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Die Fossilindustrie auf der Intensivstation

Foto: Kommt sie oder nicht?. Die US-kanadische Megapipeline Keystone XL ist ein Paradebeispiel für »Desaster-Kapitalismus«. Foto: Kommt sie oder nicht?. Die US-kanadische Megapipeline Keystone XL ist ein Paradebeispiel für »Desaster-Kapitalismus«. Foto: iStock

Besonders für alte und gebrechliche Patienten ist das Coronavirus gefährlich. Das längst angeschlagene internationale Geschäft mit umweltzerstörenden fossilen Energieträgern dürfte so ein Patient sein.

Zuerst ging alles ganz schnell: Die Welt war Ende März noch im ersten, schärfsten Corona-Schock, da verkündete der CEO von TC Energy, Russ Girling, dass der Fertigbau der höchst umstrittenen US-kanadischen Mega-Pipeline Keystone XL nun überraschend doch in Angriff genommen würde.

Das Mammutprojekt sollte die westkanadischen, besonders umweltschädlich im zerstörenden Tagbau gewonnenen Ölsandvorkommen mit industriellen Abnehmern in den USA verbinden und der Fossilindustrie neues Leben einhauchen. Jahrelang wurde immer unwahrscheinlicher, dass das Projekt jemals gebaut werden würde – nicht zuletzt weil Erneuerbare als Alternative die Rentabilität des Projekts fast täglich verringerten. Und dann, plötzlich, während die Welt in Quarantäne ging, eine Entscheidung.

Die Schock-Doktrin

Es war ein Paradebeispiel für eine Vorgehensweise, die die Autorin und Aktivis­tin Naomi Klein »Desaster-Kapitalismus« oder »Schock-Doktrin« genannt hat: Im direkten Gefolge von Kriegen, Naturkatas­trophen oder anderen heftigen Umwälzungen werden Projekte durchgewinkt und Politik beschlossen, die im Normalfall auf heftigsten gesellschaftlichen und politischen Widerstand stoßen würden. Die Aufhebung aller Verschmutzungsverbote durch die von Trump-Leuten zur Farce degradierte US-Umweltbehörde ist so ein Fall; das Go für Keystone XL ein anderes.

Das Mega-Projekt, das seit 15 Jahren für heftige Proteste, wütenden Aktivismus und auch politischen Gegenwind gesorgt hat, war wiederholt totgesagt worden. Mitten in der Pandemie, wenn die halbe Welt durch eine beispiellose Situation abgelenkt ist, wäre nach der Rechnung der Befürworter wohl der beste Zeitpunkt, endlich Nägel mit Köpfen zu machen.

Ironischerweise hat sich aber trotz dieser Entscheidung die Wahrscheinlichkeit der Fertigstellung just durch die Krise, unter deren Deckmantel sie durchgepeitscht wurde, dramatisch verringert, denn Milliarden in eine kommerziell im Sterben liegende Industrie zu pumpen, wird auch den lobbyistenfreundlichsten Regierungen schwerfallen.

Der Ölpreis ist bekanntlich Mitte April erstmals ins Negative gekippt – schuld daran ist die durch die Pandemie drastisch gesunkene Nachfrage, die sich, wie es aussieht, auch nicht in unmittelbarer Zukunft auf Vorkrisenniveau erholen wird. Doch der Patient Fossilindustrie hatte schon mit erheblichen Vorerkrankungen zu kämpfen, bevor das kleine Virus die Welt erfasste.

Das Coronavirus sei der »Geburtshelfer für eine nachhaltige Energiezukunft und den Übergang vom fossilen ins Erneuerbaren-Zeitalter«, schreibt der Analyst Kingsmiller Bond für das Branchenblog Recharge. »Die auf Dauer billigste Energiequelle, vor allem, wenn der Bedarf nach Ende der Krise wieder ansteigt, werden Erneuerbare sein. Wachstum, Innovation, die Jobs, Kreativität wandern zu den neuen Energiesektoren.

Die Fossilindustrie hat ihren Peak wohl schon im Jahr 2019 überschritten; was übrig bleibt, sind stranded assets.« Jetzt durch Megaprojekte noch mehr davon anzuhäufen, wäre fatal – um diesen Unsinn zu subventionieren, müssten die Staaten ungezählte Milliarden dafür in die Hand nehmen, die dann woanders fehlen werden. Dies zu rechtfertigen, wird schwierig. Der Schockmoment ist vorbei.

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