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Kampf der Kulturen

Zwei Firmen fusionieren: Welten prallen aufeinander. Was muss sich in der Unternehmenskultur ändern, damit zusammenwachsen kann, was ab nun zusammengehört?

 

Noch ist nicht alles unter Dach und Fach. Aber schon jetzt halten es viele für unvorstellbar, wie das funktionieren soll: Der Sportwagenproduzent Porsche wird als eine von zehn Marken in den Volkswagen-Konzern übernommen. Eine Provokation, eine Demütigung.

VW will zunächst 49,9 Prozent der Anteile kaufen, langfristig soll Porsche vollständig in den Konzern integriert werden. Eine mehr als schwierige Aufgabe. Denn während Experten der Autobranche Einbußen in punkto Flexibilität und Innovation befürchten und Marketingstrategen vor einer nachhaltigen Beschädigung der Nobelmarke warnen, liegt das gefährlichste Pulverfass mitten im Betrieb selbst: die 11.000 Porsche-Mitarbeiter.

»Mit Polo-Teilen können Sie keinen Porsche bauen«, sagte Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück bereits trotzig, als die ersten Verhandlungen ruchbar wurden. Legionen von Unternehmensberatern reiben sich vermutlich bereits die Hände. Denn ist die Übernahme endlich abgesegnet, geht der Kulturkampf erst richtig los. »Jeder kleine Porsche-Mechaniker fühlt sich wahrscheinlich gegenüber einem VW-Ingenieur noch überlegen«, meint Personalberaterin Doris Statzer. Dabei sind die Unternehmen seit langem eng verbunden. Ferdinand Porsche erfand den legendären »Käfer«, sein Sohn Ferry Porsche baute nach dem Krieg den ersten Sportwagen aus VW-Teilen. Bis heute wurden viele Modelle – aktuell der Porsche Cayenne und der VW Touareg – gemeinsam entwickelt. Auch beim Vertrieb gab es zeitweise Kooperationen. Vom Image her liegen jedoch Welten zwischen den Marken, und die ist für einen Gutteil der Identifikation verantwortlich.

Stolperstein Personal
Gelingt es Volkswagen nicht, diese Unstimmigkeiten rasch in den Griff zu bekommen, ist der Zusammenschluss massiv gefährdet. Einer internationalen Studie der Universität Rotterdam zufolge liefern 85 Prozent aller Firmenfusionen nicht die erwarteten Ergebnisse, rund die Hälfte sind ein kompletter Fehlschlag. Auch eine Analyse des Beratungsunternehmens Ernst & Young im Jahr 2006 fiel ernüchternd aus: Von den untersuchten 189 Transaktionen börsennotierter Unternehmen brachte nur jede dritte eine erhebliche Wertsteigerung. Angesichts der Vielzahl an Anwälten und Übernahmeexperten, die bei Deals dieser Größenordnung meist hinzugezogen werden, ein erstaunliches Ergebnis – aber nur auf den ersten Blick. Denn fast immer scheitern die Transaktionen nicht an finanziellen Fragen, sondern an verhaltens- und personalbezogenen Problemen, die bei den strategischen Überlegungen nicht ausreichend oder zu spät einbezogen oder gar ignoriert wurden.

Als Lehrbeispiel ging die Fusion von Daimler-Benz und Chrysler in die Wirtschaftsgeschichte ein. Im Mai 1998 als »größter Industriezusammenschluss aller Zeiten« bejubelt, lieferte DaimlerChrysler von Beginn an negative Geschäftszahlen, während die Konkurrenz stetig zulegte. Milliardeneinsparungen hatte das »gleichberechtigte« Managerteam, Daimler-Vorstand Jürgen Schrempp und Chrysler-Chef Robert Eaton, angekündigt. Der neue Konzern sollte »Schrittmacher der Automobilbranche« sein. Daraus wurde nichts: Statt der versprochenen Schaffung von Arbeitsplätzen verloren Zehntausende Mitarbeiter dies- und jenseits des Atlantiks ihren Job. 2001 verzeichnete DaimlerChrysler den größten Verlust in der Geschichte aller deutschen Unternehmen. Mitte 2004 hatte sich der Marktwert gegenüber dem Wert beider Firmen vor der Fusion mehr als halbiert. Im August 2007 zog man die Notbremse und trennte wieder, was nie wirklich zusammengewachsen war.

Hier gehts zum Interview mit Personalberaterin Charlotte Eblinger

Change-Management
Bei Zusammenschlüssen von Unternehmen wird grundsätzlich zwischen Mergers und Acquisitions unterschieden. Die Begriffe Verschmelzung oder Fusion werden synonym für Merger verwendet und bezeichnen den Zusammenschluss von Unternehmen, von denen eines seine Selbstständigkeit aufgibt oder eine gemeinsame neue Rechtspersönlichkeit durch Neugründung entsteht. Die Begriffe Acquisitions und Take-over werden ebenfalls synonym verwendet und bezeichnen den Kauf von Unternehmensanteilen durch eine andere Firma. Je nach Einverständnis der Unternehmensleitung unterscheidet man zwischen feindlicher und freundlicher Übernahme.

