Going East
- Written by Redaktion_Report
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Die Wirtschaftskrise hat auch in Mittel- und Osteuropa Spuren hinterlassen. Trotzdem schätzen die meisten Unternehmen den CEE-Raum als attraktiven Absatzmarkt und Produktionsstandort ein. Der Erfolg von Niederlassungen steht und fällt aber mit der strategischen Planung und Steuerung.
Von Angela Heissenberger
Der finnische Elektronik-Riese Nokia machte es vor. 2008 wurde die Handy-Produktion von Bochum nach Rumänien verlegt. In Cluj, dem ehemaligen Klausenburg in Siebenbürgen, schien das goldene Zeitalter anzubrechen. Auch das kleine Grazer Medizintechnik-Unternehmen AMP siedelte sich in dem Industriecluster an.
Die große Euphorie wurde durch die Krise jäh gebremst – ein internationaler Konzern nach dem anderen zog wieder ab. Durch die steigenden Lohnkosten hatte der Standort deutlich an Attraktivität eingebüßt. Der japanische Autokabelproduzent ACE Fujikura, Hauptkunde Volkswagen, verlegte seine Werke nach Marokko. Das chinesische Unternehmen BYD, das für Nokia Gehäuse produzieren sollte, stornierte wie der skandinavische Konzern Hansaprint, der Verpackungen und Betriebsanleitungen drucken sollte, die geplanten Niederlassungen. Auch die Genussmittelkonzerne Coca Cola und Kraft verließen Transsylvanien. Italienische Kleidungs- und Schuhproduzenten wanderten nach Moldawien und in die Ukraine ab.
Nokia selbst hält an der gewählten Strategie fest, wenn auch eingeschränkt. Aus den angekündigten 5.000 Arbeitsplätzen wurden vorerst nur 3.000. Jene Produkte und Fertigungsschritte, für die hochqualifiziertes Personal benötigt wird, verlagerte man – sehr zum Unmut der Deutschen – nach Finnland.
Neue Investitionswelle
Unternehmensberater Stefan Bergsmann von Horváth & Partners ortet inzwischen wieder Aufbruchstimmung: »Viele Unternehmen haben zu Beginn der Krise ihre Ostprojekte sofort auf Eis gelegt und fangen jetzt langsam wieder an zu investieren, allerdings sehr selektiv, mit genauer Risikoabwägung. Seit dem Spätsommer läuft es mit neuen Projekten wieder stark an, auch was Übernahmen betrifft.« Neben niedrigen Lohnkosten locken scheinbar riesige Absatzmärkte. Doch Bergsmann warnt vor diesem Trugschluss: »Als ganze Region betrachtet ist der CEE-Raum riesengroß, mit vielen Konsumenten und Firmenkunden. Im Wesentlichen sind es aber, von Polen und Rumänien abgesehen, fast lauter kleine Länder.« Alle über einen Kamm zu scheren, sei nicht möglich – zu sehr auf lokale Spezifika einzugehen, würde sich aber auf Dauer nicht rechnen. Schon die vielen unterschiedlichen Sprachen können zum Problem werden. »Wenn man erfolgreich sein will, muss man es schaffen, effizient und länderübergreifend zu arbeiten, um Synergien zwischen den Standorten zu nutzen«, meint Bergsmann.
Zudem sind die Märkte in der CEE-5-Region (Tschechien, Slowakei, Slowenien, Polen, Ungarn) schon weitgehend gesättigt. Großes Expansionspotenzial zeigen noch die Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion (GUS). Die Management Consultants Horváth & Partners erwarten deshalb in den nächsten Jahren vermehrte Investitionen in Russland und der Ukraine. Für die Studie »Erfolgsfaktoren des Standortaufbaus in CEE« wurden im Frühjahr 2010 insgesamt 111 Unternehmen im deutschsprachigen Raum befragt. Demnach befinden sich erst zehn Prozent der CEE-Produktionsstätten in GUS-Staaten. Mehr als die Hälfte der österreichischen, deutschen und Schweizer Firmen sind in den CEE-5-Ländern und im Baltikum aktiv. In Rumänien und Bulgarien betreiben mehr als 20 Prozent der Unternehmen eigene Standorte.
