken. Statt dessen befindet sich der Milliardär seit September auf Einkaufstour und pickt sich die Rosinen aus dem bröckelnden Börsenkuchen. Mit Goldman Sachs schnappte er sich zielsicher jene Bank, die die Finanzkrise vergleichsweise glimpflich überstanden hatte. Mit fünf Milliarden Dollar sicherte sich Buffett Vorzugsaktien mit unbegrenzter Laufzeit und gleichzeitig die Option auf weitere 43,5 Millionen Stammaktien im Wert von fünf Milliarden Dollar innerhalb der nächsten fünf Jahre.
Mit drei Milliarden Dollar kaufte er sich bei General Electric ein, weitere 4,7 Milliarden Dollar steckte er in den US-Stromversorger Constellation. Auch der Baustoffhersteller USG und der auf Verpackungsmaterial spezialisierte Konzern Sealed Air freuten sich über den Einstieg des Investors, der damit weithin sichtbar sein Vertrauen in diese Unternehmen signalisiert. Freilich nicht ohne Gegenleistung – die Papiere werfen durchwegs zwischen zehn und 15 Prozent Rendite ab.
Im Februar erwarb er für rund 300 Millionen Dollar Anleihen des Motorradherstellers Harley-Davidson und für 250 Millionen Dollar Anleihen des Nobel-Juweliers Tiffany & Co. In Europa kaufte er durch seine Privatjet-Firma Netjets Europe den hessischen Flughafen Egelsbach.
Lediglich der Schweizer Rückversicherer Swiss Reinsurance, die zweitgrößte Gesellschaft dieser Art, zauderte. Mit drei Milliarden Schweizer Franken (rund zwei Milliarden Euro) will der Großaktionär, der bereits seit Jänner 2008 drei Prozent der Anteile hält, an dem schwer gebeutelten Konzern beteiligen – für satte zwölf Prozent Zinsen jährlich. Doch die Swiss Re fürchtet die allzu enge Umarmung. Nach drei Jahren kann Buffett die Wandelanleihe in Aktien umwandeln, zu 25 Franken pro Stück. Mit diesem Deal hätte er mehr als 20 Prozent des Versicherungsunternehmens, weshalb die Schweizer einen Rückkauf der Anleihe anstreben, bevor Buffett 2012 diese in Aktien tauscht.
Gut möglich, dass die Shoppingtour noch nicht beendet ist. Einem anderen Angebot erteilte er indessen einen Korb: Präsident Barack Obama hätte Buffet gerne als Finanzminister in seinem Kabinett gesehen. Schon in den 1960er Jahren war der als sehr liberal bekannte Börsenguru gegen die Rassendiskriminierung in Omaha aufgetreten; sich im Wahlkampf von Beginn an hinter Obama zu stellen, war für ihn gleichermaßen Selbstverständlichkeit und Genugtuung. Trotzdem hat er jetzt Wichtigeres zu tun – Geschäfte gehen eben vor.