»Zentrale Motive für Unternehmenskooperationen liegen in der erwarteten Steigerung des Unternehmenswertes durch prognostizierte Synergievorteile und in der Stärkung der Marktmacht«, meint Helene Mayerhofer, Professorin am Institut für Personalmanagement der WU Wien. Die Krux dabei: »In der Regel ist damit auch ein Personalabbau verbunden.« Viele Zusammenschlüsse erfolgen aus der Not heraus. In den krisengeschüttelten Branchen Finanzwesen, Automobilindustrie und Logistik wird in den nächsten beiden Jahren mit einer steigenden Zahl an M&A-Transaktionen gerechnet. Im Pharmasektor stehen aufgrund des hohen Kostendrucks bei Forschung und Entwicklung Fusionen zu immer größeren Konglomeraten an der Tagesordnung.

Merger oder Firmenakquisitionen sind aber mehr als die bloße rechtliche und wirtschaftliche Zusammenführung zweier Betriebe. Bei jedem Integrationsprozess prallen zwei gewachsene Unternehmenskulturen aufeinander. Diese müssen möglichst rasch »in Einklang gebracht werden, um den Erfolg der Transaktion zu sichern«, sagen die deutschen Unternehmensberaterinnen Silke Grosse-Hornke und Sabrina Gurk. Finden die kulturellen Unterschiede keine oder unzureichende Beachtung, sind Widerstände und Konflikte vorprogrammiert.

Professionelles Change-Management ist bei internationalen Zusammenschlüssen mit unterschiedlichen Sprachen und Landeskulturen unumgänglich. Aber auch bei einander sehr ähnlichen Unternehmen treten häufig Integrationsprobleme auf. Denn gerade durch die vielen Gemeinsamkeiten »kann es zu einer Kontrastverstärkung, also einer Überbetonung geringfügiger Unterschiede und damit zu Abgrenzungstendenzen kommen«, meint Grosse-Hornke.

Tiefe Gräben
Eine Fusion sollte ein Jahr vorgeplant werden, für die Abwicklung aller Merger-Prozesse können noch einmal mindestens zwei Jahre veranschlagt werden. Bis unter den Mitarbeitern ein Gemeinschaftsgefühl entsteht, müssen viele Missverständnisse und Ressentiments überwunden werden. Manchmal klappt es nie. Bei der Bank Austria wissen alteingesessene Mitarbeiter noch heute, welcher Kollege ursprünglich von der Länderbank oder der Zentralsparkasse kam. Und das war 1991 erst der erste einer langen Reihe von Mergern. Als sich die »rote« Bank Austria 1997 anschickte, die »schwarze« Creditanstalt zu übernehmen, demonstrierten vor der CA-Zentrale in der Wiener Schottengasse hunderte Bankangestellte. Dem Vernehmen nach werden Filialleiter heute noch immer nach der rot-schwarzen Farbenlehre bestellt. Daran konnten auch weitere Fusionen – 2000 mit der deutschen HypoVereinsBank und 2005 mit der italienischen UniCredit-Gruppe – nichts ändern.

Schon die Zusammenlegung zweier Standorte kann das Firmengefüge auf die Probe stellen, wie Charlotte Eblinger, Geschäftsführerin der Personalberatung Eblinger & Partner, im eigenen Unternehmen feststellen musste. Eine Abschiedsfeier für eine Kollegin im gemeinsamen Sozialraum, zu der aber nur die Mitarbeiter des alten Büros geladen waren, nahm Eblinger als Präzedenzfall: »Durch diesen Vorfall ist uns erst wie Schuppen von den Augen gefallen, wie wenig Zusammengehörigkeitsgefühl vorhanden war.«

Eine in jeder Hinsicht vorbildliche Integration hat das Vorarlberger Unternehmen Haberkorn Ulmer, ein Großhandel für technische Produkte und Schutzausrüstung, erreicht. Der 2006 unterzeichnete Merger wurde in drei Jahren erfolgreich über die Bühne gebracht. »Wir haben nicht gesagt, wir kaufen euch, sondern wir schaffen gemeinsam ein neues Unternehmen«, erzählt Personalchef Christoph Winder. Entscheidend für das Gelingen des schwierigen Projekts war jedoch eine »wertschätzende Grundhaltung«, wie es Winder umschreibt. »Fairness, Offenheit und Verbindlichkeit sind für uns ganz zentrale Themen. Dieses Leitbild existiert nicht nur auf dem Papier, sondern wird vorgelebt.« Im Ranking »Great Place to Work« erreichte man heuer den elften Platz und wurde mit dem Sonderpreis »Bester Arbeitgeber für Menschen mit Behinderung« ausgezeichnet.

Werte und Regeln
Unternehmenskultur ist eine Mischung aus unausgesprochenen Grundwerten und Normen, die häufig nur unbewusst vermittelt werden. Sichtbar sind lediglich Organisationsstrukturen und Arbeitsabläufe. Auch die für das Gemeinschaftsgefühl wichtigen informellen Kommunikationskanäle bleiben Außenstehenden meist verborgen.