Über Erfolg oder Scheitern eines Projektes entscheiden die Strategie für die neue Niederlassung im Unternehmensnetzwerk, das Personalmanagement, Wissen und Erfahrung im Aufbau eines Standortes und nicht zuletzt ein funktionierendes Controlling- und Steuerungssystem. »Die Schwierigkeit liegt bei vielen Unternehmen darin, die Fülle aller Themen gleichermaßen erfolgreich zu managen«, sagt Studienautor Christoph Kopp.
Potenzial verschenkt
Dienten die Niederlassungen, die unmittelbar nach der Ostöffnung errichtet wurden, noch rein als »verlängerte Werkbank«, sehen viele Unternehmen zunehmend auch die große Zahl potenzieller Konsumenten als wesentlichen Anreiz. Die Versorgung der regionalen Märkte mit dort gefertigten Produkten stellt sich in der Praxis jedoch oft schwieriger heraus als gedacht. Denn im Gegensatz zu den weitgehend gefestigten EU-Mitgliedsländern gehören in den GUS-Staaten eine teilweise instabile politische Lage, schlechte Infrastruktur und ineffiziente öffentliche Verwaltung noch zum unerfreulichen Alltag der Unternehmen.
Der Aufbau von effizienten Wertschöpfungsketten ist die wesentliche Herausforderung im CEE-Raum. Denn die Absatzmärkte und Produkte verändern sich schneller als historisch gewachsene Standortstrukturen. Im Wettbewerb verschenken daher viele Unternehmen erhebliches Potenzial. Konsumenten im Osten und Südosten Europas stehen westlichen Verbrauchern um nichts nach. Das Fernsehen macht‘s möglich – die Sehnsucht nach westlichem Lifestyle ist grenzenlos und setzt mitunter auch Konsumgewohnheiten außer Kraft.
Bei der Vermarktung von Produkten sind Kenntnisse über das länderspezifische Verbraucherverhalten trotzdem von Vorteil. Denn die Geschmäcker sind verschieden. Zwar wurden viele lokale Produkte bereits von internationalen Marken verdrängt, die individuellen Vorlieben sind aber nach wie vor evident. So schmeckt russische Schokolade deutlich bitterer als westliche Produkte, und Waschmittel dürfen intensiv duften – für serbische und türkische Nasen möglichst süßlich. So manche Adaption ist aus praktischen Gründen notwendig: Haushaltsgeräte wie etwa Waschmaschinen oder Geschirrspüler müssen kleiner dimensioniert sein, da die Küchen meist kleiner sind als bei uns.
Je höher ein Artikel im Luxussegment angesiedelt ist, desto weniger Anpassung ist erforderlich und gewünscht. Schließlich kauft man mit dem Produkt auch ein bisschen Flair der großen weiten Welt.
Alte Marken erhalten
Statt mit anderen westlichen Firmen um den eingeschränkten Markt im Top-Segment zu raufen, sei es sinnvoller, parallel eine günstigere Produktlinie einzuführen, meint Arnold Schuh, Direktor des Competence Center for Central and Eastern Europe der WU Wien. Damit könnten auch weniger betuchte Kundenschichten erreicht werden.
Eine bewährte Strategie ist, alte ansässige Firmen aufzukaufen und deren Marken nur ein wenig zu modernisieren. Mit diesen lokalen Marken wird die mittlere Preisklasse abgedeckt, im oberen Preissegment werden die international bekannten Marken positioniert – teilweise in kleineren Packungsgrößen, um sie erschwinglich zu halten.
Die Lebensmittelkonzerne Nestlé und KraftFoods machen es vor: Sie decken mit diesem Vorgehen nicht nur alle Kategorien hinsichtlich Preis und Qualität ab, sondern kommen vor allem der ausgeprägten Bindung der Konsumenten an ihre Traditionsmarken entgegen. Das bringt bei den Kunden, die trotz aller Westorientierung doch meist sehr heimatverbunden sind, einen gewissen Sympathiebonus. Und dank der Werbung wird dann auch gerne mal zur TopMarke gegriffen. Man will sich ja schließlich was gönnen, ob diesseits oder jenseits der Grenze.
>>Die vier Rollen von Produktionsstandorten:
Abhängig vom Motiv des Standortaufbaus und den Entscheidungsbefugnissen können CEE-Standorte unterschiedliche Rollen im Unternehmen einnehmen.
