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Der unberechenbare Konsument

(Foto: photos.com) Viele Menschen haben ­Lieblingsgeschäfte, Lieblingsprodukte und Lieblingsmarken – sie lieben es aber auch, unter mehreren Optionen wählen zu können. (Foto: photos.com) Viele Menschen haben ­Lieblingsgeschäfte, Lieblingsprodukte und Lieblingsmarken – sie lieben es aber auch, unter mehreren Optionen wählen zu können.

Das Kundenverhalten hat sich in den letzten  Jahren maßgeblich verändert. Menschen werden mobiler, informierter und sprunghafter. Der Einkauf beim Diskonter ist keine Frage des Einkommens, Statussymbole sind nicht mehr soziotypisch zuzuordnen. Unternehmen müssen ihre Zielgruppen künftig genauer identifizieren und ansprechen.

Früher konnte man sich auf seine Kunden verlassen. Sie kauften stets in denselben Geschäften bei den Händlern ihres Vertrauens. Hatten sie sich einmal für eine Marke entschieden, blieben sie dieser oft über Jahrzehnte treu und gaben ihre Einkaufspräferenzen auch noch an ihre Kinder und Enkel weiter.

Von solchen Konsumenten können Unternehmen heute nur noch träumen. In den letzten zehn Jahren hat sich das Verhalten der Kunden grundlegend verändert. Die rasante Entwicklung der Technik, insbesondere des Internets und Smartphones, stellen völlig neue Anforderungen an Konsumenten, Handel und Produzenten. Aber auch der demografische Wandel, die Globalisierung, Klimaeinflüsse, Wirtschaftskrisen oder die Entwicklung zu einer Wissensgesellschaft beeinflussen unsere Lebensweise nachhaltig. Auch Klein- und Mittelbetriebe müssen künftig verstärkt über ihre Wettbewerbsfähigkeit nachdenken und ihre Produkte und Dienstleistungen an geänderte Verhaltensmuster und Verbrauchsstrukturen der Kunden anpassen.

>> Mit bester Empfehlung <<

Kunden agieren selbstbewusster und eigenständig. Informationen sind im digitalen Zeitalter überall und jederzeit zugänglich. Bevor sie größere Anschaffungen tätigen, rufen Konsumenten heute umfangreiches Wissen ab – aus dem Internet, dem Fernsehen, aus Fachmagazinen und Social-Media-Netzwerken. Bewertungen – positiv wie negativ – werden unter einer Vielzahl von Konsumenten ausgetauscht. Verkäufer stoßen somit auf gut informierte Kunden, die eine qualifizierte Fachmeinung auf Augenhöhe erwarten.

Wichtigstes Kriterium für die Kaufentscheidung ist jedoch die Erfahrung enger Vertrauter. 74 % der ÖsterreicherInnen sind nach einer Umfrage des Niel­sen-Instituts eher geneigt, ein ihnen unbekanntes Produkt zu kaufen, wenn Freunde oder Familienmitglieder es empfehlen. Auch ein kostenloses Probeexemplar (68 %) oder die Möglichkeit, das Produkt im Geschäft ansehen zu können (72 %), beeinflussen die Kaufentscheidung. Einerseits zeigen Konsumenten also deutlich mehr Individualismus, andererseits spielt die Gruppenorientierung eine große Rolle. Der Online-Versandriese Amazon zielt genau auf dieses scheinbar paradoxe Muster ab, indem zu jedem gekauften Artikel Produktvorschläge bzw. »Empfehlungen« vermeintlich Gleichgesinnter mitgeliefert werden – »Kunden, die dieses Produkt gekauft haben, kauften auch ...«

>> Am liebsten alles <<

Kunden werden offener für Neues. Bislang galten insbesondere ÖsterreicherInnen nicht gerade als aufgeschlossen gegenüber Innovationen. Doch die Globalisierung macht’s möglich. Seit die Warenflut vor den Grenzen nicht Halt macht, internationale Anbieter per Mausklick zugänglich sind und auch heimische Firmen ihre Produktpalette ob der wachsenden Konkurrenz ständig adaptieren, hat sich auch der Horizont der Alpenrepublikaner erweitert. Zwei Drittel der österreichischen Internetnutzer sind grundsätzlich bereit, eine andere Marke auszuprobieren. Damit liegen sie klar über dem  europäischen Durchschnittswert von 56 %, wie die Nielsen-Studie unter 29.000 Usern in insgesamt 56 Ländern ergab. »Das Ergebnis ist erstaunlich. Österreichische Verbraucher galten bislang als besonders markentreu«, bestätigt Andreas Leisi, Market Leader von Nielsen Alpine.

