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Führen ohne Weisungsbefugnis

Im Wandel der Zeit. Standortübergreifende Team- und Projekt­arbeit ist heute ein zentraler Erfolgsfaktor der meisten Unternehmen. Im Wandel der Zeit. Standortübergreifende Team- und Projekt­arbeit ist heute ein zentraler Erfolgsfaktor der meisten Unternehmen. Foto: Thinkstock

Beim Entwickeln der besten Problemlösung in Unternehmen ist oft Experten-Know-how gefragt. Also sollten die Experten ihr Spezialwissen so präsentieren und vermitteln können, dass ihre Kollegen, aber auch Vorgesetzte auf ihre Empfehlungen hören. Wie es gehen kann, zeigt Swarovski.

Die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens hängt stark von der fachlichen Kompetenz seiner Mitarbeiter ab; zudem davon, wie effektiv das Fach-Know-how der Mitarbeiter genutzt wird. Das war schon immer so.

In den zurückliegenden Jahrzehnten haben sich aber in den meisten Unternehmen die Anforderungen nicht nur an die Führungs-, sondern auch an Fachkräfte radikal geändert – unter anderem weil sich die Arbeitsstrukturen und -beziehungen in den Betrieben gewandelt haben. So wurde zum Beispiel noch vor ein, zwei Jahrzehnten in der Regel nur in wenigen Bereichen Teamarbeit praktiziert. Heute hingegen ist die oft bereichs- und hierarchieübergreifende und zuweilen sogar standortübergreifende Team- und Projektarbeit »ein zentraler Erfolgsfaktor der meisten Unternehmen«, betont Christina Hofer, Head of Talent Development bei  Swarovski, das die breite Öffentlichkeit primär wegen seiner aus
Kristall gefertigten Schmuck-, Accessoire- und Textil-Komponenten kennt.

Dadurch haben sich auch die Anforderungen an die Träger des für den Unternehmenserfolg wichtigen Fach-Know-hows verändert. Sie müssen sich heute viel intensiver als früher mit den Kollegen im eigenen Bereich und oft sogar im gesamten Unternehmen austauschen und mit ihnen Problemlösungen entwerfen. Als Spezialisten haben sie zudem häufig bezogen auf gewisse Aufgaben ein größeres Fachwissen als ihre Vorgesetzten. Also sollten sie auch mit ihnen regelmäßig das Gespräch suchen – um sie zum Beispiel auf Risiken und Chancen hinzuweisen, die mit bestimmten Problemlösungen verbunden sind, damit diese ihre Einschätzungen und Empfehlungen bei ihren Entscheidungen berücksichtigen können.

Weiterbildung zum »Fachexperten« gestartet
Vor diesem Hintergrund beschloss das Unternehmen Swarovski, für das weltweit circa 25.000 Personen arbeiten, 2011, an seinem Stammsitz in Wattens ein Weiterbildungsprogramm für die Mitarbeiter zu starten, die Träger erfolgsrelevanten Fachwissens sind – unabhängig davon, in welchem Bereich sie arbeiten. Damit verfolgte das Familienunternehmen laut Christina Hofer unter anderem folgende Ziele: Bei den Know-how-Trägern sollten jene Kompetenzen ausgebaut werden, die sie aufgrund der verändernden Anforderungen für ein erfolgreiches Wahrnehmen ihrer Funktion brauchen. Zudem wollte Swarovski ihnen mit der Weiterbildung zum »Fachexperten« eine Entwicklungsperspektive jenseits der Führungslaufbahn aufzeigen – als Ausdruck der Wertschätzung ihrer Arbeit und um sie emotional noch stärker ans Unternehmen zu binden. Denn aufgrund des demografischen Wandels wird es zunehmend schwierig, Mitarbeiter mit dem Fach-Know-how und den persönlichen Eigenschaften zu finden, die wir für ein erfolgreiches Arbeiten brauchen. Als Partner für das Entwicklungsprogramm wählte Swarovski das Training- und Beratungsunternehmen Voss+Partner, das bereits Erfahrung mit ähnlichen Projekten hatte und für seine Train-the-trainer-Seminare in einem Vergleichstest der Stiftung Warentest Bestnoten erhalten hatte.

Im Dialog entwickelten die beiden Partner das Konzept für eine berufsbegleitende Weiterbildung der Know-how-Träger zu sogenannten Fachexperten, die sich über drei Monate erstreckt. Sie besteht aus sechs Ausbildungsmodulen, wobei jeweils zwei Module zu einem zweitägigen Seminar zusammengefasst sind.

