Der Bischof vom Salzsee
- Written by A.A.Flatscher
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Es ist ein wunderschöner Tag mit perfekte Weitsicht, als die Delta-Airline-Maschine die Wasatch-Gebirgskette überfliegt und zum Landeanflug auf Salt Lake City ansetzt. Die Hochebene ist eingekreist von immer noch schneebedeckten Bergen und aus der Vogelperspektive erkennt man, warum sich hier eine Religionsgemeinschaft niedergelassen hat, die sich für das Zentrum des Christentums hält. Die Berge definieren die Außengrenzen des Kreises und im Zentrum steht der Tempel der »Church of Jesus Christ Latter-Day Saints«, oder kurz: Mormonen.
Der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney ist Mormone, aber nicht nur einfaches Mitglied. Er war in den 90er-Jahren Bischof seiner Gemeinde in Boston. Als dann Mitte 2001 die Organisation der Winterspiele 2002 zu scheitern drohte, riefen ihn die mormonischen Landesväter Utahs zu Hilfe. Er rettete die Spiele und machte sie zu einem veritablen wirtschaftlichen Erfolg. Drei Viertel der Einwohner Utahs sind Mormonen und an ihrer Hauptstadt erkennt man: Glaube und Geschäft geht Hand in Hand. Romney ist Beleg dafür. Als Chef von Bain Capital erfand er das Fondsgeschäft neu, übernahm aggressiv Firmen, baute sie aus, fusionierte oder sperrte sie einfach zu. So machte er sich und seine Aktionäre zu Superreichen.
Salt Lake ist eine blitzsaubere Stadt und im Kern befindet sich der Tempelbezirk, an dessen Eingang den Besucher Touch-Screens mit aufwendigen Videoanimationen empfangen, die erklären, wie sich das religiöse Zentrum zusammensetzt.
Ich bleibe etwas länger vor einer Tafel stehen und lese mir durch, was dort über das Verhältnis der Mormonen zu Staat und Recht steht. Denn dieses war von Anfang an spannungsgeladen. Joseph Smith, der Gründer und Autor des »Book of Mormons«, wurde mit seinen Anhängern in der 30er-Jahren des 19. Jahrhunderts aus Missouri vertrieben, und auch in Illinois, wohin die Mormonen weiter wanderten, kam es zu Religionskriegen. 1844 wurde Smith von einem aufgebrachten Mob gelyncht. Staat und Kirche haben die Mormonen nie sauber getrennt – deshalb empfinden Andersgläubige sie bis heute als Bedrohung.
Zwei Schwestern, wie die Missionarinnen heißen, sprechen mich an und erkennen in mir einen möglichen Konvertiten. Beide sind Anfang 20 und haben sich verpflichtet, 18 Monate lang der Kirche zu dienen, ehe sie in ihre Heimatländer zurückkehren und dort Familien in mormonischer Tradition gründen. Die eine stammt aus Indien, die andere aus Skandinavien. Was die Mormonen von anderen Christen unterscheidet, frage ich und die Skandinavierin antwortet: »Wir sind die einzig wahre Kirche. Gott selbst ist Joseph Smith erschienen und hat ihn getauft und ihm aufgetragen, seine Botschaft zu verbreiten. Er und seine Nachfolger sind Gottes Stellvertreter auf Erden.«
Sie seien die Auserwählten, meinen die Schwestern, und für mich wird es Zeit, den Tempel zu verlassen. Die Eiferer haben mich durstig gemacht, ich brauche ein Bier. Aber selbst die kleinen Sünden werden einem in Salt Lake nicht leicht gemacht: Keine Kneipe weit und breit!
Mormonen trinken keinen Alkohol, erklärt mir ein freundlicher junger Mann in einer Bäckerei. Selbst Kaffee steht auf der schwarzen Liste, aber das Koffein-Embargo wird nicht strikt eingehalten. Ich kriege meinen Espresso und denke mir: Was für eine Religion, die sich in alles einmischt. Irgendwann in ihrer Geschichte erlaubten die Mormonen nicht einmal Privateigentum. Jeder Besitz gehörte der Kirche. Aber das haben sie hinter sich gelassen, genauso wie die Polygamie. Ewige Treue ist heute das Motto. Und darauf konnte sich Mitt Romney bisher verlassen – sonst wäre er nie Kandidat geworden.