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Lebendes Stadtlabor

Foto: Gebäude- und Infrastrukturdaten bringen in der Seestadt Aspern neue Erkenntnisse für die künftige Energieversorgung. Foto: Gebäude- und Infrastrukturdaten bringen in der Seestadt Aspern neue Erkenntnisse für die künftige Energieversorgung.

Von der Gewinnung neuer Daten über die Optimierung und vorausschauende Planung bis zu neuen Geschäftsmodellen am Energiemarkt: In der Seestadt Aspern wird die Digitalisierung urbaner Infrastruktur getestet, erprobt und ausprobiert.

Es ist ein Zeichen unser Zeit – der ständige Wandel von Geschäftsmodellen, Services und Verbraucherverhalten. Von der Transformation der Märkte sind alle Branchen betroffen, die Energiewirtschaft in einem besonders gro­ßen Ausmaß. Trends wie Home-Automation, dezentrale Anlagen zur Eigenerzeugung und Elektromobilität stehen in einer Wechselwirkung mit veränderten Lebensweisen und höherem Komfort für die Menschen. Doch wussten bislang die Netzbetreiber mit relativ vorhersagbaren Kundenprofilen gut umzugehen, ist dies bei den  »Prosumers« schwierig geworden. Für die Steuerung des Energiesystems ist nun auch Detailwissen im Niederspannungsnetz gefordert. Diese neue Transparenz wird durch die Digitalisierung mittels Smart Metern, Sensorik und dem »Industrial Internet of Things« – ein robustes und sicheres IoT-Modell für den Einsatz in kritischen Infrastrukturen – ermöglicht.

Um praxistaugliche Modelle für die Betriebsführung von Smart Grids und auch der modernen städtischen Infrastruktur erstellen zu können, forscht Siemens derzeit in verschiedenen Schwerpunkten in ganz Österreich – von der Smart-Grid-Modellregion Salzburg über Projekte mit der Energie Steiermark und den Energienetzen Steiermark oder auch dem Netz Oberösterreich bis nach Wien. In einem der derzeit größten Stadterweiterungsgebiete in Europa, das auf der grünen Wiese in der Seestadt Aspern entsteht, wurde ein zukunftsweisendes Smart-City-Projekt initiiert. Dort prüft man gemeinsam mit Wien Energie und den Wiener Netzen, wie die Stadt der Zukunft bereits heute aussehen könnte. Das Joint-Venture Aspern Smart City Research nimmt seit nunmehr vier Jahren alle Ebenen urbanen, energieeffizienten Zusammenlebens unter die Lupe: Netz, Gebäude und natürlich die Menschen.

Die Lebensadern: Strom und IT

Durch die Seestadt Aspern schlängelt sich ein kontinuierlicher Datenfluss über Strom- und Kommunikationsleitungen. »Mit der Kombination von robuster industrieller IoT-Infrastruktur, Data-Warehouses und Business Analytics können wir die ganze Bandbreite künftiger Entwicklungspfade in der Energieinfrastruktur abdecken und auch am lebenden Objekt erforschen«, erklärt Alfred Einfalt, Energieforschungsexperte bei Siemens (Bild oben). Mit den österreichischen Innovationsleis­tungen wird erheblicher Mehrwert von Industrial IoT in Smart Grids geschaffen. Zwei Projektmitarbeiter wurden daher dieses Jahr von Siemens als Erfinder des Jahres geehrt (siehe Kasten). »Für künftige Entwicklungspfade ist es zunächst wesentlich, die nötige Transparenz in die Systeme zu bekommen, weshalb mittels Monitoring Daten erfasst und gesammelt werden. Die Auswertungen helfen, die Netzinfrastruktur besser steuern und einen Ausbau optimieren zu können.«

