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Alter Wein in neuen Schläuchen

(Foto: UPS) Ungewisse Gegenwart. Ob die Privatisierungen in Österreich ein Segen oder eher ein Fluch waren, ist noch nicht ausgemacht. (Foto: UPS) Ungewisse Gegenwart. Ob die Privatisierungen in Österreich ein Segen oder eher ein Fluch waren, ist noch nicht ausgemacht.

Seit bald 20 Jahren wird in der EU bei Post und Bahn liberalisiert. Was dabei ­herausgekommen ist, wie sich das auf die Logistikbranche ­auswirkt. Und was die Kunden davon haben.

Logistik? Das ist für viele Menschen wahrscheinlich so spannend wie eingeschlafene Füße. Zumindest solange die Post nicht einen wichtigen Brief verschlampt und das sehnlich erwartete neue Tech-Spielzeug von DiTech oder Amazon auch pünktlich an der Haustür abgeliefert wird. Klappen die Lieferketten einmal nicht, dann gehen im Internet schnell die Wogen der Empörung hoch. »Post oder Hermes« und »DPD oder GLS« wird dann fast so heftig debattiert wie »Apple oder Android« und »Rapid oder Austria«.

Besonders empfindlich reagiert die Öffentlichkeit auf Verspätungen im Zugverkehr. Leisten sich die ÖBB ein paar Schnitzer, wird die Bahn tagelang durch die Kronen Zeitung geprügelt – und kassiert dort von Seite eins bis zu den Leserbriefen ihre Watschen. Noch schneller Feuer am Dach wäre wohl, falls die komplexen Liefer­ketten in Industrie oder Handel stocken sollten. Durch Just-in-Time-Lieferungen und Kos­tendruck sind große Lager etwas aus der Mode gekommen. Fällt der kontinuierliche Nachschub länger aus, stünden schnell die Bänder der Autocluster still oder beim Billa gäbe es kein Brot mehr.

Die Logis­tik ist – wie IT, Energieversorger oder Banken – ein Backbone der Infrastruktur und moderner Volkswirtschaften. Die großen Mitspieler in den Logistikmärkten haben mit den verschlafenen Staatsunternehmen der Vergangenheit auch nichts mehr zu tun – und backen keine kleinen Brötchen. Die Deutsche Post etwa verfiel nach der Privatisierung in den 90ern in einen Expansionsrausch. Der Konzern rollt heute mit weit über 420.000 Mitarbeitern wie eine Dampfwalze quer durch Europas Märkte. Wo solche Riesenkonzerne unterwegs sind, geht es um viel Geld, Macht und Wirtschaftspolitik.

Ein brandaktuelles Beispiel: Eigentlich sollte das »4. Eisenbahnpaket« der EU-Kommission bereits seit Dezember letzten Jahres unter Dach und Fach sein. »Eisenbahnpaket« klingt schon wieder wie eingeschlafene Füße, aber hinter den Kulissen dürften in Brüssel auf höchster Ebene die Fetzen fliegen. Zuerst wurde die Umsetzung auf den 23.Jänner vertagt, jetzt steht nach Medienberichten eine weitere Verschiebung an. Offiziell war zu Redaktionsschluss nichts, aber ein schlüssiges Szenario lieferte Spiegel Online: Rüdiger Grube, Konzernchef der Deutschen Bahn und Herr über rund 285.000 Mitarbeiter, war angeblich mit Details des Paketes unzufrieden – und spielte über die Berliner Lobby-Bande. »Seine« Kanzlerin Angela Merkel dürfte in Brüssel daraufhin ihr Veto eingelegt haben. Bestätigt ist das nicht, aber es klingt sehr plausibel. Das 4. Eisenbahnpaket der EU-Kommission soll die Liberalisierung des Schienenverkehrs weiter vorantreiben und so den Wettbewerb ankurbeln. Für die zu 100 Prozent im Staatseigentum befindliche Deutsche Bahn – mit über 1.000 Tochterunternehmen nicht nur der größte Spieler im mitteleuropäischen Eisenbahnmarkt, sondern auch international tätig – klingt das nicht gerade wie ein Wunschkonzert. Wo es um die Deutsche Bahn geht, ist auch immer die hohe Politik involviert. Gut ein halbes Jahrzehnt lang wurde in Berlin über die Privatisierung des Logistikriesen gestritten und gefeilscht. 2008 kam die Finanzkrise dazwischen, 2011 wurde der Börsengang endgültig begraben oder zumindest auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben. Aber schnell geht bei Liberalisierung oder Privatisierung von europäischen Bahn- oder Postunternehmen ohnehin nichts. In Brüssel weiß man davon ein Lied zu singen.

