Volkskrankheit
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Studien schlagen Alarm: Österreich wird zum Land der ausgepowerten und psychokranken Pillenschlucker. Aber wie kaputt sind unsere Manager und Arbeitnehmer wirklich? Was Burnout die Wirtschaft kostet und was man dagegen tun kann.
Von Heinz van Saanen
Angeblich werden Dinge in Österreich erst dann real, wenn sie in der »Kronen Zeitung« stehen. Stimmt die alte Weisheit, dann hat das Phänomen Burnout den Mainstream erreicht. Ein kleines Textinserat, das »SunnySoul« bewirbt, wurde kürzlich nicht etwa in den hinteren Rubriken Leben oder Gesundheit platziert, sondern höchst prominent auf Seite 3. Wer nach der fordernden Lektüre der Krone-Politanalysen bereits ausgepowert ist, kann mit SunnySoul seine »Energiereserven wieder auffüllen« oder »Burnout-Symptome« überhaupt gleich vorbeugend bekämpfen. Die prominente Platzierung des Inserates zeigt – vielleicht besser als alle Studien –, dass der Markt für Anti-Burnout-Produkte, Anti-Stress-Pillen und Glückspräparate regelrecht explodiert. Wo ein Markt ist, herrscht auch Nachfrage. Und die dürfte gewaltig sein. Das belegen alle Studien zum Thema Burnout, die seit ein paar Wochen und Monaten regelrecht über die Österreicher hereinprasseln (siehe Kasten unten). Der Tenor aller Untersuchungen ist einhellig wie selten zuvor. Burnout wird zur Volkskrankheit bzw. steht kurz davor, zu einer solchen zu werden. Als Studienobjekt ist das Thema in Österreich vergleichsweise jung.
Die ersten statistisch belegbaren Zahlen lieferten die Meinungsforscher Karmasin und Business-Doctors, die – kurz nach der Lehman-Pleite – im Auftrag des Gewerkschaftsbundes im Krisenwinter 2007/2008 die Ergebnisse ihrer Online-Studie präsentierten. Rund ein Fünftel der Beschäftigten gilt demnach als gefährdet. Die Studie zirkelte auch ab, was das volkswirtschaftlich heißt. Gefährdete Arbeitnehmer konsumieren knapp viermal häufiger längere Krankenstände mit einer Dauer von über 20 Tagen als ihre entspannten und glücklicheren Kollegen. Prekär für die Krankenkassen ist dabei nicht nur, dass Burnout bis zum völligen psychischen Zusammenbruch führen kann. Ist erst die Psyche kaputt, stellen sich zumeist auch körperliche Symptome ein. Die Bandbreite reicht vom Magengeschwür bis hin zu ernsthaften Herz-Kreislauf-Problemen. Zudem werden die Österreicher wie die Deutschen offensichtlich zu einem Volk von Junkies. Krankenkassen zwischen Wien und Hamburg berichten gleichlautend, dass die Verschreibung von Psychopharmaka und Antidepressiva regelrecht explodiert.
Glückspillen und Wodka
Aber nicht nur »Glückspillen« stehen hoch im Kurs. Ein kleines Schlaglicht darauf wirft etwa eine jüngere Aussendung des Verbands der Deutschen Spirituosen-Industrie. Der Verband freut sich, dass die Nachbarn heuer harte Alkoholika wie Wodka und Rum in Mengen trinken wie nie zuvor. Des einen Freud, des anderen Leid. Was die Spirituosenindustrie als Umsatz- und Gewinnsteigerung verbucht, schlägt sich für die Krankenkassen und den Arbeitsmarkt wohl direkt als Kosten nieder. Hätten Karmasin und die Business-Doctors ihre erste Studie nur ein, zwei Jahre später durchgeführt, wären die Resultate vielleicht noch bedenklicher ausgefallen. Seither hat sich die Wirtschaftskrise erst so richtig in den Köpfen der Österreicher festgesetzt. Laut Meinungsforscherin Sophie Karmasin sind durch die Krise »sechs von zehn Menschen zusätzlich psychisch belastet« Angst, Ohnmacht und steigender Konkurrenzdruck bilden jedoch genau das Biotop, in dem Burnout so richtig blühen kann. Eine Einschätzung, die eine aktuelle Studie der Meinungsforscher von marketagent.com untermauert.
Demnach fühlt sich heute schon jeder vierte Arbeitnehmer zwischen 16 und 65 ausgebrannt. Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger berichtet aktuell wiederum davon, dass die Zahl der psychobedingten Fehltage auf 2,5 Millionen angestiegen ist – diese ist nun bereits dreimal so hoch wie vor 20 Jahren. Der Psychotherapeutenverband schrie kürzlich auf, dass die Mittel für die Versorgung mittlerweile unzureichend seien – ebenso die Vertreter von Polizisten, Lehrern, Ärzten und sogar Schülern sowie Teenagern. Selbst dem Verteidigungsministerium gehen die Jungmänner aus – unter anderem weil die Anzahl der untauglichen »Psychokrüppel« scheinbar überhand nimmt. Die Zahl der Untauglichen stieg laut Statistik Austria in den letzten zehn Jahren von 8,7 auf bald 13 Prozent. Einen Löwenanteil davon nehmen psychisch »Auffällige« ein, deren Anteil derzeit bereits bei rund einem Viertel liegen dürfte. Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO erklärte das Phänomen zu der bestimmenden Volkskrankheit der modernen Leistungsgesellschaft. Ist Burnout vielleicht eine Modeerscheinung oder ein Hype? »Burnout ist kein Hype«, sagt Wirtschaftspsychologe und Hill-International-Chef Othmar Hill. Bisweilen werde es aber als »elegante Schutzbehauptung« missbraucht. »Wen es wirklich trifft, der leidet jedoch schrecklich«, so Hill.
