Unklare Aussichten
- Written by Klaus Fischer
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Ob und gegebenenfalls wohin die USA in den kommenden Jahren Erdgas exportieren werden, ist alles andere als fix.
Text von Klaus Fischer
Kein Zweifel: Gordon Pickering, Director Energy des US-Beratungsunternehmens Navigant, ist von der Zukunft der Shale-Gas-Produktion in seinem Heimatland überzeugt. Die USA förderten derzeit mit 24.300 Milliarden Kubikfuß (680,4 Mrd. Kubikmeter) mehr Erdgas als je zuvor in ihrer Geschichte. Davon entfielen bereits derzeit rund 27,4 Mrd. Kubikfuß (770 Millionen Kubikmeter) pro Tag oder etwa 40 Prozent auf Shale-Gas, betonte Pickering bei der European Gas Conference Ende Jänner in Wien. Und ihm zufolge ist das erst der Anfang: Bis 2020 werde die Shale-Gas-Förderung auf etwa 80 bis 82 Mrd. Kubikfuß pro Tag (2,2 bis 2,3 Mrd. Kubikmeter pro Tag) steigen, bis 2035 sei sogar ein Anwachsen auf etwa 100 Mrd. Kubikfuß (2,8 Mrd. Kubikmeter) möglich.
Immer wieder werden in der Gas- und Ölbranche allerdings Zweifel geäußert, ob Zahlen wie diese tragfähig sind und ob der US-amerikanische Shale-Gas-Boom noch lange andauern kann. Pickering sieht diesbezüglich indessen wenig Grund zur Sorge. Im Gespräch mit dem Energie Report verlautete er, Navigant habe 2008 eine Studie über das Shale-Gas-Potenzial der USA durchgeführt und dabei, bezogen auf das Produktionsvolumen, rund 90 Prozent der US-amerikanischen Erdgasbranche abgedeckt: »Wir waren früher dran als die Internationale Energieagentur (IEA) und etliche andere Analysten.« Und die Zahlen, auf die er mit seinen Kollegen gekommen sei, seien wasserdicht. Zwar weise die Shale-Gas-Förderung im ersten Jahr tatsächlich einen durchschnittlichen Produktionsrückgang (»Decline Rate«) von etwa 80 Prozent auf. Dann aber bleibe die Produktion stabil, »und das über eine sehr lange Zeit«. Auch erübrige sich für die Produzenten die Suche nach neuen Gasfeldern. Wo die einschlägigen geologischen Formationen liegen, sei ja mittlerweile hinreichend bekannt: »Also muss man nur noch bohren, um die Förderung stabil zu halten oder zu steigern.«
Kein Problem sieht Pickering auch, was die Umweltauswirkungen von Shale Gas betrifft. Im Gegenteil müssten diese als höchst vorteilhaft betrachtet werden. Erdgas, egal welcher Provenienz, eigne sich bekanntlich bestens dazu, die stark schwankende Stromproduktion mittels erneuerbarer Energien auszugleichen: »Es ist also der ideale Partner der Erneuerbaren und kann wesentlichen Beitrag zur Senkung der CO2-Emissionen leisten.« Ein Faktum, das auch in der EU endlich zur Kenntnis genommen werden sollte. Auch die europäische Gasbranche solle sich entsprechend positionieren und nach Möglichkeit Shale-Gas-Projekte vorantreiben, empfiehlt der Analyst. Denn eines ist ihm zufolge keineswegs klar: dass US-amerikanisches Erdgas, falls es in den nächsten Jahren exportiert wird, nach Europa gelangt.
Europa dabei
Wie Pickering auf der European Gas Conference ausführte, ist zwar in den USA eine ganze Reihe von Exporthäfen für verflüssigtes Erdgas (Liquefied Natural Gas, LNG) geplant. Was davon realisiert werde, bleibe aber abzuwarten: In Japan würden gegenwärtig etwa 16 bis 19 US-Dollar pro Million British Thermal Units (MMBtu) bezahlt, in Europa gerade einmal acht bis elf Dollar. Und bis dato verfüge ausschließlich Südkorea über ein »Free Trade Agreement«, das den Import von Erdgas aus den USA erlaubt. Nur dorthin könnten nach derzeitigem Stand US-Gasexporte gehen – allerdings auch nur, wenn sie im öffentlichen Interesse der Vereinigten Staaten sind. Laut Pickering heißt dies, die Exporte dürften keinen nennenswerten Einfluss auf die Gaspreise in den USA haben, um deren Wirtschaft nicht zu schädigen.
