Eines muss zu allererst klar gestellt werden: Mauern hat das Internetprotokoll (IP) bislang keine umgerissen. Der Migration der smarten, paketorientierten Datenkommunikation in die Telefoniewelt wurde ja schon allerlei übernatürliches Zukunftspotenzial vorausgesagt. »We will blow away these old fucking switching companies«, ist einer diese Sprüche: Cisco-Chef John Chambers blies vor Jahren zum Feldzug gegen die Telko-Branche. Diese möge sich schleunigst ein IT-Mäntelchen überziehen, so Chambers damals sinngemäß, schließlich werde es bald sehr, sehr kalt für den klassischen TK-Markt. Nun, kälter ist es ohnehin geworden. Die große Revolution ist aber ausgeblieben. Medial überbewertet und ausgereizt erlebt die Wirtschaft nun den schleichenden Wandel des Sprachverkehrs in die IP-Netze. Vor allem die Standortvernetzung hat der IP-Telefonie bereits zu signifikantem Wachstum verholfen: »Etwa dreißig bis vierzig Prozent der Vernetzungen sind bereits mittels IP-Technologie realisiert«, beschreibt Siemens-Manager Josef Jarosch erwiesene Erfolge mit Businesslösungen (siehe
Interview). Dies und die derzeit wesentlich langsamere Migration herkömmlicher Telefonanlagenlösungen in die Computernetzwerke bei den Unternehmen sind schlichtweg in einer »nicht aufzuhaltenden Entwicklung«, sieht Jarosch. Mittlerweile sei nur noch die Frage, wie rasch es kommt. »Dass es kommt, ist fix.«
Mitteldinge. Sind IP-Lösungen in den Core-Netzwerken der Provider noch leicht darstellbare Verkaufsschlager (der IP-Provider hebelt mit einer konvergenten Lösung den klassischen Telefonieanbieter einfach auf der Kostenseite aus), wird’s bei der Vernetzung am Kundenstandort selbst kompliziert. Für die IP-Vernetzung des Sprachverkehrs braucht es im Hintergrund natürlich ein Wide-Area-Network, ein WAN, das den geforderten Quality-of-Service ermöglicht. Das Thema Sprachqualität ist also durch gewährleistete Durchsatzraten, priorisierten Voice-Traffic und redundante Stromversorgungen gelöst. Schwierig ist es dagegen, die vom WAN-Provider bereitgestellte Qualität auch am Standort im LAN aufrecht zu erhalten. Dazu sind oft große Investitionen nötig. Somit darf jeweils das individuelle Einsparungspotenzial berechnet werden, das sich bei einem Umstieg auf Voice-over-IP (VoIP) ergibt. Rechtfertigt dies die Investition nicht, werden eben die bestehenden, leitungsvermittelten Telefonsysteme weiter erneuert und ausgebaut. Experten warnen: »überhaupt kein Problem, das können Sie einfach an das IP-Netz anschließen«, sei dazu die allergrößte Marketinglüge, die in der einschlägigen Branche zu finden ist. Besonders der Mittelstand tappt bekanntlich gerne in solche Fallen. In den USA, dem Mutterland der VoIP-Lösung, sind deswegen schon reihenweise CIOs gefeuert worden, erzählt man sich im bislang eher von VoIP-Lösungen verschonten österreich. Am Ende hätte den Unternehmen der Shift bestehender Infrastruktur in IP-Anlagen horrende Summen gekostet. Seitdem setzen die Anbieter auf Hybridlösungen, die die alte und neue Welt zu einem nach außen sichtbar homogenen Produkt vereinigen. Doch gibt es bereits Referenzstorys aus österreich, die die neuen Möglichkeiten durch den Einsatz von IP-Anlagen glaubwürdig darstellen. Das Thema IP hat sein Gesicht geändert: Es ist nicht mehr technischer Zwang, sondern unternehmerische Notwendigkeit geworden. Besonders bei Neubauten lohnt sich der Blick auf ein Angebot zur IP-Vernetzung der Sprachtelefonie allemal. Paradebeispiel: Die Errichtung des T-Systems- und T-Mobile-Hauptquartiers am Wiener Rennweg ermöglichte österreichs bislang größte VoIP-Installation. »Doppelte Infrastrukturen, also IT-Netzwerk und Telefonnetz, sind langfristig nicht zu rechtfertigen«, weiß der hiesige Netzwerkverantwortliche Claus Haiden. Cisco-Chef Carlo Wolf, der den Roll-out produktseitig unterstützte, spricht von »bereits fünfzig Prozent neu installierter Anlagen«, die auf IP setzen. »Unsere Mitarbeiter sind begeistert von den neuen Anwendungen und es ist höchst sinnvoll, dass wir im eigenen Haus die neuesten Technologien implementieren, die wir am Markt auch anbieten«, berichtet Tina Reisenbichler, Mitglied der Geschäftsleitung T-Systems, aus der Betriebspraxis. So etwas kommt gut an und erfreut den Integrator der Lösung am Rennweg, NextiraOne. »Die hohe Akzeptanz bei den Anwendern bestätigt den Erfolg des Projektes«, sagt Geschäftsführerin Margarete Schramböck.