Experten reflektieren ihre Rolle und Funktion
Das erste Modul trägt die Überschrift »Das eigene Rollenverständnis klären – sich selbst und andere besser verstehen«. In ihm befassen sich die Teilnehmer unter anderem mit der Frage, inwiefern sich die Arbeitsinhalte, -strukturen und -beziehungen in ihrem Bereich gewandelt haben und welche neuen Anforderungen hieraus an sie als Träger von erfolgsrelevantem Wissen erwachsen. Das Ziel hierbei ist laut Karin Unger, Projektmanagerin bei Voss+Partner: Den Teilnehmern soll bewusst werden, dass es zu ihren Aufgaben zählt, »ihr wertvolles Wissen aktiv in die Organisation einzubringen und es ihren Kollegen, aber auch Vorgesetzten sozusagen zu verkaufen« – unter anderem, um diese vor Fehlentscheidungen zu bewahren. Sie müssen außerdem, »soweit nötig und möglich, ihr Fachwissen an ihre Kollegen weitergeben, damit diese ihre Leistung verbessern und ihre Arbeit zielorientiert planen und gestalten können«.

Hierauf aufbauend beschäftigen sich die Teilnehmer anhand eines vorab erstellten individuellen Persönlichkeitsprofils mit den Fragen: Welche Denk- und Verhaltenspräferenzen haben ich aufgrund meiner Biografie und meines Wertesystems und inwieweit unterscheiden sich diese von denen anderer Menschen? Dabei lautet das übergeordnete Ziel: Die Teilnehmer sollen lernen, sich auf Menschen, mit denen sie im Berufsalltag zu tun haben, einzustellen, damit ihre Botschaften von ihnen angenommen und Konflikte in der Zusammenarbeit vermieden werden.

Experten sind auch Wissens­vermittler
Im zweiten Modul mit dem Titel »Der Experte als Wissensvermittler« erfahren die Teilnehmer, dass es außer verschiedenen Persönlichkeits- auch unterschiedliche Lerntypen gibt, weshalb sie die Wissensvermittlung, abhängig davon, mit wem sie kommunizieren, anders strukturieren und gestalten müssen – zumindest wenn sie beim Gegenüber eine Einstellungs- oder Verhaltensänderung auslösen möchten. Zudem üben die Teilnehmer an Praxisbeispielen, Wissen zu vermitteln. Dabei lernen sie nicht nur die allgemeinen Regeln für das Vermitteln komplexer Inhalte kennen (wie zum Beispiel »vom Allgemeinen zum Besonderen«), geübt wird auch das Verwenden sprachlicher Bilder, um Sachverhalte zu verdeutlichen. Auch so scheinbar banale Dinge, wie den Blickkontakt suchen und halten, werden trainiert – zum Beispiel in zwei Auftritten vor der Ausbildungsgruppe, die die Teilnehmer zuvor planen.

Im dritten Modul geht es um das Thema »Konfliktfrei kommunizieren«. In ihm erfahren die Teilnehmer, wie schnell Missverständnisse entstehen. Hierzu dient eine Übung, bei der eine Gruppe von Teilnehmern zunächst ein Objekt aus 22 Lego-Steinen baut. Danach soll eine zweite Gruppe, die hinter einer Trennwand steht und das Objekt nicht sieht, dieses rein anhand der mündlichen Anweisungen der ersten Gruppe nachbauen. Hierbei wird rasch deutlich, wie schnell wechselseitige Schuldzuweisungen und Kränkungen entstehen, wenn etwas nicht auf Anhieb klappt und die Stimmung gereizter wird. Hierauf aufbauend erfahren die Teilnehmer, wie zum Beispiel durch ein aktives Zuhören Missverständnisse und durch Ich-Botschaften Kränkungen vermeiden werden. Trotzdem treten im Betriebsalltag, wo es meist hektischer als in einem Seminar zugeht, immer wieder Irritationen auf. Deshalb trainieren die Teilnehmer in diesem Baustein auch, (zwischenmenschliche) Probleme strukturiert zu bearbeiten und zu lösen.

Menschen ohne Weisungsbefugnis führen
Im vierten Baustein geht es um das Steuern von Gruppen und Teams – und zwar mit und ohne Weisungsbefugnis, wie Helmut Gassmer, Head of Process Engineering, und Gerda Sparber, Talent Development-Verantwortliche bei Swarovski betonen, die mit Christina Hofer die Verantwortung für die Weiterbildung tragen. Denn im Betriebs­alltag müssen die Fachexperten, wenn es um das Entwerfen oder Umsetzen gewisser Problemlösungen geht, oft auch Kollegen oder gar Vorgesetzte »führen«. Deshalb befassen sich die Teilnehmer in diesem Modul auch mit den Entwicklungsphasen, die Gruppen und Teams auf dem Weg zum Spitzen-Team durchlaufen; außerdem erfahren sie in Praxisübungen, was nötig ist, damit Teams optimal funktionieren und wie man Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse in ihnen steuert – unter anderem durch den Bezug auf das Ziel, das es gemeinsam zu erreichen gilt.

