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Landwirtschaft ist unkalkulierbar

\"ralfAgrarspekulationen sind nur ein Grund für Nahrungsknappheit.

Ralf Südhoff, Leiter des Berliner Büros des UN World Food Programme (WFP), über veränderte Ernährungsgewohnheiten, Kleinbauern in der Zwickmühle und Klimakatastrophen.

 

(+) plus: Die Preise für Nahrungsmittel explodieren. Trotzdem wird der Vorwurf der Spekulation von einigen Experten bestritten. Bestehen Ihrer Meinung nach Zweifel daran?

Ralf Südhoff: Spekulanten springen nur auf bestehende Trends auf. Andererseits kann man nicht verleugnen, dass die rasante Preisentwicklung nichts mit dem realen Angebot auf den Märkten zu tun hat. Nehmen wir als Beispiel Weizen her: Die Ernte fiel im Vorjahr zwar geringer aus, die Lager waren aber voll. Dieser Weizen kam aber nicht auf den Markt, dafür stiegen die Preise heuer um 30 bis 40 Prozent. Die Ernte wurde bewusst zurückgehalten.

(+) plus: Schon 2008 führte eine Spekulationswelle zu Hunger und Revolten. Stehen wir wieder an der Schwelle zu einer Ernährungskrise?

Südhoff: In der Tat stehen wir an einer Schwelle: Die Preise liegen schon jetzt höher als 2008. Im Moment haben wir noch Glück, dass aufgrund guter Ernten ein Puffer besteht. Grundsätzlich müssen wir aber von weiter steigenden Preisen ausgehen. Denn zur wachsenden Weltbevölkerung kommen der zunehmende Bedarf an Biosprit und geänderte Ernährungsgewohnheiten hinzu: In China und Indien wird immer mehr Fleisch konsumiert, dessen Produktion den Einsatz von Futtermitteln erforderlich macht.

(+) plus: Die Preise für Agrarrohstoffe entwickeln sich inzwischen parallel zum Ölpreis. Haben Termingeschäfte die Kontrolle über den Markt übernommen?

Südhoff: Die Nahrungsmittelpreise sind immer mehr mit den Energiepreisen verbunden. Das war schon 2008 zu beobachten, als der Ölpreis auf ein Rekordhoch stieg. Als der Ölpreis wieder sank, gingen auch die Nahrungsmittelpreise zurück. Für die Bauern ist es attraktiv, Biosprit zu liefern. Generell ist die Landwirtschaft sehr maschinell orientiert, auch der Einsatz von Kunstdünger ist sehr energieintensiv. Die Produktionskosten steigen dadurch kontinuierlich. Das ist eine bedrohliche Entwicklung.

Wir verzeichnen durch den Klimawandel heute viermal mehr Wetterdesaster als früher. Wenn ein großer Weizenproduzent wie Russland im Vorjahr durch Dürre stark betroffen ist, hat das massive Auswirkungen auf das weltweite Nahrungsmittelangebot und natürlich auch auf die Preise. Die Existenz der vielen kleinen Bauern ist aber noch viel unmittelbarer bedroht.

(+) plus: Wirken sich die Weltmarktpreise auch direkt auf die lokalen Märkte in den einzelnen Ländern aus?

Südhoff: Ja, aber mit beträchtlicher Verzögerung. Die Schwelle zur Ernährungskrise wurde deshalb noch nicht überschritten, weil die lokalen Preise von der Preisspirale noch nicht erfasst sind. Das saisonale Geschäft verläuft in Erntezyklen, und viele westafrikanische Staaten hatten eine gute Maisernte. Die Auswirkungen der Krise werden erst etwa ein Jahr später zu spüren sein. Auch nach der Krise 2008 stieg die Zahl der Hungernden erst 2009, als die Preise bereits wieder sanken. Die Landwirtschaft ist weltweit unkalkulierbar geworden. Die Märkte sind sehr volatil, und das macht es für einen Bauern, der ja nur eine Saison weit denkt, extrem schwierig.

(+) plus: Was muss geschehen, um die Nahrungsmittelknappheit einzudämmen?

Südhoff: Gerade in der Landwirtschaft kann man mit einfachen Maßnahmen viel erreichen. Ein afrikanischer Bauer holt etwa nur ein Zehntel dessen aus seinem Acker, was ein österreichischer Bauer an Ertrag erwirtschaftet. Durch einen Kleinkredit kann er sich aber besseres Werkzeug oder Saatgut kaufen und erhält außerdem Beratung über Bewässerungsmethoden. Leider beobachten wir in den letzten Jahrzehnten den gegenteiligen Trend. Kleinbauern können von ihren Erträgen kaum leben. Die traditionelle Landwirtschaft wurde vernachlässigt und stattdessen Kaffee oder Kakao für den Export angebaut. Deshalb sind heute viele Entwicklungsländer von Importen abhängig.

Wünschenswert wäre auch mehr Transparenz auf den Finanzplätzen. Wir könnten sehr viel weiter sein, wenn sich Händler registrieren müssten und so sichtbar wird, ob der Handel nur spekulativen Zwecken dient. Man sollte Höchstsummen festlegen, die ein Handelshaus nicht überschreiten darf, um somit ein Überschießen des Marktes und den Herdentrieb zu unterbinden.

(+) plus: In welchen Ländern ist die Lage besonders prekär?

Südhoff: In Somalia ist die Lage wegen interner Konflikte, aber auch aufgrund der großen Dürre sehr schwierig. In Bangladesch kostet ein typischer Warenkorb heute um ein Viertel mehr als noch vor einem Jahr. In Mosambik stieg der Reis- und Maispreis massiv an. Auch Äthiopien leidet unter der Dürre. Und in Pakistan können viele Flächen nicht bewirtschaftet werden, weil das Wasser seit der Überschwemmung noch immer nicht abgeflossen ist.
Aber es gibt auch positive Berichte: Malawi war noch vor wenigen Jahren massiv auf Hilfe angewiesen. Die Kleinbauern wurden mit subventioniertem Saatgut unterstützt und erzielen heute sogar Überschüsse. Auch Uganda und Ghana investieren zunehmend in die Landwirtschaft und verzeichnen ein erhebliches Wirtschaftswachstum.



WFP unterstützt rund 100 Millionen Hungernde in 73 Ländern mit Ernährungshilfe.

Info: www.wfp.org/de

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