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Kalt angehaucht

Fernkälte ist nichts Neues, Paris und Stockholm verfügen über große Netze«, sagt Franz Schindelar, Technischer Direktor der Fernwärme Wien GmbH und stv. Obmann des Fachverbandes Gas Wärme. Auch Amsterdam und Barcelona bauen seit 2004 ihre Netze aus, Helsinki startete 2001. Schindelar ist überzeugt, dass Fernkälte in zehn bis 15 Jahren einen wesentlichen Beitrag zur Kühlung von Gebäuden leisten wird. Hotel- und Büroneubauten seien ohne Klimatisierung in Europa kaum mehr machbar, glaubt Schindelar. Damit nähert sich der alte Kontinent kontinuierlich jenen Werten, die in den USA und Asien üblich sind. Dort sind etwa achtzig Prozent der Büros klimatisiert, in Eu­ropa sind es gerade fünfzig Prozent. Der Preis für kühle Büroköpfe ist ein rasant steigender Ener­gieverbrauch, der sich in den heißen Julitagen eindrucksvoll nachvollziehen ließ. Die Fernwärme Wien will am Bürogroßprojekt TownTown demonstrieren, dass es auch sparsamer geht. Dort sollen die im Entstehen begriffenen 19 Bürogebäude zentral von einer Kältezentrale versorgt werden. Zwei Drittel des enormen jährlichen Kältebedarfs von 7000 bis 8000 MWh sollen mittels Absorptionskältemaschinen, ein Drittel mit einer elektrisch betriebenen Kompressionskältemaschine abgedeckt werden. Durch diesen Split können rund sechzig Prozent der CO2-Emissionen vermieden werden, verspricht Schindelar. Das System ist simpel: über einen geschlossenen Wasserkreislauf wird sechs Grad kaltes Wasser ins Gebäude gepumpt. Dort wird die Kälte abgegeben und das erwärmte Wasser rückgeführt. Gekühlt wird das Wasser mit Wärme oder Abwärme.Auch für den Bauherrn und die Nutzer hat das System Vorteile, schildert Erwin Soravia, Vorstand der Soravia-Gruppe, die das Projekt gemeinsam mit der Wiener Stadtwerke BMG und der Swiss Town Consult realisieren. »Wir sparen etwa 2000 m² an Nutzfläche, die sonst für Klimazentralen benötigt werden würde«, erklärt er. Des Weiteren könne man bei den Betriebskosten gegenüber konventioneller Kühlung etwa siebzig Cent pro Monat und Quadratmeter einsparen. Soravia freut sich, dass das bei TownTown gelebte Public-Private-Partnership-Modell auch bei der Kälteversorgung weitergelebt wird. Der für die Stadtwerke zufällig am Fernkälte-Präsentationstisch anwesende Michael Kraus findet, es sei »ein Glück, dass der Verwandtschaftsgrad zwischen Bauherr und Nutzer so groß ist«. Beamte seien besonders skeptisch gegenüber Neuerungen, weiß er und beziffert den Anteil an öffentlichen Nutzern mit neunzig Prozent. Kraus findet die Entscheidung für Fernkälte »mutig«, weil es nicht einfach sei, so etwas in den Markt zu bringen und die Immobilienwirtschaft unter härtesten Bedingungen entscheide. »Die Nutzer fürchten die Abhängigkeit«, weiß Schindelar. Trotzdem ist er überzeugt, dass die Fernkälte heute dort steht, wo die Fernwärme vor rund dreißig Jahren stand. Bis es so weit ist, muss noch viel gegraben und verlegt werden. Aufgrund der hohen Temperaturunterschiede zwischen Fernwärme und Fernkälte ist eine Nutzung des bestehenden Leitungsnetzes nämlich nicht möglich. Schindelar veranschlagt für einen Laufmeter Hauptleitung 3000 bis 4000 Euro. Den enormen Inves­titionen ins Leitungsnetz stehen relativ geringe Energiekosten im Betrieb gegenüber. Schindelar rechnet mit einer Amortisationszeit von 15 bis zwanzig Jahren. Ab dann wird Fernkälte so wie die warme Schwester Fernwärme zur netten Geldmaschine. Die Fernwärme Wien will diese jedenfalls in Betrieb nehmen und in den kommenden zehn Jahren jährlich zwanzig bis 25 Millionen Euro in den Netzausbau investieren. »Eine Kälteleistung von 100 MW ist ein erstes Ziel«, erklärt Schindelar. Potenzielle Projekte sind die Bebauungen an der Muthgasse, das AKH, die Donaucity, Lasallestraße, das Flugfeld Aspern und die Neubebauung am Westbahnhof. Um das auch kosteneffizient zu realisieren, plant die Fernwärme Wien die Errichtung zweier Großwärmespeicher, in denen die überschüssige Wärme aus der Müllverbrennung gespeichert und im Bedarfsfall wieder abgegeben werden kann. Das Speichervolumen ist mit 300 bis 400 MW gewaltig und »reicht für zwanzig Jahre Kälte«, wie Schindelar ausführt. Zusätzlich könnte auch die Donau zur Kühlung des zirkulierenden Wassers genutzt werden. Soravia weiß, dass das funktioniert. Er kühlt sein Haus mit Wasser aus dem Millstättersee.

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