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Wie Inflation Beine bekommt

Wie aus Deflation Inflation wird und aus Inflation Hyperinflation werden kann. Ein Marktkommentar von Martin Hüfner, volkswirtschaftlicher Berater des österreichischen Discount-Brokers direktanlage.at.
Deflation und Inflation sind eigentlich Gegensätze. Derzeit scheinen sie aber ganz nah beieinander zu liegen. Vielfach werden sie fast in einen Topf geworfen. Die amerikanische Notenbank hat massiv die Geldschleusen geöffnet, um gegen eine drohende Deflation vorzugehen. An sich hätte man erwarten müssen, dass die Anleger sich davon anstecken lassen und Angst vor einem Rückgang der Preise haben. Stattdessen gewannen aber inflationäre Befürchtungen die Oberhand. Der Goldpreis stieg. Die Notierungen einiger Rohstoffe gingen nach oben. Die Rendite 20 und 30 Jahre laufender Papiere hat sich relativ zu den 10jährigen kräftig erhöht. Wie wird aus Deflation Inflation und dann vielleicht sogar Hyperinflation? Angesichts der verbreiteten Verwirrung hier ein paar grundlegende Bemerkungen.

Gute und schlechte Deflation
Entscheidend für das Verhältnis von Deflation und Inflation ist die zeitliche Dimension. Kurzfristig gibt es demnächst Deflation. Der Anstieg des Preisniveaus hat sich in letzter Zeit rezessionsbedingt verlangsamt (Disinflation). In den nächsten Monaten wird sich diese Entwicklung fortsetzen und dazu führen, dass das Preisniveau unter das Niveau des Vorjahres fällt.

In China ist das schon der Fall (Inflationsrate bei – 1,6%). In Amerika wird es bald so sein. In Europa ist Mitte des Jahres damit zu rechnen. Das ist an sich nichts Schlimmes. Wenn Güter und Dienste billiger werden, erhöht sich die Kaufkraft der Verbraucher. Sie können mit dem gleichen Einkommen mehr kaufen. Man nennt das die „gute Deflation“. Erst wenn die Entwicklung anhält und sich verschärft, wird es problematisch. Wenn nämlich die Konsumenten anfangen, sich mit Käufen zurückzuhalten, weil sie noch niedrigere Preise erwarten, dann gewinnt die Deflation eine Eigendynamik. Es gibt bei den Preisen eine gefährliche Spirale nach unten. Das gleiche gilt, wenn die Menschen den Rückgang der Preise als Zeichen von Krise interpretieren, die auch ihre Arbeitsplätze bedroht. Denn dann halten sie sich auch mit Käufen zurück und sparen lieber. Das ist dann die „schlechte Deflation“.

Übertriebene Ängste

Bisher ist von einer „schlechten Deflation“ nichts zu sehen. Insofern sind die Ängste und Gegenmaßnahmen der amerikanischen Notenbank übertrieben. Andererseits ist es richtig, wenn die Wirtschafts- und Währungspolitik voraus denkt und dafür sorgt, dass ein solcher Fall gar nicht erst eintritt.
Das Problem ist nur, dass die Bekämpfung der Deflation inflationäre Effekte hat. Massive Geldvermehrung und ein starker Anstieg der Staatsverschuldung, die wir derzeit erleben, haben in der Vergangenheit häufig die Preise nach oben getrieben. Aber auch hier sind die ökonomische Logik und die Zeitachse zu beachten. Preise steigen immer nur, wenn die Nachfrage größer als das Angebot ist. Inflation gibt es daher erst, wenn die Rezession vorbei ist und die Konjunktur wieder anspringt. In Japan ist das in den letzten zwanzig Jahren trotz hoher öffentlicher Defizite und Null-Zinsen nicht passiert. Wer auch bei uns mit japanischen Verhältnissen rechnet, muss vor Inflation keine Angst haben.

Selbst wenn es zu einer Erholung kommt, führt das nicht sofort zu Inflation. Zunächst müssen die Unternehmen erst einmal die brach liegenden Kapazitäten nutzen, bevor sie die Preise erhöhen. In diesem Jahr und vermutlich wenigstens in der ersten Hälfte 2010 brauchen wir uns hier noch keine Gedanken zu machen. Selbst wenn – wie aufgrund der Basiseffekte zu erwarten – die Inflationsrate ab Sommer dieses Jahres wieder in Richtung 2% steigt, ist dies noch keine Gefahr für die Stabilität. Es ist nur eine Normalisierung. Die Europäische Zentralbank definiert Stabilität als einen Anstieg der Preise um „nahe aber unter 2%“.
Danach aber kann es ungemütlich werden. Wenn nämlich die private Nachfrage steigt und die öffentliche Nachfrage nicht in gleichem Ausmaß zurückgeht, droht schnell eine Überforderung der Ressourcen.

Das Gleiche gilt, wenn Konsumenten und Unternehmen die großen Mengen an Liquidität, die die Notenbanken geschaffen hat, nicht mehr horten, sondern zu einer Ausweitung der Nachfrage nutzen. Dann kann es mit der Geldentwertung schnell weiter nach oben gehen. Die Entwicklung geht dann rascher als viele sich das vorstellen.

Beispiel 20er Jahre
Ich habe mir dazu einmal die Entwicklung der Inflation vor der großen Hyperinflation 1923 in Deutschland angesehen, die heute von vielen als Menetekel angesehen wird. Leider gibt es hier keine so verlässlichen Zahlen. Aber das, was überliefert ist, ist schon erschreckend. Die Inflation bekam in kurzer Zeit Beine, dass sie nicht mehr zu halten war: Sie stieg von 8% im Jahr 1916 auf unvorstellbare 1 870 000 000% im Jahr 1923. Ich möchte damit nicht sagen, dass so etwas heute wieder droht. Die Sensibilität im Hinblick auf die inflationären Gefahren ist inzwischen ungleich größer. Damit so etwas nicht passiert, muss allerdings die Politik im Falle eines konjunkturellen Aufschwungs sehr schnell umschalten. Die öffentlichen Defizite müssen drastisch zurückgefahren werden.  Die Zentralbanken müssen „praktisch von einem Tag auf den anderen“ die überschießende Geldmenge wieder einsammeln und die Zinsen erhöhen. Die Restriktionsschritte müssen dann genauso radikal sein wie die jetzigen Expansionsmaßnahmen. Das wird außerordentlich schwer.

Für den Anleger: Er kann im Grunde zwischen drei Szenarien wählen, von denen eine schlechter als die andere ist. Das erste ist das Japan-Syndrom, bei dem es Deflation und keinen Aufschwung gibt. Dann leiden wir „nur“ unter mangelndem Wachstum. Das zweite ist eine normale Konjunkturerholung, die dann aber mit deutlichen Zins- und Steuererhöhungen verbunden ist, damit eine Inflation verhindert wird. Wenn es dazu nicht kommen sollte, dann droht – drittens – Inflation bis hin zu einer Währungsreform. Ich halte die zweite Alternative für das Wahrscheinlichste, schließe aber die beiden anderen nicht aus.
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