Die Psychologie der Krise
- Written by Redaktion_Report
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Bricht an den Börsen Chaos aus, steht die sonst milde belächelte »weiche« Wissenschaft Psychologie plötzlich hoch im Kurs. Gier, Angst und Hoffnung statt harter Fakten regieren die Märkte, sagen auch die Ökonomen, wenn ihnen die Erklärungen ausgehen. Wie viel Psychologie steckt wirklich in der Krise?
Als sich im September 2008 an der Wall Street der große Zusammenbruch ankündigte, gab es einige besonders abgeklärte Wirtschaftswissenschafter, die lapidar darauf hinwiesen, dass eine Finanzkrise wirklich nichts Außergewöhnliches sei und im Schnitt etwa alle neun Jahre vorkomme. Nun scheint diese Feststellung samt der These, Krisen seien ein logischer Teil des kapitalistischen Wirtschaftskreislaufs, zwar plausibel. Jemandem, der gerade mehrere Millionen Dollar verpulvert hat, wird es trotzdem nur ein schwacher Trost sein, als kleines Rädchen an der Fortsetzung der Geschichte der Börsenabstürze mitgewirkt zu haben.
Gewöhnungseffekt
Börsianer sind Herdentiere. Beginnen die Kurse ins Unermessliche zu steigen, folgen sie euphorisiert und blind der Masse. So viele Kollegen können schließlich nicht irren! Doch, sie können. Alle Warnsignale werden in den Wind geschlagen, und so kommt der Crash für die meisten wirklich aus heiterem Himmel, während Außenstehende schon längst Bedenken anmeldeten. Aber es lief doch gerade so gut!
Die Finanzkrise dem emotionalen Ausnahmezustand ansonsten so kühl und rational agierender Ökonomen zuzuschreiben, ist dann aber doch etwas zu kurz gegriffen. Ganze Universitätsinstitute erforschen die Befindlichkeit und Entscheidungsmechanismen im Rahmen eines Wissenschaftszweiges, der sich »Behavioral Finance« nennt. Hier wird die Grauzone zwischen Kopf und Bauch ausgelotet. Denn Anleger folgen nicht (immer) ihrem Verstand, sondern ihrem Gefühl – vor allem wenn es riskant wird und, was das Schlimmste ist, ohne es zu merken. Der Kapitalmarktanalyst Joachim Goldberg, Autor des Buches »Behavioral Finance«, nennt einen weiteren Fehler: »Menschen bewerten Verluste etwa zwei- bis zweieinhalbmal stärker als Gewinne. Niemand will ein Verlierer sein, deshalb werden Verluste oft erst dann realisiert, wenn es gar nicht mehr anders geht.«
Gewinne werden dagegen von Beginn an deutlich weniger positiv gewichtet. Ein Verlust von 1.000 Euro schmerzt sehr, ein Gewinn von 1.000 Euro stimmt aber nicht in gleichem Maß glücklich. Menschen, die sich auf der Gewinnerseite befinden, neigen zu vorsichtigem Handeln. Hofft ein Anleger aber, Verluste wieder wettzumachen, erwacht plötzlich die Lust am Risiko – genau die falsche Strategie.
Häufen sich die negativen Erfahrungen, stumpft man zudem automatisch ab: Der erste Verlust erschüttert noch bis in die Grundfesten, später schockt nicht einmal mehr die Höhe aberwitziger Summen, die beiläufig in den Sand gesetzt wurden. Im Laufe der Zeit verschwimmen die Relationen: Was sind schon die fünf Milliarden Euro Verlust der Deutschen Bank gemessen an den 600 Milliarden Dollar an Verbindlichkeiten, die die Investmentbank Lehman Brothers angehäuft hatte?
Aus dem Bauch
Als Geschäftsführer der Frankfurter Finanzberatung cognitrend bietet Goldberg Banken und Fondsgesellschaften computergestütztes Trading an, das aktuelle Stimmungen am Markt zwar ebenso wie herkömmliche Daten berücksichtigt, sich aber nicht zu Fehlentscheidungen verleiten lässt. Privaten Anlegern empfiehlt der Experte für verhaltensorientierte Finanzmarktanalyse, schon vorab einen Investmentplan zu erstellen und die Aktien bei Erreichen einer bestimmten Grenze rechtzeitig abzustoßen. Bei verlustträchtigen Papieren fällt dies besonders schwer – die Hoffnung, der Kurs könnte noch einmal steigen und das Minus ausgleichen, hält sich wie bei Spielern hartnäckig. Bei hohen Gewinnen kommt dafür die Gier nach noch mehr Rendite dazu. So steigen viele Anleger gerne bei Titeln ein, die schon über einen längeren Zeitraum kontinuierlich gestiegen sind, um dann wochenlang dem Fallen der Kurse zuzusehen.
Niemand würde aber zugeben, dass es sich dabei um reine Bauchentscheidungen handelt. Der Psychologie werde, so Goldberg, in der Finanzwelt noch immer nicht der ihr gebührende Platz eingeräumt. So gebe es Studien, nach denen die Ereignisse an den Börsen zu 80 Prozent nicht makroökonomisch erklärbar sind. Trotzdem vertraue man weiterhin fast blind ökonomischen Daten. Einige Verhaltensmuster sind aber so stark in uns verankert, dass sie für Wirtschaftspsychologen sogar vorhersehbar und deshalb für Analysen in gewissem Ausmaß berechenbar werden.