Im fünften Modul »Der öffentliche Auftritt« üben die Experten, Referate, Vorträge und Reden zu halten. Außerdem trainieren sie, Sitzungen und Meetings zu moderieren und den Meinungs- und Entscheidungsprozess zum Beispiel so zu steuern, dass am Schluss ein klares Commitment besteht: Wer macht was bis wann? Im sechsten und letzten Modul reflektieren sie dann nochmals ihren Lern- und Entwicklungsprozess in der Weiterbildung. Außerdem befassen sie sich vertiefend mit dem Persönlichkeitsprofil und den unterschiedlichen Werthaltungen und Bedürfnissen ihrer (firmeninternen) Kunden, mit dem Ziel, noch besser mit ihnen zu kommunizieren und aufgrund der Wertschätzung, die sie selbst für ihr Gegenüber zeigen, auch ihre eigene Wirksamkeit zu erhöhen.

Menschen mit dem Auftreten und Verhalten überzeugen
Das ist für viele Experten laut Karin Unger keine leichte Aufgabe, denn sie haben meist eine (informations-)technische oder naturwissenschaftliche Ausbildung durchlaufen und »sich mit der Frage, wie Menschen ticken und wann Kommunikation funktioniert, noch nicht explizit befasst«. Hinzu kommt: Gerade auf der Shopfloor-Ebene, also der operativen Ebene von Unternehmen, ist die Mannschaft oft sehr heterogen – nicht nur bezüglich der Ausbildung, sondern auch in Bezug auf den sozialen und kulturellen Hintergrund. Entsprechend flexibel muss das Verhalten der »Fachexperten« sein. Und entsprechend schwierig ist es gerade hier oft, Meinungsbildungs-, Entscheidungs- und Lernprozesse zu steuern – insbesondere dann, wenn man über keine Weisungsbefugnis verfügt »und die Menschen deshalb primär mit seiner Fachkompetenz und dem persönlichen Auftreten und Verhalten überzeugen und motivieren muss«, wie Christina Hofer betont.  Auf diesem Weg bringt die Weiterbildung laut Christina Hofer die Teilnehmer »erkennbar ein großes Stück voran« – denn sie vermittelt ihnen die nötige Rollenklarheit. Außerdem gibt sie ihnen die nötigen Methoden an die Hand, um Menschen Wissen zu vermitteln und Gruppenprozesse zu steuern. Eine Schlüsselrolle spielt hierbei, dass die Teilnehmer lernen, »stärker adressatengerecht zu denken. Denn dies eröffnet ihnen den Zugang zum Gegenüber.«

Weiterbildungskonzept hat sich bewährt
Aufgrund dieser positiven Erfahrung führte Swarovski die Weiterbildung im Zeitraum 2011 bis 2014 bereits neun Mal durch, so dass inzwischen über 100 Know-how-Träger in dem fast 5.000 Mitarbeiter zählenden Stammwerk in Wattens diese durchlaufen haben. Neun weitere Weiterbildungen starten 2015.

Swarovski hegt jedoch nicht die Illusion, dass die Teilnehmer ihre Rolle als »Fachexperte« ein für alle Mal verinnerlicht haben und diese beherrschen. Diese Erwartung wäre zu hoch, betont Hofer. Denn die Fachexperten agieren in einem Umfeld. Und dieses muss sich, damit die Experten ihre Funktion optimal wahrnehmen können, mitverändern. Solche kulturellen Changeprozesse dauern ihre Zeit. Und solange sie nicht abgeschlossen sind, gibt es immer wieder Irritationen und Friktionen. Deshalb führte Swarovski mit Voss+Partner-Unterstützung 2014 auch ein Aufbautraining »Konfliktmanagement« für die Teilnehmer der Fachexperten-Weiterbildung durch; angedacht ist zudem ein Baustein, in dem die Experten lernen, Workshops noch effektiver zu gestalten.

Deutlich merkt man jedoch laut Hofer: Die Weiterbildungsteilnehmer nehmen ihre Aufgaben als »Experte für …« sowie als Wissensvermittler
und Impulsgeber heute viel aktiver als früher wahr. Dazu trägt auch bei, dass zwischen den Teilnehmern der Weiterbildung bereichs- und abteilungsübergreifend ein Netzwerk entstanden ist. Das heißt, die Fachexperten sind nicht nur selbst Ansprechpartner für gewisse Fragen in der Organisation, auch sie haben Ansprechpartner, wenn sie mal unsicher beim Wahrnehmen ihrer Funktion sind.

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