Die internationale Beratergruppe Odgers Berndtson hat zur Analyse der Unternehmenskultur die Methode »Business Culture Review« entwickelt. In strukturierten Einzelgesprächen mit den Führungskräften sowie mittels schriftlichem Fragebogen wird untersucht, wie stark die fünf Kulturelemente Veränderungsbereitschaft, Führungsstil, Organisationsform, Zielorientierung sowie Werte und Grundsätze im Unternehmen ausgeprägt sind bzw. wo Defizite bestehen.

In der Regel überträgt das »stärkere« dem »schwächeren« Unternehmen seine Strukturen – dieser Weg ist sehr effizient, kann aber leicht zu Widerständen führen. Im Idealfall werden durch einen Best-of-both-Ansatz bewährte Konzepte beider Firmen einbezogen. Das zeugt von großer Wertschätzung, ist aber schwierig und zeitaufwendig.

Unabhängig von der gewählten Strategie gilt eine Maxime: Kultur muss vorgelebt werden. »Das Unternehmen sollte seine Schlüsselpositionen mit den Mitarbeitern besetzen, die nicht nur fachlich hochqualifiziert sind, sondern auch die angestrebte Kultur am besten verkörpern können«, meint Franz-Josef Nuß, Geschäftsführer bei Odgers Berndtson Deutschland. Dazu gehört auch umfassende Kommunikation. Dringen Informationen nur sporadisch zu den Mitarbeitern durch oder erfährt die Belegschaft gar erst aus den Medien von wichtigen Entscheidungen, brodelt bald die Gerüchteküche. Unsicherheit und Ängste werden geschürt, die besten Mitarbeiter suchen als Erste das Weite. Dieser »Exodus der Talente«, wie es das Magazin Spiegel bezeichnete, wurde auch dem US-Auktionshaus eBay zum Verhängnis, als es 2005 die europäische Telefon-Software-Firma Skype übernahm. Viele Top-Leute, darunter Mitgründer Niklas Zennström und Deutschland-Chef Tim von Törne, verließen das Unternehmen. Skype verlor nicht nur den wesentlichen Motor für Innovationen, sondern auch den Geist einer jungen, spritzigen Firma. Im September 2009 verkaufte eBay wieder 65 Prozent der Aktienanteile.

In einem anderen Fall kam die Einsicht vielleicht noch gerade rechtzeitig: Die Gesamtübernahme des Internetportals Yahoo durch Microsoft ist inzwischen einer »umfangreichen Zusammenarbeit im Kampf gegen Google« gewichen. Etliche wichtige Mitarbeiter sind dennoch längst zur Konkurrenz abgewandert.

 

Checkliste: Unternehmensintegration
>> Entwickeln Sie schon während der Verhandlungen zum Merger auch eine Strategie für die kulturelle Integration der beteiligten Unternehmen. Entscheiden Sie, ob eine der vorhandenen Kulturen übernommen wird, beide nebeneinander bestehen bleiben sollen oder eine neue gemeinsame Kultur geschaffen wird.

>>Analysieren und dokumentieren Sie die vorhandenen Kulturen hinsichtlich ihrer Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Berücksichtigen Sie mögliche Risikopotenziale wie länderspezifische oder sprachliche Barrieren, differierende Kommunikationsstile und hierarchische bzw. offene Unternehmensstrukturen.

>> Halten Sie die Mitarbeiter auf dem Laufenden – durch regelmäßige Versammlungen, über Intranet, eine Hotline oder Infostände. Fragen, Anregungen und Kritik sollten direkt an Verantwortliche gerichtet werden können.

>>Heben Sie in der Information der Mitarbeiter die Gemeinsamkeiten, nicht die Unterschiede der beiden Unternehmen hervor.

>>Schaffen Sie Brücken zwischen den Mitarbeitern, um gegenseitiges Verständnis und Akzeptanz zu fördern – z.B. durch gemeinsame Aktivitäten, Treffen zum Kennenlernen oder Breakfast Meetings mit Führungskräften.

>> Etablieren Sie übergreifende Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen, z.B. durch gemeinsame Projekte und Workshops.

>> Schaffen Sie ein System von Anreizen, um die neuen Werte und Prinzipien im Bewusstsein zu verankern. Gleichzeitig müssen Verstöße gegen die neue Kultur sanktioniert werden, um glaubwürdig zu bleiben.

>> Führungskräfte nehmen eine Vorbildfunktion ein. Die neue Kultur muss vorgelebt werden.

>> Definieren Sie Kriterien, an denen Sie den Erfolg der Kulturintegration messen können – z.B. wiederholte Mitarbeiter- oder Kundenbefragungen zu den Themen Kommunikation, Entscheidungsverhalten und Kundenorientierung.

>>Seien Sie geduldig. Bis sich eine Kultur entwickelt und festigt, dauert es etwa zwei bis fünf Jahre.



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