Die unsichtbaren Kraftwerke Featured
- Written by Irmgard Kischko
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Software, Algorithmen, Datenaustausch sind die Säulen des Geschäftsmodells des virtuellen Kraftwerks. Langfristig wird die smarte Zusammenschaltung von Akteuren nicht auf die Erzeugungsebene beschränkt bleiben. Was Marktteilnehmer davon haben, Anbieter und ihre Ausrichtungen im Porträt.
Wer die Kölner Next Kraftwerke GmbH besucht und deren Stromerzeugungsanlagen besichtigen will, bekommt keine massiven Betonbauten zu sehen, in denen mit Turbinen über angekoppelte Generatoren Strom erzeugt wird. Auch keine Windparks oder Solarpaneele. Und trotzdem verfügt Next europaweit über mehr als 8.000 Megawatt elektrischer Leistung, 183 MW davon allein in Österreich. Des Rätsels Lösung: Next betreibt ausschließlich virtuelle Kraftwerke.
Das Geschäftsmodell begründet sich auf Software, Algorithmen, Datenaustausch – und auf erneuerbare Energie. Die zunehmende Digitalisierung und der massive Ausbau von Wind-, Sonnen- und Biomassekraftwerken haben in den vergangenen zehn Jahren für eine Menge Innovation auf den Strommärkten gesorgt. Virtuelle Kraftwerke, von traditionellen Energieversorgern zunächst oft belächelt, sind nicht nur ein fester Bestandteil der Energiewende geworden, sie haben auch ein beachtliches Ausbaupotenzial vor sich. Start-ups wie aWATTar in Österreich, aber auch alteingesessene Versorger wie der Verbund nutzen selbst die virtuelle Stromerzeugung.
Wie funktioniert die virtuelle Stromwelt?
Ein virtuelles Kraftwerk produziert natürlich den Strom nicht selbst. »Wir aggregieren Stromerzeugungskapazitäten von dezentralen Erzeugern«, erklärt Jan Aengenvoort von den Next Kraftwerken. Dieser unter Vertrag genommene Strom von kleinen Solar-, Wind-, Biomasse oder Wasserkraftwerken wird von Next wirtschaftlich optimal vermarktet: als Regelenergie, im Großhandel, über die Strombörse. »Wir nutzen die Preisschwankungen am Strommarkt und können so höhere Erlöse für unsere Kunden erzielen«, sagt Aengenvoort.
Bild oben: Jan Aengenvoort, Next Kraftwerke: »Nutzen Preisschwankungen am Strommarkt und können so höhere Erlöse für unsere Kunden erzielen.«
Virtuelle Kraftwerke können das, was zum Beispiel eine kleine dezentrale Solaranlage mit 100 Kilowatt Leistung selbst nicht schafft: Stromüberschüsse preisoptimal zu vermarkten und bei zu geringer Eigenerzeugung günstig zuzukaufen. Zudem sind sie inzwischen ein wichtiger Bestandteil im Regelenergiemarkt, sie können mittels ihrer ausgeklügelten Algorithmen und der kontrahierten Ökostrommenge aus unterschiedlichen Energiequellen Über- und Unterversorgungen am Strommarkt ausgleichen helfen.
Zu den Kunden von virtuellen Kraftwerken zählen nicht nur Stromerzeuger, sondern auch große Verbraucher. Next hat zum Beispiel für eine 50 Megawatt starke Wasserpumpe am Bodensee das Energieversorgungsmanagement übernommen. Das Wasser wird mit möglichst billigem Strom auf den Berg gepumpt, dort gereinigt und als Trinkwasser nach Stuttgart geleitet.
Bild oben: Harald Ott, Verbund Power-Pool: »Waren unter den Ersten, die große Batteriespeicher unter Vertrag genommen haben.«
Oder: Die Windkraft Simonsfeld in Niederösterreich hat einen Windpark mit 26 MW Leistung ins System von Next integriert. »Wir vermarkten diesen Strom über Next und profitieren so von deren guten Erlösen«, erklärt Dieter Schreiber, zuständig für Innovation bei der Windkraft Simonsfeld. Next kann dank der breiten Diversifikation der Energiequellen den Windstrom von Simonsfeld zu den jeweils besten Preisen verkaufen. Schreiber arbeitet allerdings auch bei der Windkraft Simonsfeld am Aufbau eines virtuellen Kraftwerks. »Das ist aber nur sinnvoll, wenn wir mehrere Technologien zusammenfassen«, sagt er. Künftig will das Unternehmen daher vermehrt in Photovoltaik investieren.