Hypo-Burnout
Als Schutzbehauptung könnte vielleicht die Argumentation eines Ex-Hypo-Managers durchgehen, dessen Anwalt erst jüngst auf Unzurechnungsfähigkeit plädierte. Die Begründung: Burnout, Überlastung und deswegen fehlender Realitätsbezug. Geht das vor Gericht durch, könnte nach Meinung vieler Österreicher wohl auch Justitia endgültig Stufe zwölf des Freudenbergerschen Eskalationsschemas für Burnout erreicht haben (siehe Kasten unten). Der deutsch-amerikanische Psychoanalytiker Herbert Freudenberger war der Erste, der 1974 die klinischen Symptome und den Verlauf untersuchte. Gestoßen ist er darauf im Gesundheitssektor, einem Bereich, der auch heute noch stark betroffen ist. Laut Karmasin steht heute der IT-Sektor an der Spitze der burnoutgefährdeten Berufe. Gleich 22 Prozent der heimischen IT-ler stehen an der Kippe zum Burnout oder haben die Schwelle bereits markant überschritten. Gleich dahinter folgen die Bereiche Handel, Banken und Versicherungen, die Lehrer sowie der Gesundheitsbereich.
Das Themenfeld Burnout ist durchaus komplex und nicht einfach dingfest zu machen. Es überlappt etwa mit Stress, Belastung, Motivation, Belohnung – jeweils kombiniert mit der Anwesenheit oder auch dem Fehlen dieser Faktoren (siehe Kasten). Selbst Mobbing ist eine Tochter oder wenigstens ein Enkel von Burnout. Übereinstimmender Befund der Experten: Kurze Extrembelastungen oder Stressphasen stecken die Arbeitnehmer locker weg. Gefährlich werden Tretmühlen und Hamsterräder, bei der solche Ausnahmesituationen zur Regel werden. Betroffen sind vor allem engagierte Menschen, die ihren Job besonders gut und perfekt machen wollen – und an ihren eigenen Ansprüchen scheitern. Dieses Muster erklärt vielleicht auch die hohe Burnout-Rate bei Lehrern oder Ärzten. Lehrer haben zwar komfortable Arbeitszeiten, aber vor allem engagierte Lehrer scheitern an der Realität. Engagierte Ärzte scheitern nicht nur an der Realität, sondern auch an 60-Stunden Diensten. So etwa, warnt Othmar Hill, droht zu Weihnachten der nächste Gau. Schon in »normalen« Zeiten kulminiert gegen Jahreswechsel beruflicher, privater und Konsumstress wie selten im Jahr.
Turbo-Babys und heimische Realität
Der französische Soziologe Alain Ehrenberg konstatiert Burnout als »Krankheit des befreiten Individuums«, dessen Selbstverwirklichung einen hohen Preis bis hin zur Erschöpfung fordert. Vielleicht zu viel Erschöpfung. In den USA grassieren nicht nur Turbo-Manager, Turbo-Börsen oder Turbo-Genlachse – seit kurzem floriert auch das Geschäft mit Turbo-Babys. Die Firma »The Little Gym« lässt etwa schon 20.000 Kleinkinder unter zwei Jahren im Ring gegeneinander antreten, um deren Reflexe im knallharten Wettbewerb der Zukunft zu stählen. »Celibrate Success!« ist die Werbebotschaft. Aber wie gehen heimische Granden aus Politik und Wirtschaft mit dem gnadenlosen Druck um? «Ich zähle lieber die Schlafstunden», sagt etwa Infrastrukturministerin Doris Bures. Politik sei ein Knochenjob, die Gefahr des Burnouts beträchtlich. Sie selbst schaltet gerne beim Dauerlauf im Wiener Prater ab. Selten lädt sie dazu auch Journalisten ein. Aber nur, weil diesen nach ein «paar Metern ohnehin die Luft ausgehe, um lästige Fragen zu stellen», sagt Bures augenzwinkernd. Ex-Bank-Austria-Chef und AR-Vize Erich Hampel wiederum entspannt sich am Grün. Am Golfplatz lerne er Demut, wie Hampel einmal sagte. Neben Fans gibt es auch Golf-Kostverächter, die dem Green nichts abgewinnen können.
RHI- und Immofinanz-Sanierer Eduard Zehetner sagt etwa: «Nein, danke. Ich habe noch Sex». Er pflegt zur Entspannung ein eher ungewöhnliches Hobby. Zehetner zieht es an den Polarkreis, wo er in Lappland mit einem schnellen Auto über Schnee- und Eispisten fegt.