Es lohnt sich in jedem Fall, kühlen Kopf zu bewahren. Gerade allgemeine Panik oder Euphorie ermöglichen mittelfristig erkleckliche Gewinne. Nach einem Crash sind Aktien besonders günstig zu haben, weil die Menschen plötzlich das Vertrauen in die Börse verloren haben. Gegen den Strom zu schwimmen, kann sich auszahlen, denn meist liegt die Mehrheit der Anleger falsch.
Verzerrte Wahrnehmung
Wie im Casino verdienen auch an der Börse nur wenige Marktteilnehmer das große Geld. Tatsächlich finanziert der weit überwiegende Teil der Anleger die oft beeindruckenden Gewinne Einzelner – Neid ist im übrigen auch eine mögliche Triebfeder für irrationales Verhalten.
Die Leidensfähigkeit der Börsianer ist diesbezüglich auch für Wirtschaftspsychologen überraschend. Auch nach 20 Prozent Verlust und mehr halten einige ihre Aktien weiterhin. Goldberg spricht von einer »verzerrten Wahrnehmung«, die widersprüchliche Informationen ausblendet oder schön färbt und nur die Meinung Gleichgesinnter gelten lässt.
Weitere Kardinalfehler: häufiges Umschichten des Portfolios und zu geringe Streuung der Titel. Der typische Durchschnittsanleger kauft und verkauft pro Jahr 70 Prozent seiner Aktien – weniger würde mehr bringen. Außerdem hält er nur ein paar Lieblingsunternehmen, setzt auf eine einzige Branche oder ganz patriotisch nur auf das eigene Land. Das Risiko wird dadurch ungleich höher, die Rendite steigt aber nicht.
Im Gegenteil – zu geringe Diversifikation führt leichter zu Verlusten. Werden dennoch Erfolge erzielt, kommt eine weitere menschliche Schwäche zum Tragen: die Selbstüberschätzung. Das Glück, dass einige Wetten unerwartet aufgegangen sind, wird fälschlicherweise der eigenen »genialen« Strategie zugerechnet. An Misserfolgen sind dagegen tendenziell immer andere, äußere Faktoren schuld, nie man selbst.
Krisenspirale
Auf die gegenwärtige Wirtschaftskrise bezogen, hat inzwischen eine ähnlich fatale Fehleinschätzung eingesetzt. Seit die Nachrichten von Berichten über Milliardenverluste und Pleiten dominiert werden, nehmen auch jene Menschen eine deutlich pessimistische Haltung ein, die bisher von der Krise gar nicht direkt betroffen sind. »Im Fall der Finanzkrise ist es nicht so, dass man unbedingt Geld verloren haben muss, sondern auch die Zukunftsaussichten nicht rosig sind«, sagt Erich Kirchler, Professor am Institut für Wirtschaftspsychologie der Universität Wien. »Irritation und Suche nach Neuorientierung sind die Zeichen einer Krise. Das mündet in Unsicherheit, manchmal auch gekoppelt mit Ängsten, weil verlässliche Informationen und Handlungsgrundlagen fehlen.«
Die Krisenstimmung setzt jedenfalls eine Spirale in Gang, die der weiteren Konjunkturentwicklung nicht gerade zuträglich ist. Sparen bei den Konsumausgaben, Gehaltskürzungen, Verlust des Arbeitsplatzes – das sind wechselseitige Auswirkungen der Realwirtschaft, die zunehmend mehr Menschen betreffen. Zudem schlagen sich die schlechten Prognosen aufs Gemüt. Der traditionellen Silvesterumfrage des Meinungsforschungsinstituts IMAS zufolge erwarten 30 Prozent der Österreicher das Jahr 2009 »mit Skepsis«, 29 Prozent gar »mit Sorge«. Nur 43 Prozent der Befragten blicken mit Zuversicht in die Zukunft, vor einem Jahr hatten sich noch 53 Prozent optimistisch gezeigt. Die Stimmung sei zwar deutlich gedrückt, aber nicht am Tiefpunkt, so die Meinungsforscher. Negative Rekordwerte gab es bisher nur im Herbst 1973 am Höhepunkt des Energie- und Ölpreisschocks, am Beginn der Wirtschaftsflaute in den frühen 1980er-Jahren und nach den Terroranschlägen des 11. September 2001. Es müssen also schon gravierende Ereignisse kommen, um den Pessimismus im Land noch zu verstärken. Trotzdem haben immerhin 35 Prozent der Österreicher bereits vor Weihnachten ihre Ausgaben, vor allem teure Anschaffungen, zurückgeschraubt. Jeder Dritte macht sich Sorgen um den Arbeitsplatz, 49 Prozent bangen um ihr Einkommen. Wo die Krise ihren Ursprung nahm, ist fast allen egal: Nur 13 Prozent der Österreicher interessieren sich für die Entwicklung an den Börsen. Was also tun – in fatalistischer Erstarrung verharren (»Wir können eh nichts ändern!«) oder den Galgenhumor auspacken (»Krise, welche Krise?!«)? Im Hinblick auf die eigene Gesundheit sei letztere Variante empfohlen, denn wer sich zu Tode fürchtet, stirbt bekanntlich trotzdem. Apropos Humor: Jüngsten Meldungen zufolge gibt es an der Wall Street auch Gewinner der Finanzkrise: Scheidungsanwälte, Psychotherapeuten und Geistliche.