1. Der Prozessor: Ziel ist die kostengünstige Produktion einzelner Fertigungsschritte. Ausgelagert werden einfache Fertigungsprozesse mit hohem Standardisierungsgrad, für die weniger qualifiziertes Personal benötigt wird. Rund die Hälfte aller an Prozessoren produzierten Komponenten werden an anderen Standorten, meist in Westeuropa, weiterverarbeitet. Überdurchschnittlich häufig finden sich Prozessoren bei Unternehmen des Anlagen- und Maschinenbaus (67 Prozent der befragten Firmen dieser Branche) sowie der Verarbeitung und Erzeugung von Kunst- und Sonderstoffen (57 Prozent). Da Prozessoren durch Güterströme eng mit dem restlichen Konzern verbunden sind, sollte die Aufbauphase möglichst kurz und reibungslos erfolgen. Aufgrund der geringen Vernetzung mit der Wirtschaft des jeweiligen Landes ist eine Anpassung der Produkte an lokale Gegebenheiten nicht erforderlich.
2. Der regionale Versorger: Der regionale Versorger fertigt und vertreibt Produkte ohne weitreichende Entscheidungsautonomie. Der Grund für die Errichtung eines solchen Standortes ist meist die Senkung von Transportkosten oder die Umgehung von Handelsbarrieren. Am häufigsten sind regionale Versorger in der chemischen und Pharmaindustrie (56 Prozent der befragten Unternehmen dieser Branche) und in der Holzverarbeitung (40 Prozent) vertreten. Wichtigstes Kriterium für die Standortwahl ist das Absatzpotenzial der Produkte am regionalen Markt.
3. Der Produktionsknoten: Hauptmotiv ist die kostengünstige Produktion. Allerdings sind die Kompetenzen für Beschaffung und Logistik sowie Entwicklung und Anpassung von Produkten und Fertigungstechniken recht ausgedehnt. Wissens- und technologieintensivere Verfahren werden deshalb häufiger als bei Prozessoren eingesetzt. Eine enge Vernetzung mit anderen Standorten ist ebenfalls charakteristisch. Die Hälfte der gefertigten Komponenten und Produkte werden an anderen Standorten weiterverarbeitet, 15 Prozent der beschafften Teile kommen aus anderen Niederlassungen. Vor allem Unternehmen im Bereich Elektronik und Medizintechnik (53 Prozent der befragten Unternehmen dieser Branche) sowie des Automotive-Sektors (50 Prozent) wählten den Produktionsknoten als Standortform. Umfang und Komplexität des erforderlichen Wissenstransfers sind deutlich höher als bei den anderen Rollenmodellen. Ein wichtiger Faktor ist das Angebot an hochqualifizierten Arbeitskräften.
4. Das CEE-Center: Als regionales Headquarter fertigt und vertreibt das CEE-Center Produkte für die regionalen Märkte mit weitreichenden Kompetenzen. Die Niederlassungen können eigenständig über die Auswahl der Lieferanten, Veränderungen im Prozess- und Produktdesign sowie die Logistikstrategie bestimmen. Sie beschaffen vorwiegend im CEE-Raum und sind deshalb sehr eng mit der regionalen Wirtschaft vernetzt. CEE-Center finden sich am häufigsten in der Chemie- und Pharmaindustrie (44 Prozent der befragten Unternehmen dieser Branche) sowie unter den Konsumgüterherstellern (40 Prozent). Kenntnisse über das wirtschaftliche Umfeld, vor allem über das Absatzpotenzial der Produkte, sind unerlässlich. Weitere Standortfaktoren sind die Verfügbarkeit hochqualifizierter Arbeitskräfte, der rechtliche Schutz geistigen Eigentums sowie die Währungsstabilität.
>Quelle: Studie »Erfolgsfaktoren des Standortaufbaus in CEE«, Horváth & Partners Management Consultants, Frühjahr 2010
>> Das sagen die Experten:
»Interkulturelle Unterschiede nicht unterschätzen.« Viktoriya Zipper, Victory Cross Culture Consulting e.U.