>> Liberalisierung im Schneckentempo <<

Wer sich etwa noch an die Anfänge der europäischen Liberalisierungsbemühungen erinnern kann, hat ein Gedächtnis wie ein Elefant und dürfte auch schon etwas älter sein.  Der Startschuss für die Bahnliberalisierung fiel bereits 1991 mit der Richtlinie 440/91/EW – weil das gar so unaussprechlich und schwer erinnerlich ist, besser bekannt als »Weißbuch zur Liberalisierung des Personen- und Güterverkehrs«. Seither wird unablässig gefeilt. Die Marksteine: Seit 2003 muss der Zugang zu den Trassen der Staatsbahnen auch für private Anbieter ohne Benachteiligung gewährleistet sein. Nach jahrelangem Ringen ging Ende 2007 schließlich das »3. Eisenbahnpaket« über die Bühne. Damit waren die Bahnnetze auch für den grenzüberschreitenden Personenverkehr geöffnet und ein EU-weit einheitlicher Lokführerschein realisiert. Das gerade mehrfach verschobene 4. Eisenbahnpaket soll etwa mit der Schaffung einer europäischen Eisenbahnagentur oder die verpflichtende Ausschreibung von Personenverkehren die Marktöffnung vorantreiben.

Darüber hinaus ist die klarere Trennung von Errichtung und Erhalt der Infrastruktur ein Thema. Und zwar ein umstrittenes. Was auf dem Papier noch gut aussieht, ist in der Praxis nicht ganz unproblematisch. Der Rechnungshof kritisierte mehrfach die Bahnreform der Schüssel-Ära. Bereits 2003 äußerten die Prüfer weitsichtig Bedenken, dass die Trennung zwischen Infrastruktur, Bau und Betrieb »bestehende Synergien und die bestehende Ablauforganisation unberücksichtigt« lasse. Mit der Bahnreform 2009 wurde die Trennung zwischen Infrastruktur, Bau und Betrieb wieder rückgängig gemacht. Was das Experiment unterm Strich gekostet hat, ist leider nicht genau bekannt. Billig dürfte es nicht gerade gewesen sein. Solche allzu forschen Experimente möchte die deutsche Kanzlerin vermeiden.

Dass Merkel strikt gegen die von der EU forcierte Abspaltung des staatlich finanzierten Netzes von der Deutschen Bahn ist, wurde von ihrem Sprecher bestätigt. Schneller als bei der Bahnliberalisierung kommt die EU bei der Liberalisierung der Postmärkte voran. Zumindest im Vergleich, da auch die Anfänge der Postmarktliberalisierung schon bis Anfang der 90er zurückreichen. Der Startschuss fiel mit der EU-Postmarktrichtlinie 1996. Ohne Querschüsse seitens der Mitgliedstaaten oder mächtiger Unternehmen ging die Umsetzung aber auch nicht über die Bühne. Die Öffnung des einträglichen Briefsektors für Private wurde über Jahre hinweg und mehrfach verschoben. Der Briefsektor war über Jahrzehnte derart einträglich, dass die goldene Gans im österreichischen Beamtenjargon einen höchst zutreffenden Namen bekam: die »Briefrente«. Via Briefrente dürften einige elegante Umwegfinanzierungen der Republik erfolgt sein. Steuererhöhung klingt schließlich deutlich hässlicher als die Erhöhung des Briefportos. Jetzt, wo die Kuh gemolken ist und das Briefgeschäft zurückgeht, kommen auch die Privaten zum Zug. Erst 2011 fiel das Briefmonopol endgültig. Der Andrang ist freilich genauso überschaubar wie die Aussicht, dass die Leute wieder mehr Briefe schreiben. Das Briefgeschäft der Postgesellschaften erodiert zwar langsam, aber beständig. Jüngster Dämpfer für die Post: Seit Anfang des Jahres dürfen Unternehmen ihre Rechnungen mit dem Segen des Finanzamts auch via einfacher E-Mail verschicken. Papier ist dafür obsolet, ebenso die komplizierte elektronische Signatur, die bislang für den Rechnungsversand vorgesehen war.