Neue Wege. Wenn auch ein Zweitcomputer am Arbeitsplatz in der Form eines IP-Telefons nicht unbedingt mehr das Gelbe vom Ei ist - gutes Marketing zum Geschäftsnutzen lässt sich damit allemal veranstalten. Beispiel T-Center: Die Software »AlwinPro« liefert nun eine detaillierte Gebühren- und Verkehrsauswertung über Intra- oder Internet. Die Applikation »caesar« ermöglicht Unified-Messaging. Das heißt: Einlangende Faxnachrichten lassen sich als TIF-Datei in der Outlook-Mailbox der Mitarbeiter direkt bearbeiten und elektronisch verwalten. Nachrichten auf der Voicebox gelangen als MP3-Files ins Mailsystem und können am Computer abgehört werden.
Bahnbrechend. Gerade auf Applikationsseite verkaufen die Integratoren VoIP als bahnbrechende Technologie, die auf jeden Fall ausgereift sei, um unternehmensweit eingesetzt zu werden. Marktforscher haben dies in Return-on-Investment-Modellen bestätigt: Da wurden gleich mal 500.000 Euro alleine an Verkabelungskosten mit einer IP-Anlage eingespart. Aber auch weniger quantifizierbare Vorteile gibt es für Firmenkunden: neue Telefonleistungsmerkmale, verbesserte Kundenbetreuung, Self-Services und eine verbesserte interne Kommunikation. Ortsunabhängigkeit sei der unmittelbarste Vorteil. Stichwort Mobilität: Ein Vorteil der LAN-basierenden Telefonie besteht darin, dass ein Benutzer nicht mehr an eine bestimmte Telefonleitung gebunden ist. Anrufe können damit dorthin weitergeleitet werden, wo sich der Benutzer laut seinem Outlook-Kalender befindet. »Hosted IP PBX«-Lösungen verwenden die bestehende LAN-Infrastruktur eines Unternehmens und sind daher nicht auf fest zugeordnete Verkabelung angewiesen, wie herkömmliche leitungsvermittelte Telefonsysteme. Daraus ergeben sich auch Ressourceneinsparungen bei Wartung und Betrieb: IP-basierende Standardlösungen werden vom IT-Personal des Unternehmens mitbetreut und bilden damit eine Synergie zwischen Sprache und Daten - die traditionelle Angst des TK-Verantwortlichen vor der IT-Abteilung.
Und: übersiedlungen von Nebenstellen innerhalb einer Firma sind in der Regel eine kostspielige Angelegenheit, bei der auf der technischen Seite sowohl Eintragungen von Klappennummern als auch änderungen der dedizierten Telefonverkabelung durchzuführen sind. »Mit IP-basierenden Systemen lassen sich diese Kosten um bis zu zwei Drittel senken«, sagt Kapsch-CarrierCom-Vorstand Thomas Schöpf und präsentierte vor wenigen Wochen eine VoIP-Plattform, die Outsourcing von Businesstelefonie an Carrier und Service-Provider ermöglicht. Diese unterstütze den Ruf der Kunden nach günstigen Telefonservices bei entsprechender Feature-Vielfalt, beschreibt Schöpf, Lieferant der virtuellen Nebenstellenanlage »Office Phone IP« an Tele2UTA.