Die Expansion westlicher Unternehmen nach Osteuropa stellt Manager, Personalverantwortliche und Mitarbeiter vor große Herausforderungen. Interesse und das Wissen um andere Wertorientierungen sowie Respekt vor den sozialen Gepflogenheiten des ausländischen Geschäftspartners sind wichtige Voraussetzungen für die grenzübergreifende Kommunikation und eine erfolgreiche Expansion in Richtung Osten. Viel zu oft unterschätzen österreichische Unternehmen, die nach Osteuropa expandieren, die interkulturellen Unterschiede in der Mentalität des Volkes und den Geschäftsgebaren. Man führt auf eine andere Weise die Verhandlungen, ebenso oft entstehen Missverständnisse aufgrund unterschiedlicher Zeitwahrnehmung und gelebter Werte. Am häufigsten jedoch kommt es zu Irrtümern, wenn westliche Manager in beispielsweise Russland mit kooperativ-kollegialen Führungsstil und flachen Hierarchien beim lokalen Team nicht gut ankommen. Im Westen erwartet man von den Mitarbeitern Eigeninitiative, offenen Meinungsaustausch; in Osteuropa sind wiederum klare Anweisungen und streng getrennte Verantwortungsgebiete gefragt, denn Eigeninitiative wurde den Menschen jahrzehntelang abgewöhnt. Die Mitarbeiter erwarten, dass die Führungskräfte die meiste Verantwortung tragen und alle Entscheidungen treffen. Obwohl Meinungen in formellen und informellen Besprechungen sowohl ausgetauscht als auch bewertet werden, ist die Entscheidungsfindung ein zentralisierter Akt. In etablierten und größeren Firmen ist sie ausschließlich Personen in den oberen Hierarchieebenen vorbehalten. In kleineren und moderneren Betrieben ist die Macht der Entscheidungsgewalt besser verteilt, wobei auch der niedrigeren Führungsebene eine gewisse Autorität eingeräumt wird. Die meisten Arbeitnehmer sind das Übertragen von Aufgaben nicht gewohnt. Eigenverantwortliches Arbeiten und das Ergreifen der Initiative sind nach wie vor weniger üblich, strikte Anweisungen und die Aufteilung von Aufgaben bleiben unumgänglich.
Web: www.viccc.at
»Vergessen Sie Politik und Religion.« Emil Weber, M27 Consulting GmbH
Am Beginn einer erfolgreichen Expansion steht immer die Marktanalyse. Wie groß ist das Potenzial für meine Produkte? Gibt es technische (z.B. Normen und Standards), gesetzliche (z.B. Zertifizierungen) oder wirtschaftliche (z.B. Zölle) Markteintrittsbarrieren? Wie ist das Preisniveau? Sind meine Produkte im Trend? Welche Vertriebskanäle gibt es? Wer sind die »Platzhirschen«? und vieles mehr. Oft ist es hilfreich, sich die Konzepte der stärksten Konkurrenten am Markt anzusehen. Auch Fachjournalisten können sehr gute Informanten sein.
KMU starten oft besser mit Vertriebspartnern vor Ort, die Gründung einer eigenen Niederlassung kommt zu Beginn meist zu teuer. Marketingtools wie Firmenbroschüren oder die Firmenhomepage müssen nicht nur übersetzt, sondern auch inhaltlich und manchmal optisch an den neuen Markt angepasst werden.
Um die Kosten und das Risiko für die Unternehmen zu minimieren, gibt es zahlreiche Finanzierungs- und Förderungsinstrumente. Versierte Exportberater kennen diese und schnüren daraus Pakete mit optimaler Preis/Leistung.
Starten Sie rechtzeitig mit Personalentwicklungsmaßnahmen für Ihre Mitarbeiter, wie zum Beispiel mit Sprachkursen. In Osteuropa sind polyglotte Gesprächspartner keine Seltenheit, also sollten Sie auf Augenhöhe auftreten können. Machen Sie sich mit den wesentlichsten Landesgepflogenheiten vertraut. Vermeiden Sie Diskussionen über Politik und Religion, hier lauern Unmengen von Fettnäpfchen. Gewähren Sie Ihren Gesprächspartnern dieselbe Hochachtung, die Sie selbst erwarten, damit fahren Sie überall gut. Vergessen Sie nicht auf einen intensiven Informationsaustausch mit Ihren Mitarbeitern vor Ort, diese fühlen sich oft von der Zentrale in Österreich vernachlässigt. Der Bedarf an Kommunikation nimmt mit dem Quadrat der Entfernung zu.
Web: www.m27.eu