In 110 Wohnungen, die an dem Forschungsprojekt teilnehmen, messen Sensoren Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Verbrauchswerte von Wasser, Heizung und Strom. Wärmepumpen, Solaranlagen und Energiespeicher teilen kontinuierlich ihren Betriebszustand mit. Wettersensoren informieren über aktuelle Windstärke und Sonneneinstrahlung. Mehr als 100 Geräte erfassen im Niederspannungsnetz und in elf Transformatorstationen die aktuelle Belastungssituation. All diese Daten werden in Intervallen von 2,5 bis 60 Minuten erzeugt und ergeben in Summe rund 1,5 Millionen Werte pro Tag. Aus dieser Menge auch etwas Sinnvolles zu generieren, ist die große Aufgabe. »Früher hatten die Netzbetreiber eher zu wenige Daten. Mit der Digitalisierung wird sich das massiv ändern, das  zeigen Projekte wie Aspern«, meint Einfalt. Der Energieexperte rät Unternehmen, sich möglichst früh »Mehrwert stiftend« mit der Auswertung des erfassten Datenmaterials zu beschäftigen.

Gebäude und Netz

Auf die nächste Stufe gehoben, ermöglicht das Zusammenspiel von Sensoren, Datenanalysen sowie einer aktiven Steuerung von größeren Verbrauchern die oftmals dringend benötigte Flexibilität im Netz. So spielen auch Gebäude im Smart Grid eine tragende Rolle. Dafür werden sie mit gebäudetechnischen Lösungen ausgerüstet, die miteinander kommunizieren und Informationen austauschen. Siemens hat dazu eine Lösung entwickelt, die intelligent, dynamisch und skalierbar ist und sich an das jeweilige Gebäude anpasst. Der Prototyp wird aktuell in den Forschungsgebäuden der Seestadt Aspern erprobt. Das Siemens-Gebäudeautomationssystem DesigoCC und das »Building Energy Management System (BEMS)« bilden dabei die Energiekontrollzentrale des Gebäudes. Während das Automationssys­tem den zuverlässigen Gebäudebetrieb sicherstellt, soll das BEMS die Energiekos­ten reduzieren, indem Eigenerzeugung in Photovoltaikanlagen und elektrische und thermische Speicherung sowie der Verbrauch bestmöglich aufeinander abgestimmt werden. Künftig könnten Energieversorgungsunternehmen mit Speichern und Photovoltaikmodulen ausgestattete Smart Buildings beispielsweise in ihr Portfolio für die Flexibilitätsvermarktung aufnehmen. Diese Enwicklungen haben jedoch auch Auswirkungen auf das unterlagerte Energienetz.

»Durch die Art und Weise, wie neue Komponenten im Netz betrieben werden beziehungsweise sich Prosumer verhalten, geht es verstärkt darum, sogenannte ›Gleichzeitigkeiten‹ richtig zu managen. Selbst bei einem künftig wetterabhängigen niedrigen Strompreis sollen ja nicht alle Haushalte gleichzeitig Speicher und Elektrofahrzeuge laden und damit das Netz an seine Leistungsgrenzen bringen«, erklärt Einfalt. Ebenso sollten Speicher – beispielsweise Lithium-Ionen-Speicher – für möglichst unterschiedliche Anwendungen und als Bestandteil integrierter Lösungen im Verbund betrieben werden. Die Wirtschaftlichkeit eines  Speichers, der nur für eine Anwendung explizit genutzt wird, sei schwierig darzustellen.  Erst durch die Kombination unterschiedlicher Anwendungen und  deren  optimaler Abstimmung werden Speicher wirtschaftlich, ist eine Erkenntnis aus der Forschungstätigkeit Einfalts. Er sieht weiters eine große Bandbreite an Zukunftsthemen, die ebenfalls Auswirkungen auf den Betrieb einer Smart-City-Infrastruktur haben werden, wie etwa Blockchain, um auch einen Energiehandel zwischen Gebäuden in einem lokalen Netz zu gewährleisten.

Künftig kann in Projekten wie in Aspern auch das von Siemens entwickelte cloudbasierte IoT-Betriebssystem MindSphere eingesetzt werden, verrät der Siemens-Forscher. Auf Basis von offenen Standards bietet die Plattform eine attraktive Entwicklungsumgebung für neue Anwendungen und Services, um Innovationen im IoT-Umfeld voranzutreiben. Damit kann die Erhebung von wertvollen Informationen vereinfacht und der Mittelbau für neue Geschäftsmodelle geschaffen werden – etwa im Bereich vorausschauende Wartung, Energiedaten-Management oder Ressourcenoptimierung.

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