>> Dramatische Marktverschiebungen <<

So langsam die regulatorischen Maßnahmen der EU auch gegriffen haben mögen, die Auswirkungen könnten trotzdem nicht dramatischer sein (siehe auch Kasten). Das gilt vor allem für die Post-Märkte und den damit eng verbundenen Kurier-Express-Paket-Markt, im Branchenjargon kurz KEP genannt. Vor allem KEP gehörte die längste Zeit zu der expansivsten Märkte überhaupt. Von den Anfängen bis vor wenigen Jahren war alles andere als ein höchst sattes zweistelliges Umsatzplus fast schon eine Sensation. Wie raketenhaft die Volumina gestiegen sind, zeigt etwa der heimische Platzhirsch DPD. Bereits ein Jahr nach der Gründung 1988 wurden jährlich 1,5 Millionen Pakete transportiert, 2000 waren es 25 Millionen, 2008 knapp 36 Millionen – allein in Österreich.

DPD zeigt aber auch ein anderes Phänomen: Im KEP-Bereich gilt der erfolgreiche heimische »Branchenoldie« schon als Methusalem. Durch Globalisierungs- und Konzentrationseffekte wuchs die Branche nicht nur wie kaum eine andere, sie wurde auch durchgeschüttelt wie kaum eine andere. Das gilt im EU-Maßstab. Der europäische KEP Markt wird im wesentlichen durch fünf »Global Player« bedient: die Deutsche, Französische, Niederländische und Englische Post sowie – quasi als territorialer »Outsider« – der amerikanische Logistikriese UPS. Erst recht gilt das EU-Muster für den kleinen österreichischen Markt. Da wurde nicht nur konzentriert und durchgeschüttelt, sondern auch noch gerührt. Wie radikal, zeigt eine Diplomarbeit des Institutes für Transportwirtschaft und Logistik der Wirtschaftsuniversität Wien auf. Aus Sicht der Eigentumsverhältnisse gesehen hielten Österreicher 1999 noch rund zwei Drittel des heimischen B2B-Paketmarktes. Nur fünf Jahr später hatte sich das Verhältnis genau umgekehrt. Bereits 2004 war der B2B-Markt zu zwei Dritteln in der Hand ausländischer Konzerne.

Durchgeschüttelt wurde auch der heimische Speditionsmarkt. Die erste Zäsur erfolgte durch den EU-Beitritt und den damit verbundenen Wegfall des einträglichen Zollgeschäfts. Zusätzlich gerieten die Speditionen unter Preis- und Konzentrationsdruck. Die Diplomarbeit der WU vermerkt dazu trocken, dass auch im Speditionsbereich »inhabergeführte Unternehmen am Aussterben sind«. Einer der letzten österreichischen »Mohikaner« ist Gebrüder Weiss, das es als eine der wenigen Unternehmen weltweit auf eine Firmengeschichte bringt, die schon 500 Jahre zurückreicht.
Die schrankenlose Liberalisierung hat auch ihre Schattenseiten. Der KEP-Markt arbeitet ohnehin aus Kostengründen schon lange mit Franchise-Unternehmen – zumeist Einpersonen-Unternehmen, die unter sklavenartigen Bedingungen für lächerliche Entgelte schuften. Das behauptete etwa der nicht unumstrittene deutsche Aufdeckungsjournalist Günter Wallraff in seinem jüngsten Enthüllungsbuch über Paketdienste.

Ganz falsch dürfte Wallraff nicht liegen: Der ORF berichtete via Science-Channel vor knapp einem Jahr, dass selbst die Österreichische Post nicht vor solchen Praktiken gefeit ist. Laut der Wissenschaftlerin Bettina Haidiger liefert auch die Post bereits rund ein Drittel ihres Paketvolumens via »Subcontractors« aus. Nebenwirkungen inklusive: So gab es in den Verteilzentren der Post auch schon Razzien durch Finanzamt und Arbeitsinspektorat. Eine gelungene Imagekampagne sieht anders aus. Der volkswirtschaftliche Segen von Privatisierungen im Logistik-Bereich ist übrigens auch nicht außer Streit. Dafür sorgen alleine schon die völlig missglückten Privatisierungen der englischen oder neuseeländischen Staatsbahnen. Die Privaten haben günstigst gekauft, sich persönlich blitzartig saniert – und die Restsanierung den Steuerzahlern überlassen die die abgewirtschafteten Betriebe wieder zurückkaufen durften.