In Österreich ist der Verbund ein wichtiger Player bei virtuellen Kraftwerken. Mit dem Verbund Power-Pool bietet er Industrieunternehmen und dezentralen Ökostromerzeugern die Möglichkeit, am Regelenergiemarkt teilzunehmen. So wie Next poolt der Verbund »die Flexibilitäten der kleineren Stromerzeuger«, wie Harald Ott, Produktmanager beim Verbund Power-Pool, erklärt. Die Flexibilitäten sind Ungleichgewichte zwischen Erzeugung und Verbrauch, die durch die Schwankungen bei der Produktion von Wind- oder Sonnenstrom entstehen. Der Verbund setzt diese Flexibilitäten als Regelenergie ein.
»Das ist nötig, um die Frequenz im Übertragungsnetz stabil bei 50 Hertz zu halten«, betont Ott. Da Regelenergie üblicherweise teuer ist, kann mit dem Poolen der Flexibilitäten ein Zusatzerlös lukriert werden, an dem die Pool-Teilnehmer partizipieren. Ott geht nun den nächsten Schritt an. Nicht nur im Regelenergiemarkt, sondern auch im Intra-Day-Handel beginnt der Verbund Power-Pool jetzt den Strom zu vermarkten. Kleinste Preisschwankungen über den Tagesverlauf werden dabei ausgenutzt, um möglichst hohe Erlöse zu erreichen.
»Das ist ein durchaus hartes Geschäft«, räumt Ott ein. Verdienen lasse sich nur etwas, wenn man groß genug und »extrem schlank aufgestellt« sei. Der Verbund arbeitet mit dem Power-Pool nicht nur in Österreich, wo er derzeit mehr als 500 MW an Kapazitäten unter Vertrag hat. Der Power-Pool ist auch in Deutschland ein viel beachteter Marktteilnehmer im virtuellen Raum. Nicht ganz 2000 MW an Ökostromerzeugern vereint der Verbund im deutschen Pool. Worauf Ott besonders stolz ist: »Wir waren unter den Ersten, die große Batteriespeicher unter Vertrag genommen haben.« Batterien im Pool sind eine der künftigen Wachstumsrichtungen.
Interesse an virtuellen Kraftwerken wird breiter
Das neue Feld der virtuellen Kraftwerke werden bald nicht nur Stromerzeuger wie der Verbund oder Energiehandelsexperten wie Next für sich reklamieren können. Das Interesse an der Vermarktung der Flexibilitäten von Ökostrom geht inzwischen weit über den Energiesektor im engeren Sinn hinaus.
Bild oben: Peter Molnar, Our Power: Grüner Strom ist auch verfügbar, wenn kein Wind weht oder die Sonne nicht scheint.
Ein Beispiel dafür ist das österreichische Forschungsprojekt Flex+. 17 Partner – von Energieversorgern wie Energie AG oder Tiwag über Industrieunternehmen wie Fronius oder der Wärmepumpensystem-Hersteller IDM bis zu Forschungseinrichtungen wie die Technische Universität Wien oder das Austrian Institute of Technology – arbeiten im Flex+-Projekt an der Weiterentwicklung von virtuellen Kraftwerken zusammen. Hier wird getestet wie »Flexibilitäten von fernsteuerbaren Prosumer-Komponenten wie Wärmepumpen, Boiler, Sonnenstromspeicher und E-Mobilität großflächig zusammengespannt und genutzt werden können.
Im Mittelpunkt steht die Vermarktung als Regelenergie, aber auch im Spotmarkt. Das Ziel von Flex+, das vom Forschungsförderungsfonds unterstützt wird: Optimierungsalgorithmen zu finden, die nicht nur für die Betreiber des virtuellen Kraftwerks, sondern auch für die Prosumer, also die dezentralen, kleinen Stromerzeuger und Verbraucher, interessant sind.