Auch eine Möglichkeit: Trend/Profil-Herausgeber Christian Rainer kriegt bisweilen deftige Post. «Du pockennarbiges Oaschkappelmuster», wird er in Leserbriefen dann beschimpft. Rainers Rezept gegen Burnout? Er wechselt Anzug gegen T-Shirt und düst anonym nach Südamerika ab, Lieblingsdestination Kuba. Warum er sich dort heimisch fühlt? Castros Reich sei wie seine Eigentümer Raiffeisen «eine agrarische Genossenschaft». Gebrüder Weiss-Boss Wolfgang Niessner wiederum schöpft einen Teil der Kraft für seinen Knochenjob aus der Absenz des «Analysten- und Quartalswahnsinns», der börsennotierte Gesellschaften bisweilen wie ein Fieberwahn befalle. Seine Eigentümer standen auch mitten in der Krise hinter langfristigen strategischen Plänen, die über Quartalsdenken weit hinaus gingen. So schlecht kann das Rezept nicht sein. Gebrüder Weiss gibt es seit rund einem halben Jahrtausend und zählt heute zu den ältesten noch existierenden Konzernen der Welt.
>> Einhellige Befunde
Gefühlt existiert das Problem schon länger, aber bis vor rund drei Jahren gab es nur wenig Zahlenmaterial zum Thema Burnout. Erste Zahlen lieferten die Karmasin Motivforschung und die Business-Doctors, die im Winter 2007/2008 im Auftrag des ÖGB eine Erhebung durchführten. Der Befund: Fast ein Fünftel der Befragten wurden als burnoutgefährdet eingestuft. Das ist nicht nur für die Betroffenen leidvoll, sondern kostet auch der Wirtschaft eine Stange Geld. Die gefährdeten Arbeitnehmer waren fast viermal häufiger in langfristigen Krankenständen als entspannte Kollegen. Seit kurzem überschlagen sich die Horrormeldungen im Wochentakt. Der Verband für Psychotherapie konstatiert 2,5 Millionen Krankenstandtage, die auf psychische Störungen zurückzuführen sind. Die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse fordert ein »Pickerl für die Seele«, laut Wiener Kollegen stiegen die Verschreibungskosten für Psychopillen seit 2003 in der Bundeshauptstadt um 50 Prozent auf 42 Millionen Euro an. Auch die Industriellenvereinigung (IV) hat reagiert. Kürzlich veranstaltete die IV-Burgenland den hochkarätig besetzten Workshop »Stressen Sie noch — oder leben Sie schon?«. Die Liste ließe sich fast beliebig fortsetzen, im Tenor sind die Befunde jedoch alle einhellig.
>> Leiden bis zum Kollaps
Den Begriff Burnout kennt man seit 1974, als der deutsch-amerikanische Psychoanalytiker Herbert Freudenberger erstmals die Symptome beschrieb. Der von Freudenberger analysierte Verlauf der verschiedenen Stadien ist heute noch gültig. Burnout ist ein schleichender Prozess. Als Hauptursache gelten nicht kurze Stressphasen, sondern eine lange andauernde Belastungssituation. Dazu kommt ein ganzes Bündel von erschwerenden Faktoren: unerreichbare Ziele, fachliche Überforderung, mangelnde Anerkennung und Bestätigung, wenig Handlungsspielraum oder fehlende Rückmeldung und Motivation. Überdurchschnittlich oft betroffen sind ehrgeizige und engagierte Perfektionisten. Auf Burnout stieß Freudenberger im Gesundheits- und Sozialbereich, einem Sektor, der auch bei einem aktuellen »Österreich-Ranking« der burnoutgefährdeten Berufe im oberen Feld zu finden ist. Angeführt wird das Ranking laut Karmasin Motivforschung vom IT-Bereich, wo 22 Prozent der Beschäftigten als gefährdet gelten. Dahinter folgen die Bereiche Handel, Banken und Versicherungen sowie Lehrer.
>> Kommentar
Ein Kommentar von Dr. med. univ. Dolf Dominik, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie sowie Geschäftsführer des Gesundheitsguts «Die Klause».
»Burnout ist zwar in aller Munde, aber noch immer ein verschwommener Begriff, der durch einige Erkrankungen wie Depressionen, Angst oder auch Persönlichkeitsstörungen bestimmt wird. ie wirkungsvollste Behandlung ist immer eine rasche und konsequente Vorbeugung. Bei fortgeschrittenen Beschwerden sollten im Rahmen einer ärztlichen Untersuchung effiziente Strategien vereinbart werden, die je nach Erfordernis verhaltenstherapeutische Schritte zur Änderung eines belastenden Lebensstils und Verbesserung der Stressbewältigung bis hin zu medikamentöser und auch psychotherapeutischer Hilfe beinhalten können.
Die Einbeziehung der Regenerationsmöglichkeiten in einer gesunden Natur sowie ein verbessertes Bewegungs- und Ernährungsverhalten mit Ausrichtung auf biologische Lebensmittel stellen einen nicht mehr zu unterschätzenden Behandlungsfaktor dar.«