Ob die Privatisierungen in Österreich ein Segen oder eher ein Fluch waren, ist noch nicht ausgemacht. Die Experten der Arbeiterkammer haben 2012 in einer Studie versucht, eine volkswirtschaftliche Rechnung der heimischen Privatisierung aufzumachen. Das Resümee der AK: Für öffentliche Haushalte sind lediglich kurzfristige Verbesserungen der Liquidität wirklich sicher. Langfristig müsse man von Fall zu Fall unterscheiden. Im Fall der Post: Der Einmal­erlös des Bundes war zwar nett – aber langfristiger Einnahmenentfall und Zinseffekte haben die positiven Budgeteffekte zunichte gemacht.



Endlose Geschichte der EU-Liberalisierung:

Die Liberalisierung der Bahn- und Postmärkte gestaltet sich zäh. Wie zäh, zeigen die jüngsten Pressemeldungen zur Verabschiedung des 4. Eisenbahnpaketes. Eigentlich hätte dieses bereits längst umgesetzt sein sollen, der jüngste Termin vor wenigen Tagen ist wieder geplatzt. Aber nicht einmal das war klar: Einzelne Medien hatten bereits Vollzug vermeldet. Der Inhalt des Pakets: eine weitere Liberalisierung der Schienenmärkte, die Schaffung einer europäischen Eisenbahnagentur zur Überwachung derselben, die weitere Öffnung der Personenverkehr durch deren verpflichtende Ausschreibung oder die weitere Trennung von Errichtung und Erhalt der Infrastruktur. Trotz Übergangsfristen bis 2023 kam die EU-Kommission massiv unter Druck. Kolportierter Grund für die jüngste Verschiebung: Die mächtige Deutsche Bahn hat sich quergestellt – worauf die deutsche Kanzlerin in Brüssel ihr Njet deponierte. Wer den Anfängen der Schienenliberalisierung nachspüren möchte, braucht ein gutes Archiv. Den Startschuss lieferte die EU mit der Richtlinie 91/440/EW aus 1991. Seither wird gefeilt und gefeilscht. Auch die Liberalisierung der Postmärkte geht schon auf Anfang der 90er zurück und wurde mit der EU-Postrichtlinie 1996 fixiert – zumindest halbwegs. Auch hier wurde über Jahre hinweg nachverhandelt und justiert. Die finale Öffnung des lukrativen Briefsektors wurde etwa mehrfach verschoben. In Österreich fiel das Briefmonopol 2011. Erst seither kann die heimische Post zu Recht als »Ex-Monopolist« bezeichnet werden.


Auswirkungen der Marktöffnungen:

Die EU-Liberalisierungen mögen sich wie ein Strudelteig gezogen haben, trotzdem haben sich die Märkte fundamental geändert. Vergleichsweise wenig spürt davon die Österreichische Post. Der Briefmarkt ist jetzt zwar offen, der befürchtete Einstieg großer Player wie der Deutschen Post blieb trotz jahrelangen Spekulationen jedoch aus. Im Bereich Kurier-Express-Paket (KEP), der sich im Wesentlichen an die B2B-Kunden richtet, hat die Post ohnehin schon seit den 90ern massive private Konkurrenz. Der KEP-Markt gehört zu den dynamischsten und härtesten überhaupt. Der Preisverfall freut die Kunden. Das Bild war von traumhaften Wachstumsraten und extremen Veränderungen – Konzentration und Globalisierung lassen grüßen – geprägt. Bei den ausgesprochenen Expressanbietern wie DHL, UPS und TNT ist ein Zusammenwachsen mit dem KEP-Bereich festzustellen. Oft unter dem gleichen Konzerndach werden natürlich auch die »Hubs« und Verteilzentren gemeinsam genutzt. Bei den Speditionen war der Wegfall des Verzollungsgeschäftes durch den EU-Beitritt eine Zäsur. Auf den von »Global Playern« dominierten Märkten kämpfen vor allem kleinere Stückgutspeditionen mit harten Bandagen. Wettbewerb ist auch im Bahnsektor nicht neu. Bereits jetzt listet der Rail-Regulator einige Dutzend Unternehmen auf, die den ÖBB Konkurrenz machen. Sieht man von – durchaus erfolgreichen – Schmalspur- und Dampfbahnen ab, sind darunter auch Schwergewichte; die Logistiktöchter der Voestalpine etwa oder die Steirer LTE und STLB, die im Industriegeschäft oder bei Ganzzugsverkehren operieren. Den Personenverkehr mischt wiederum die WESTbahn des Bauindustriellen Hans Peter Haselsteiner auf.

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