2020: Das Jahr der rekordtiefen Gaspreise
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Der Rundblick auf die aktuelle Situation und Trends im heimischen Gasmarkt. Marktplayer aus den Bereichen Regulierung, Handel und Transport zu Schwerpunkten und der Rolle der Gaswirtschaft auch in der Energiewende.
Sektorübergreifende Kooperation
»Die Erreichung der Klimaziele erfordert einen maßgeblichen Ausbau erneuerbarer Energieerzeugung. Die Energieinfrastruktur muss daher einerseits mit der Zunahme von volatiler Stromproduktion aus Wind und Photovoltaik umgehen können, andererseits ist die saisonale Verlagerung der erneuerbaren Stromproduktion eine große Herausforderung für ein versorgungssicheres Energiesystem. Zur Bewältigung beider Aspekte leistet die Gaswirtschaft unverzichtbare Beiträge. Die Gasinfrastruktur verbindet Sektoren, integriert und speichert durch Power-to-Gas und Einspeisung von Biomethan erneuerbare Gase, die in allen Bereichen von Raumwärme, Mobilität bis hin zur Industrie und Kraftwerken effizient eingesetzt werden können.
Ein nachhaltiges Energiesystem ist nur unter der Nutzung des in Österreich vorhandenen Potenzials erneuerbarer Gase von rund vier Milliarden m³ pro Jahr – Biomethan, Wasserstoff und synthetisches Methan – denkbar. Dabei kann auf die vorhandene Gasinfrastruktur als Energiewendeinfrastruktur aufgebaut werden. In unserer aktuellen langfristigen Planung haben wir entsprechende Schwerpunkte gesetzt: Um die rasche Integration von Biomethan und Wasserstoff optimal zu planen, wurde mit der Konzeption der Biogaslandkarte als auch der Potenzial-Landkarte für Power-to-Gas gestartet. Aktuell arbeiten wir daran, diese Konzepte in einer sektorübergreifenden Kooperation weiter zu vertiefen und ein volkswirtschaftlich optimiertes Zielbild für ein nachhaltiges dekarbonisiertes Energiesystem zu entwickeln.«
Bernhard Painz, Vorstand und CEO der AGGM Austrian Gas Grid Management AG
Der Beitrag von Gas für eine zukunftsfähige Energieversorgung
»Mit der Neuerlassung der Gasmarktmodell-Verordnung 2020, die am 1. Oktober 2021 in Kraft tritt, wurden die Weichen für ein Bilanzierungssystem gelegt, das eine weitere Marktintegration bringt und damit den aktuellen EU-Vorgaben entspricht. In einem weiteren Schritt wird es darum gehen, den Gasbereich auch in Hinblick auf die ambitionierten Klimaziele zukunftsfit zu machen. In den nächsten Jahren werden daher wegweisende Entscheidungen für die Gasbranche auf europäischer und auch nationaler Ebene zu treffen sein.
Essentiell ist die Weiterentwicklung des Rechtsrahmens zur Integration von erneuerbaren und dekarbonisierten Gasen in die bestehende Gasinfrastruktur. Investitionen in konventionelle Gasprojekte werden immer mehr kritisch gesehen, daher muss auch die Infrastrukturplanung auf nationaler und europäischer Ebene einen stärkeren Fokus auf Nachhaltigkeit und Vermeidung von Lock-in-Effekten legen. Gleichzeitig ist es notwendig, die Kosten der Umstellung auf ein erneuerbares Energiesystem für die Energiekunden so gering wie möglich zu halten. Gerade die Gasinfrastruktur kann dafür einen sehr wichtigen Beitrag leisten. Voraussetzung dafür sind eine integrierte und sektorübergreifende Infrastrukturplanung sowie -nutzung.