Bei Markteinführungen von Produktinnovationen zeigten sich die Befragten allerdings etwas zurückhaltender. 57 % fanden neue Optionen grundsätzlich positiv. Mehr als die Hälfte gab aber an, zunächst abzuwarten, ob sich das neue Produkt bewährt. Und selbst dann wäre nur jeder Vierte bereit, einen höheren Preis dafür zu bezahlen. »Es kann sich für Unternehmen auszahlen, Neuerungen unter etablierten Marken einzuführen, statt auf eine neu aufzubauende Marke zu setzen. Erfahrungsgemäß sind zwei von drei neuen Produkten innerhalb von drei Jahren wieder vom Markt verschwunden, weil sie sich nicht durchsetzen konnten«, sagt Leisi.

Viele Menschen haben zwar Lieblingsgeschäfte, Lieblingsprodukte oder Lieblingsmarken – sie lieben aber gleichzeitig die Abwechslung und die Möglichkeit, unter mehreren Optionen zu wählen. »Da Konsumenten kritischer und informierter sind, hinterfragen sie auch Marken und ihre Versprechen stärker als bisher. In Marken- und Markeninhalte bzw. in die Ideenpflege muss daher entsprechend investiert werden«, sagt Ines Schurin, Leiterin Media Relations der REWE International AG. »Attraktive und glaubwürdige Marken weisen aber eine entsprechende Kauf- und Wiederverkaufsrate auf und sind mit ihren Werten im Kopf der Konsumenten sehr gut verankert. Starke Marken werden nachgefragt, schwache sind austauschbar.«

>> Touch & Feel good <<

Die Kunden werden anspruchsvoller. Wir sind mobiler und global vernetzt, Informationen reisen in kurzer Zeit rund um die Welt. Das betrifft vor allem den Handel: Produkte sind via Internet überall verfügbar und das wird auch in Geschäften erwartet. Je eine Sommer- und Winterkollektion sind längst zu wenig, egal in welcher Branche. Die Textilkette H&M oder der Burgerbrater McDonald’s bieten mehrere Promotions pro Saison, um die Kunden interessiert und bei Laune zu halten.

Und: Schnell muss es gehen. Kurze Lieferzeiten und maximale Verfügbarkeit sind die Brücke zwischen stationärem Handel und Online-Versand. Denn trotz des Online-Booms kaufen auch junge, internet-affine Bevölkerungsgruppen nach wie vor gerne »offline«. Wie die Unternehmensberatung Roland Berger in einer aktuellen Befragung unter 42.000 Deutschen und durch die Auswertung von 2.000 Einkaufstagebüchern erhob, werden 7 % der Käufe online getätigt. Diese generieren bereits rund 16 % der gesamten Umsätze. Trotzdem bleibt für fast zwei Drittel der Konsumenten das stationäre Geschäft die beliebteste Einkaufsgelegenheit. Dabei ist nicht der Preis das entscheidende Kriterium: Für die Möglichkeit des An- bzw. Ausprobierens, neue Marken zu entdecken und sie gleich mitnehmen zu können sowie individuelle Beratung werden höhere Kosten durchaus akzeptiert.
Dazu kommt der Wohlfühlfaktor: »Kunden besuchen immer wieder gerne bestimmte Geschäfte, weil sie dort passende Angebote in einer angenehmen Atmosphäre mit einer freundlichen und persönlichen Beratung finden. Das trägt zu einer starken Kundenbindung bei«, bestätigt Roland Falb, Partner von Roland Berger Strategy Consultants. Die viel zitierten »Digital Natives« – die junge, mobile Online-Generation – seien keineswegs für den klassischen Handel verloren, man müsse nur ein entsprechendes Einkaufserlebnis bieten. »Wenn der traditionelle Handel seine Stärken erkennt und sie um passende Online-Angebote erweitert, wird er die Verbraucher langfristig auf seiner Seite haben«, meint Falb.