Immerhin ist ihm zufolge zumindest die europäische Gasbranche für einen allfälligen Wettlauf um US-amerikanisches Erdgas nicht ganz schlecht aufgestellt: »Große Konzerne wie Shell, BP, Total, GdF Suez, Statoil und Gas Natural Fenosa sind allesamt in Exportprojekte involviert.«
Kernfrage Japan
Eine wesentliche Rolle bei der Frage nach der Destination allfälliger künftiger Gasexporte spielt Japan, schon derzeit einer der größte Erdgasimporteure der Welt. Und wie es dort in Sachen Energiepolitik sowie Energiewirtschaft weitergeht, ist alles andere als fix, betonte Chikako Ishiguro, ihres Zeichens Senior Analyst bei Osaka Gas. Das in der gleichnamigen Hafenstadt im Südwesten Japans ansässige Unternehmen ist einer der größten Gasversorger im Lande, deckt etwa neun Prozent der Gasimporte, versorgt rund sieben Millionen Kunden und erwirtschaftete 2012 einen Jahresumsatz von 1.380 Mrd. Yen (10,9 Mrd. Euro). Ihr zufolge dauert die Wiederinbetriebnahme der japanischen Kernkraftwerke nach dem Reaktorunglück in Fukushima Daiichi im März 2011 länger als geplant. Für das Jahr 2020 werde deren Stromerzeugung mit 200 Terawattstunden (TWh) prognostiziert, verglichen mit 300 TWh im Jahr 2010. Bestenfalls die Hälfte der vorhandenen Kapazitäten werde 2020 wieder am Netz sein.
Folglich seien Alternativen gefragt, und da bleibe realistischerweise nur Erdgas, da Kohle aus klimapolitischen Gründen nicht eben zu den erwünschtesten Energieträgern gehöre. Außerdem dauere es gut und gerne acht Jahre, um ein Kohlekraftwerk zu bauen, verglichen mit drei Jahren bei einem Gaskraftwerk. Laut Ishiguro ist längerfristig mit einem jährlichen Gasbedarf von mindestens 80 Mrd. Kubikmetern zu rechnen. Wenn nach 2030 bestehende Kernkraftwerke außer Betrieb gehen und keine neuen mehr errichtet werden, könnte der Gasbedarf auf etwa 90 Mrd. Kubikmeter und darüber klettern. »Wenn die USA tatsächlich LNG exportieren, ist das daher sicher ein Thema für Japan«, erläuterte Ishiguro.
Nachfrage und Angebot
Unterdessen stellt sich die Frage, ob das US-amerikanische Gas in Europa überhaupt gebraucht wird. Wie Hans-Peter Floren, OMV-Vorstand mit der Verantwortung für den Bereich Gas & Power, bei der European Gas Conference ausführte, ist der Bedarf tendenziell eher im Sinken. Der leichte Anstieg von 508 Milliarden Kubikmeter im Jahr 2012 auf 518 Mrd. im vergangenen Jahr war »wesentlich auf den strengen Winter zurückzuführen und ist daher kein ermutigendes Signal«.
Auch mangelt es nicht an Anbietern. Russland beispielsweise sei interessiert, nicht nur Pipelinegas, sondern auch LNG nach Europa zu liefern, betonte etwa Alexej Gromov, der Direktor der Abteilung Energie des Moskauer Instituts für Energie und Finanzen. Gas aus dem aserbaidschanischen Shah-Deniz-II-Feld wird um etwa 2017 in Europa erwartet. Überdies sind da noch die Felder im Seegebiet um Zypern, die etwa 3.500 Mrd. Kubikmeter beinhalten sollen, davon allein das Leviathan-Feld 500 Mrd. Kubikmeter.
Wie der britische Energiemarktspezialist John Roberts ausführte, könnte ab etwa 2020 auch Gas aus dem Nordirak zur Verfügung stehen. Und Roberts fügte hinzu: Der Iran, der die zweitgrößten konventionellen Gasvorkommen der Welt sein Eigen nennt, erschließe in den kommenden Jahren zusätzliche Kapazitäten von 90 Mrd. Kubikmetern im gigantischen South-Pars-Feld. Alles in allem werde die iranische Produktion den Inlandsbedarf somit übersteigen. Für Roberts ist klar: »Präsident Hassan Rohani will Gas exportieren. Das wäre natürlich auch ein Weg, um wieder in die internationale Staatengemeinschaft zurückzufinden.« Die damit im Zusammenhang stehenden Verhandlungen über das iranische Nuklearprogramm in den kommenden Monaten würden sicher spannend.