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Werbung, schizophren

Ich geb’s zu: Ich bin nicht allein. Selbst wenn ich allein bin. Ein bisschen hatte ich mich ja schon dran gewöhnt: Als Ein-Mann-Unternehmen muss man aus schierer Professionalität streng zwischen den Bereichen seines Unternehmens trennen, was bei handfesten Ich-AGs im schlimmsten Fall in multiplen Persönlichkeiten mündet. Diese Hürde habe ich zum Glück umschifft, da ich als Betriebsrat mit mir als Chef vor längerer Zeit einen, sagen wir mal, Pakt geschlossen habe, der verhindert, dass ich als ausgebeuteter Arbeitnehmer meiner selbst die Barrikaden stürme und mich als Boss zum Teufel jage. Im Vertrauen: Ich als Chef hab mir als Gewerkschafter zähneknirschend eine All-inclusive-Woche in Südspanien zukommen lassen, und jetzt ist Ruhe. Nein, mit meiner hausgemachten Schizophrenie komme ich - pardon: wir - inzwischen recht gut zurecht. Was mir in letzter Zeit mehr Sorgen bereitet, ist die Werbung.
Denn immer, wenn ich in letzter Zeit zum Beispiel lustlos an einer Leberkässemmel kaue, taucht wie aus dem Nichts ein schräger Typ mit weißem Rollkragenpulli und Sakko auf und flüstert mir was ins Ohr. Mal ehrlich, der Typ behauptet zwar, er ist mein Hausverstand - aber ist das ein Grund, mir jedesmal altkluges Gewäsch ins Ohr zu sabbeln, wenn ich am überlegen bin, ob ich nicht doch lieber das superbillige Pils aus Nordpolen im Diskonter nehmen sollte? Richtig schräg wurde es erst, als ich bemerkte, dass derselbe Typ anscheinend überall ist und bei jedem Einkäufer sein unheilvolles Werk verrichtet - und eins kann ich Ihnen sagen, es ist ein schockierender Anblick, im Supermarkt bei jedem einzelnen Kunden diese unheimliche, hagere Gestalt in vielfacher Ausführung zu beobachten, wie sie, einem aufhockenden Vampyr gleich, leise und beharrlich in die unschuldigen Gehörgänge all jener nuschelt, die zufällig mal aus Spaß nicht das hochwertigste Produkt aus dem Augenwinkel angeblinzelt haben. Teufelswerk! Als ich allerdings, lauthals »Weiche, Satanas!« brüllend, durch den Supermarkt quer über die Gemüseabteilung stürzte und, ein aufgerissenes Päckchen Bad Ischler Spezialsalz schwingend, nach altem Brauch die dämonische Höllenbrut vertreiben wollte, wurde ich trotz aller Erklärungsversuche hochkant rausgeschmissen. Seitdem tue ich mein Bestes, den gruseligen »Hausverstand«, so gut es geht, zu ignorieren. Wär ja noch schöner!
Ein bisschen weniger lästig, aber ebenso bedenklich, ist die penetrante Stimme in meinem Ohr, wenn ich, den hinterfotzigen Hausverstand ignorierend, beim Fast-Food-Restaurant meiner Wahl um Futter anstehe. Mein Geschmack sei sie, so behauptet die Stimme frech und unignorierbar direkt in meinem Schädel. Der Gipfel an Unverfrorenheit, wo kommt der den plötzlich her? Bitte, jeder, der mich kennt, weiß, dass ich noch nie Geschmack hatte, also kann es sich auch bei dieser Einflüsterung nur um werbungsbedingte Aufforderung zur Persönlichkeitsspaltung handeln - ein infames Komplott der multinationalen Gehirnwäscher, um ihre Opfer gefügig zu machen! Ich wird mich beschweren, jawoll, dass das nicht erlaubt ist, das sagt mir ja schon mein Hausverst … oh-oh.
Meine Freundin hat’s auch schon erwischt. Egal, ob sie ihren Urlaub buchen will, die Wohnung wechselt oder ein Auto kaufen möchte: Ständig lungert da ein abgeleckter Anzugtyp mit zugeschwollenen Augen bei ihr rum, der klugscheißerisch behauptet, er sei ihre Bank und gehöre »zur Familie«. Na, Sie können sich ja denken, was ich davon gehalten habe, als sie’s mir erzählt hat. Offen gestanden muss ich aber sagen, dass ich dran denke, auch zu ihrer Bank zu wechseln. Denn egal, wie lästig ihr Westentaschenyuppie auch sein mag, immer, wenn mir meine Bank in Gestalt von haarigen Möbelpackern erscheint, wird mir angst und bang um meine wertvolleren Einrichtungsgegenstände. Dass ich die kaufen soll, hat mir übrigens ein fünf Zentimeter großer Brite geraten, der immer drängelt, ich soll mit meiner Bankomatkarte einkaufen. Mit einem Wort: Ich bin nicht allein. Zumindest nicht, bis ich einen anständigen Exorzisten gefunden habe.
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