Für die Kunden will Flex+ auf der Basis der Ergebnisse des Testbetriebs Vergütungsmodelle entwickeln, die ihnen preisliche Vorteile bieten. Wesentlich ist dabei, die Kosten für die Installation von Reglern, Zusatzgeräten oder Schnittstellen bei den Prosumern so gering wie möglich zu halten. Virtuelle Kraftwerke bewegen sich nämlich in einem wirtschaftlichen Umfeld, das von extrem dünnen Margen geprägt ist. Nur wer optimale Schnittstellen zu den Kunden finden und Algorithmen entwickelt, die rasch die kleinsten Angebots-, Nachfrage- und Preisschwankungen ausnützen, hat eine Chance auf diesem Markt.
Virtueller Strom für Privatkunden
Peter Molnar, Geschäftsführer des jungen Energieunternehmens Our Power, interpretiert den Begriff des virtuellen Kraftwerks breiter. Für ihn bedeutet das nicht nur die Bereitstellung von Flexibilität als Regelenergie und die preisoptimale Vermarktung von Ökostrom wie es Next oder der Verbund machen. Molnar hält auch Our Power für eine Art virtuelles Kraftwerk. Das Unternehmen nimmt nämlich ebenfalls kleine, dezentrale Ökostromanlagen unter Vertrag, poolt deren Erzeugung und bietet sie Endkunden an.
Our Power ist so gesehen eine Art virtueller Marktplatz für Strom. Damit aber Kunden 24 Stunden, sieben Tage die Woche mit grünem Strom versorgt werden können, muss auch Our Power mehr machen als nur eine Plattform, über die Haushalte Strom kaufen können, zur Verfügung zu stellen. Eine Software sorgt dafür, dass der grüne Strom auch verfügbar ist, wenn kein Wind weht oder die Sonne nicht scheint. Daher ist auch der Mix im Portfolio von Our Power wichtig: 40 % Sonnenstrom, 30 % Windenergie, 20 % Kleinwasserkraft und zehn Prozent Biomasse.
Molnar sieht ein großes Wachstumspotenzial in dieser virtuellen Ökostromvermarktung. Gebremst wird das allerdings noch durch die langsame Ausrollung der Smart Meter. Er wünscht sich, dass das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz Möglichkeiten schafft, dass Stromverbraucher auch ohne Smart Meter an Ökostrompools teilnehmen können.
Einen Schritt weiter geht Simon Schmitz von aWATTar. Er aggregiert nicht nur dezentralen Ökostrom, sondern greift auch in den Verbrauch der Kunden ein. Smart Meter sind auch für aWATTar-Kunden Voraussetzung. Darüber hinaus aber können sie zum Beispiel Regler an Wärmepumpen installieren, die dann von aWATTar optimal je nach Strompreis und Angebotslage am Markt gesteuert werden. Schmitz sieht da noch große Wachstumsmöglichkeiten. Nicht nur er: Das oberösterreichische Unternehmen Fronius hat sich vor kurzem an aWATTar beteiligt. »Gemeinsam revolutionieren wir den Strommarkt«, betont man bei Fronius. Kunden könnten nämlich am – günstigen – Börsenpreis für Strom partizipieren.
Jede Mange Zukunftspotenzial für virtuelle Kraftwerke sieht auch Aengenvoort von Next Kraftwerke. Sie wollen nicht nur Stromerzeuger, sondern zunehmend auch große Verbraucher virtuell integrieren. »Elektrolysen, Power to Gas, E-Auto-Flotten und Heimspeicher«, erläutert der Next-Sprecher die erweiterte Zielrichtung.
Virtuelle Kraftwerke
Das Problem: Die Umstellung der Stromerzeugung auf erneuerbare Quellen aus Wind, Sonne, Wasserkraft oder Biomasse ist voll in Gange. Österreich will bis 2030 – per Saldo gesehen – zu 100 Prozent CO2-freien Strom im Netz haben. Die Ökostromanlagen aber liefern Strom nicht konstant, sondern je nach Wind- oder Sonnenlage. Der österreichweite Ausgleich in der Stromversorgung erfordert daher neue Wege.
Die virtuelle Lösung: Jetzt kommen die virtuellen Kraftwerke ins Spiel. Die dezentralen Erzeugungseinheiten werden virtuelle aggregiert und via Algorithmen gesteuert. In zunehmendem Ausmaß werden nun auch große Verbraucher in diese virtuellen Pools eingebunden. Das bringt den Anbietern noch mehr Flexibilität in der Steuerung. Die Pools optimieren die Stromvermarktung durch Einsatz im Regelenergiemarkt, aber auch am Spotmarkt.