Big Brothers Wunschzettel
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Mit CleanIT verfolgt die EU-Kommission erneut ein Projekt, das den Interessen ihrer Bürger diametral entgegengesetzt ist.
Von Rainer Sigl.
Es ist erst wenige Monate her, dass mit ACTA einer der bürgerrechtlich brisantesten Gesetzestexte spektakulär gescheitert ist. Nach monatelangem Protest der Bürger auf der Straße schloss sich das EU-Parlament, die einzige demokratisch durch direkte Wahlen legitimierte Instanz der EU, der Ablehnung des internationalen Handelsabkommens an, das empfindliche Beschränkungen der Bürgerrechte im Netz mit sich gebracht hätte – im Namen des Kampfes gegen Produktpiraterie und Copyrightverletzungen. Jahrelang war zuvor ohne Information der Öffentlichkeit hinter geschlossenen Türen, aber unter Beteiligung großer Lobbys, an dem Regelwerk gefeilt worden; in aller Eile wurde das Gesetzespaket dann durch die nationalen Parlamente, auch das österreichische, gewinkt, bis der öffentliche Proteststurm im denkbar letzten Moment zu einem Scheitern von ACTA führte. Gegen den Willen der EU-Kommission strafte das Parlament ACTA ab – das Aus für ein unter maximaler Intransparenz entstandenes Abkommen, das Industrie- und Lobbyinteressen über Bürgerrechte stellte.
Dass die EU-Kommission ihre Wunschliste in Bezug auf die digitale Welt auch trotz dieses Gegenwindes mit allen Mitteln in Recht umgesetzt sehen will, wurde vor kurzem offenkundig, als Insider die Verhandlungspapiere zu einem harmlos »CleanIT« betitelten Kommissionsprojekt an die Öffentlichkeit brachten. Die als »vertraulich« und »nicht für die Öffentlichkeit« bezeichneten Projektideen des Direktorats »Home Affairs« der EU-Kommissarin Cecilia Malmström zeigen, dass der Sieg der Bürger über ACTA wohl nur der erste Schritt im Kampf gegen die Begehrlichkeiten aus Politik und Wirtschaft gewesen sein wird: CleanIT, so urteilten erste Stimmen nach der Veröffentlichung der Unterlagen durch die Bürgerrechtsbewegung European Digital Rights, würde »ein sauberes Internet wie in China oder im Iran« mit sich bringen.
Im Namen des Kampfes gegen den »Terrorismus« solle den Ideen des Projekt-Brainstormings zufolge europaweit eine flächendeckende Überwachung des gesamten Internetverkehrs eingerichtet werden, eine Haftpflicht für Provider steht ebenso auf dem Wunschzettel wie »automatisierte Detektionssysteme«, Klarnamen-Zwang sowie ein »Terroralarm-Button« im Browser. Der Kampf gegen den »Terrorismus« ist hier also das noble Ziel, für das es sich lohnt, auch strenge Maßnahmen durchzubringen; dumm nur, dass die ansonsten im Detail sehr genau ausformulierten Unterlagen eine Definition dessen, was denn konkret unter diesem »Terrorismus« zu verstehen sei, elegant verschweigen.
Kenner der Materie wundert dieses vielsagende Versäumnis längst nicht mehr. Es sind die immer gleichen Begehrlichkeiten aus den immer gleichen Richtungen, die Projekte wie ACTA oder nun CleanIT mit aller Macht verwirklicht sehen wollen: die Sicherheitsapparate der Nationalstaaten einerseits, die sich von den schier unendlichen Vernetzungsmöglichkeiten der digitalen Welt eine bequeme lückenlose Überwachung ihrer generalverdächtigten Bürger erträumen, und andererseits die ihren vordigitalen Profiten nachtrauernden Lobbys der Medien- und Urheberrechtsindustrien. Die Vorwände, unter denen die begehrten Gesetze endlich »Ordnung« im Internet schaffen sollen, sind austauschbar, wiewohl sich mit dem Kampf gegen »Kinderpornografie« und »Terrorismus« zwei Allzeitfavoriten gefunden haben, die fast jedem Zensurvorhaben den Anschein von Notwendigkeit verleihen. Da passt auch ins Bild, dass vor kurzem Christian Auinger vom österreichischen Justizministerium freimütig die allzu strenge Handhabe der nach heftigen Protesten schließlich doch eingeführten Vorratsdatenspeicherung kritisierte: Dieses Überwachungsinstrument, ebenfalls eingeführt zur Terrorismusbekämpfung, solle vielleicht doch auch in anderen, etwa Urheberrechtsverletzungsfällen zur Anwendung kommen – die Daten sind schließlich vorhanden.
Big Brothers Wunschzettel ist also lang, und wird täglich länger. Das Bittere daran ist, dass der Bürger für diese seine Rechte mit Füßen tretenden Projekte auch noch selbst bezahlen darf: Fast 38 Millionen Euro an EU-Geldern stehen für »Forschungsprojekte« wie CleanIT, aber noch weitere, teils radikalere Überwachungs- und Zensurvorhaben zur Verfügung. Der Zivilgesellschaft steht also auch nach dem Sieg über ACTA ein langer, harter Kampf gegen die Hinterzimmerpolitik ihrer eigenen Vertreter und internationaler Konzerne bevor.r