Dabei wird auch zu diskutieren sein, welche Rolle die Netzbetreiber in diesem Umstellungsprozess einnehmen, etwa auch im Zusammenhang mit der Nutzung von Wasserstoff. Im Idealfall stehen am Ende eines offenen Dialogs mit allen Beteiligten Entscheidungen, die die richtigen Anreize für Investitionen zu setzen und Investitionssicherheit geben.«
Carola Millgramm, Leiterin der Gasabteilung der Regulierungsbehörde E-Control
Globalisierung und steigende Volumina
»Das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage ist bei Gas weltweit aus den Fugen geraten, wodurch die Preise dafür beinahe schon im Wochentakt auf neue 10-Jahres- beziehungsweise 15-Jahres-Tiefs fallen. Die Entwicklung eines globalen Gasmarktes durch auf Tankern transportierten Flüssiggas LNG hat dazu geführt, dass überschüssiges Gas nicht mehr wie früher in einzelnen geografisch isolierten, nur durch Pipelines miteinander verbundenen Märkten zwischengeparkt wird.
Dazu kommt dass die globalen Verflüssigungs- und Pipelinekapazitäten wie etwa Power of Siberia oder Turk Stream just zu dem Zeitpunkt stark angestiegen sind, als die weltweite Nachfrage nicht nur aufgrund der Handelsstreitigkeiten zwischen China und den USA deutlich zurückgegangen ist. In Japan, dem weltgrößten LNG-Importeur, etwa sinkt die Abnahme von LNG durch die kontinuierliche Wiederinbetriebnahme von Atomkraftwerken stetig. Gleichzeitig steigt die globale LNG-Produktion mindestens bis 2021 weiter – heuer um 52 Millionen Tonnen auf fast 435 Mio. t. Besonders die USA stechen hier hervor – allein bis zum Juli dieses Jahres wird die USA ihre monatliche Exportkapazität auf 5 Mio. t erhöhen – ein Anstieg um 1,9 Mio. t im Vergleich zum Vorjahr. Der Ausbruch des Coronavirus in China verringert die LNG-Nachfrage in Asien noch zusätzlich, wodurch mehr und mehr für die Region bestimmte Tanker nach Europa umgeleitet werden.
Aufgrund der Verzögerungen bei der Nord Stream 2-Pipeline und den Streitigkeiten zwischen Russland und der Ukraine um die Verlängerung des Ende 2019 ausgelaufenen Gastransitabkommens haben die europäischen Gasversorger dementsprechende regulatorisch vorgeschriebene Gassicherheitsvorräte aufgebaut. Ein milder Winter in Europa, den USA und Asien, die Einigung auf einen neuen russisch-ukrainischen Gastransitvertag sowie ein Anstieg der LNG-Tankerlieferungen um mehr als 50 % nach Europa haben bei gleichzeitig hohen Pipelinelieferungen zu einem Kollaps der Preise geführt. In diesem Verdrängungswettbewerb haben norwegische Gasproduzenten bereits angekündigt, dass sie, selbst wenn die US-Exporteure ihr Gas kostenlos produzieren könnten, noch immer günstiger nach Nordeuropa liefern könnten und sie die Letzten sein werden die die Gasversorgung einstellen werden.«
Marion Paschinger und Jean-Brice Piquet Gautier, Geschäftsführer von easy green energy
Speicher gefüllt, Preise niedrig
»Die Abwärtsbewegung der Erdgaspreise vom letzten Jahr setzt sich sowohl für Spot als auch für Kurvenkontrakte auch im neuen Jahr weiter fort und befindet sich auf einem neuen Tief. Die weiterhin niedrigen Einkaufspreise lassen sich im Wesentlichen auf die milden Temperaturen und aus der daraus resultierenden niedrigeren Erdgasnachfrage zurückführen. Dies spiegelt sich auch in den Speicherfüllständen wider. Ende Jänner dieses Jahres waren die Speicher in Österreich und Deutschland rund 85 % gefüllt – ein deutlich höheres Niveau als im Vergleichszeitraum letzten Jahres. Wir als VNG Austria gehen davon aus, dass es in Österreich zukünftig eine deutlich stärkere Weichenstellung in Richtung Biogas geben wird. Aus diesem Grund haben wir uns bereits als Experte für grüne Gasprodukte positioniert und wollen dieses Thema weiter stark vorantreiben.«
Eduard Maaß, Energieexperte und Geschäftsführer von VNG Austria und goldgas
Wachstum im Gasbereich
»Switch ist als alternativer Energieanbieter für Strom und Gas in ganz Österreich und Deutschland tätig und setzt auf konstant günstige Preise, ohne versteckte Kosten oder undurchsichtige Rabattmodelle. Wir planen in diesem Jahr, vor allem im Gasbereich unsere Kundenbasis zu erhöhen. Hier können wir die aktuellen energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen am Gasmarkt für die Neukundengewinnung nutzen, indem wir die aktuellen Preisvorteile direkt an die Kunden weitergeben und so besonders attraktive Tarife anbieten.