>> Die Macht der Verbraucher <<

Kunden wollen Transparenz. Nicht erst der Aufruhr um Pferdefleisch und Bioeier hat das Vertrauen der Konsumenten nachhaltig erschüttert. Experten fordern seit langem eine Verschärfung der Kennzeichnungspflicht. Auch wenn nicht alle Menschen bewusst nach ökologischen Kriterien leben, wollen doch die meisten wissen, wo ihr Essen, ihre Kleidung und andere Gebrauchsgüter herkommen, unter welchen Bedingungen sie hergestellt werden und was genau drin steckt. Die Kunden werden zu Recht immer kritischer. Durch digitale Vernetzung verbreiten sich Informationen über Produkte oder Unternehmen rasant und mobilisieren mitunter große Konsumentengruppen für Boykottaktionen. Ist der Ruf einmal ruiniert, können auch teure Imagekampagnen nichts mehr kitten.
So wird die Billigtextilkette kik noch immer von vielen Menschen mit Kinderarbeit in Verbindung gebracht. Der Ölmulti Shell gilt 18 Jahre nach dem Brent-Spar-Skandal – ein ausgedienter Öllagertank sollte in der Nordsee versenkt werden – als das Symbol für Umweltzerstörung schlechthin. Boykottaufrufe zeigten 1995 in einigen europäischen Ländern deutliche Wirkung, die Umsätze sanken an deutschen Shell-Tankstellen um bis zu 50 %. Die Gegenkampagne des Konzerns »Wir werden uns ändern« schien unglaubwürdig, zumal weitere Skandale folgten.
An den Nachwehen der kürzlich ausgestrahlten ARD-Dokumentation, in der von schlechter Bezahlung der Leiharbeiter, Unterbringung in schmutzigen Massenquartieren und Schikanen durch rechtsradikalen Sicherheitskräfte berichtet wurde, wird auch Amazon noch länger leiden. In hunderten wütenden Kommentaren riefen auch Kunden zum Boykott auf. Die Stimmung wurde durch angeblich von getarnten Amazon-Mitarbeitern gepostete »Lob-Beiträge« angeheizt. Auch wenn der digitale »Shitstorm« irgendwann versandet, bleibt in den Köpfen ein negatives Bild haften.

>> Den Kunden auf der Spur <<

Kunden sind gläsern. So wechselhaft, skeptisch, ungeduldig und heterogen sich Konsumenten heute präsentieren, ihre Präferenzen sind dennoch fassbar. Über soziale Netzwerke, Online-Gewinnspiele, die Bestellung von Newslettern und Kundenkarten geben Verbraucher unzählige Details über ihre Interessen und ihr Kaufverhalten preis – mehr, als ihnen lieb ist, und mehr, als ihnen bewusst ist.

Unternehmen, die diese Vorlieben und Bedürfnisse filtern, können ihre Kunden gezielter auf verschiedenen Kanälen ansprechen. Im Internet präsent zu sein, heißt dabei nicht unbedingt, gleich einen Online-Shop einzurichten. Wichtiger sind zunächst die zielgruppengerechte Präsentation der Produkte und Informationen, wo ein Artikel verfügbar ist. Social-Media-Komponenten bieten zudem die Möglichkeit, in direkten Kontakt mit den Kunden zu treten. »Vor allem der Handel mit Lebensmitteln verpflichtet zur höchster Transparenz und kundenorientierter Information. Anfragen zu Produkten sowie Anliegen jeglicher Art unserer Kunden werden über die jeweiligen Kunden-Hotlines und via E-Mail rasch bearbeitet«, bestätigt Rewe-Sprecherin Schurin: »Online-Aktivitäten stellen für uns eine besonders effiziente Form der Kundenkommunikation dar. Social Media gewinnt immer mehr an Bedeutung – als Plattform zum gegenseitigen Austausch von Meinungen, Eindrücken und Erfahrungen.«
Geschickt eingesetzt, können Online-Netzwerke zum Motor für Kundenbindung avancieren. Beispiele, wie Marken oder Werbespots via Facebook oder YouTube Kultstatus erlangten, gibt es viele. Jüngstes Phänomen dieser Art ist die Solidaritätsaktion »Rettet die Niemetz Schwedenbomben«, die ein Liebhaber der süßen Schaumspezialität via Facebook initiierte und umgehend 28.000 Sympathisanten in die Geschäfte trieb. Anders als der Süßwarenhersteller Manner – ebenfalls ein Wiener Traditionsbetrieb in Familienhand – hatte Niemetz es verabsäumt, im Sog der Retrowelle ein nostalgisches Image zu kreieren. Vielleicht gelingt es jetzt im Zuge des Sanierungsverfahrens.

>> Die wichtigsten Konsumtrends 2013:

1. Presumers & Custowners: Passiver Konsum genügt nicht mehr. Konsumenten werden immer mehr die Möglichkeit wahrnehmen, bei der Markteinführung (bzw. schon vorher) und Finanzierung neuer Produkte und Marken mitzureden.
2. Emerging: Aufstrebende Märkte entwickeln selbst Produkte und Services für die neue Mittelschicht in ihren Ländern. Die nächsten Global Player kommen aus China, Brasilien, Indien, der Türkei und Südafrika.
3. Mobile Moments: Multitasking (wenn nicht sogar Hypertasking) bestimmt unser Leben. Kein Moment vergeht ohne Mobilgerät – gefragt sind Produkte und Services, die ein nahtloses Lifestyle-Erlebnis ermöglichen.
4. New Life Inside: Der Öko-Mini-Trend für ein gutes Gewissen meint »Produkte, die etwas zurückgeben«. Statt sie zu entsorgen, werden z.B. Essstäbchen oder Bierdeckel nach Gebrauch eingepflanzt und wachsen weiter – der Konsument schafft symbolisch neues Leben.
5. Appscriptions: Digitale Technologien sind die neue Medizin. Gesundheits-Apps und Monitoring-Programme werden ähnlich wie Medikamente Teil einer medizinischen Behandlung und animieren Konsumenten, stärker auf ihre Gesundheit zu achten. Aber auch Ärzte nutzen Health-Services, um Behandlungen zu optimieren.
6.Celebration Nation: Emerging Markets exportieren nicht nur Produkte, sondern auch stolz ihr nationales und kulturelles Erbe. In puncto Farben- und Lebensfreude können wir uns einiges abschauen.
7.Data Mining: »Good Data« geht vor »Big Data«. Konsumenten drehen den Spieß um und bevorzugen Unternehmen, die sorgsam und nützlich mit Kundendaten umgehen. Konsumenten möchten bedient, aber nicht bespitzelt werden.
8. Again made here: Lokale und regionale Produktion etabliert sich als neuer Dienstleistungssektor. Durch die Transformation von traditionellen Business-Modellen wird aus »lokal« mehr als nur Bauernmarkt und Kunsthandwerk.
9.Full frontal: Transparenz konsequent weitergedacht: Unternehmen können nicht mehr so tun, als hätten sie nichts zu verstecken, sondern müssen es proaktiv zeigen und beweisen – und zwar nicht durch bloße Lippenbekenntnisse zu »Werten« und »Kultur«, sondern durch klare Aussagen und Ergebnisse.
10. Demanding Brands: Konsumenten werden sich nicht für Marken einsetzen, wenn sie nicht völlig von deren Vision überzeugt sind. Wer sich als verantwortungsvolles Label etablieren will, sollte sich die Aufmerksamkeit anspruchsvoller Konsumenten durch Ehrlichkeit sichern.

>> Die Kundentypen in der Multichannel-Welt:

1. Mainstream Offline Shoppers: Surfen täglich viel im Internet, doch in Online-Shops kaufen sie nur selten – lieber im Geschäft gemeinsam mit Freunden. Legen Wert auf Spaß und achten aufs Geld.
> Alter:     Ø 28,4 Jahre
> Umsatzanteil:     23 %
> Segmentgröße:     25 %

2. Traditional Senior Shoppers:
Service-orientierte Pensionisten, die gerne einkaufen – und zwar fast ausschließlich stationär.
> Alter:      Ø 64,1 Jahre
> Umsatzanteil:     27 %
> Segmentgröße:     28 %

3. Simplistic Shopping Minimalists:
Diese Gruppe geht nur ungern einkaufen – und dann muss es möglichst einfach und stressfrei ablaufen, zu einem günstigen Preis.
> Alter:      Ø 46 Jahre
> Umsatzanteil:     10 %
> Segmentgröße:      11 %

4. Joy-seeking Multichannel Natives:
Schüler und Studenten, die viel Zeit im Internet verbringen, sich aber auch gerne im Shopping Center aufhalten. Sie kaufen über beide Kanäle, solange es das Budget zulässt.
> Alter:      Ø 24,5 Jahre
> Umsatzanteil:     8 %
> Segmentgröße:      9 %

5. Well-off Shopping Enthusiasts:
Ökonomisch etabliertes Segment mit dem höchsten Haushaltseinkommen, kauft gerne und häufig offline wie online. Hohe Ansprüche an Qualität, der Preis ist weniger wichtig.
> Alter:      Ø 45,6 Jahre
> Umsatzanteil:     13 %
> Segmentgröße:     10 %

6. Efficient Multichannel Shoppers:
Das Internet wird häufig zum Einkaufen genutzt, weil die Öffnungszeiten der Geschäfte nur schwer in den hektischen Alltag passen. Gekauft wird aber auch stationär – je nachdem, was schneller geht und praktischer ist.
> Alter:      Ø 32,6 Jahre
> Umsatzanteil:     10 %
> Segmentgröße:     8 %

7. Non-urban Shopping Pragmatists:
Der Weg zum nächsten Shopping Center oder anderen stationären Einkaufsmöglichkeiten ist lang. Geplante Einkäufe werden deshalb online abgewickelt. Sind sie einmal in Geschäften unterwegs, tätigen sie aber auch viele Spontankäufe.
> Alter:     Ø 33,6 Jahre
> Umsatzanteil:     9 %
> Segmentgröße:     9 %


>>>> Lesen Sie hier das Interview mit Paul Vetter, Henkel CEE.

Last modified onMittwoch, 27 März 2013 15:43
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