Gerade am deutschen Markt stehen durch die kommende Einführung der CO2-Steuer deutliche Preissteigerungen bei Energie an. Dadurch werden Kunden noch genauer kalkulieren. Wir entwickeln schon jetzt spezielle Gas-Tarifmodelle für diesen Markt.
Neben der Wahl des richtigen Energieanbieters sind aber auch die Senkung des Energieverbrauchs und die Steigerung der Energieeffizienz ein wichtiger Kosteneinsparungsfaktor bei Energie. Durch den heurigen milden Winter profitieren alle Kundinnen und Kunden. Denn die günstigste und umweltfreundlichste Kilowattstunde ist immer noch die nicht verbrauchte Kilowattstunde.«
Christian Ammer, Geschäftsführer von Switch
Grünes Gas unverzichtbar
»Die neue Bundesregierung hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, Österreich bis 2040 klimaneutral zu machen. Nur mit ebenso ambitionierten und effektiven Förderprogrammen für Grünes Gas sowie Wasserstoff und Power-To-Gas-Technologien lässt sich dieses Ziel rasch und kostengünstig umsetzen.
Österreich braucht allerdings dringend ein Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz mit einem smarten Marktprämienmodell und Auktionen, das gleichermaßen für die Einspeisung von Ökostrom wie auch von erneuerbarem Gas gelten muss. Diese richtigen Rahmenbedingungen vorausgesetzt, hat Österreich das Potenzial, Erdgas bis 2050 schrittweise durch erneuerbare Gase zu ersetzen. Das belegen zahlreiche Studien.
Das Forschungszentrum Bioenergy 2020+ sieht ›gewaltige Potenziale an erneuerbarem Gas aus österreichischer Biomasse‹. In seiner aktuellen Studie beziffert das Institut das Potenzial an Biomethan aus nachwachsenden Rohstoffen mit etwa vier Mrd. m3 Grünem Gas – pro Jahr. Darüber hinaus gibt es enorme zusätzliches Wasserstoff-Potenziale, welche mittel- bis langfristig gehoben und im Gasnetz gespeichert und transportiert werden können.
Grünes Gas kann ohne weitere Umrüstungen bei den Gaskunden eingesetzt werden, über das vorhandene Gasnetz verteilt werden und in Österreichs großen Gasspeichern problemlos gelagert werden, bis es gebraucht wird. So kann die bereits errichtete, sehr solide Gasinfrastruktur unseres Landes für die Energiewende genutzt werden. Auch Kundenendgeräte, wie moderne Gaskessel in der Raumwärme, müssen nicht getauscht werden, wodurch für den Endverbraucher keine Kosten anfallen. Eine Studie vom Economica Institut und WU Wien belegt, dass Grünes Gas die volkswirtschaftlich kostengünstigste Alternative ist, die Energiewende rasch umzusetzen.«
Michael Mock, Geschäftsführers des Fachverbands der Gas- und Wärmeversorgungsunternehmungen