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Fehlende Trennfähigkeit – ein Grundübel des Wirtschaftens

Aus der Serie: Überlegene Unternehmensqualität schaffen

Von Johann Risak


In diesem neunten Teil der Serie1 wird mit der Fähigkeit zum Trennen von Überholtem ein Thema aufgegriffen, dessen Bedeutung für den wirtschaftlichen und wohl auch persönlichen Erfolg noch immer weit unterschätzt wird.

>> Unterlassenes Trennen schädigt das Geschäft <<

Wie nachfolgende Abbildung2 zeigt, er­drücken noch immer viel zu viele Altlasten das Akzeptieren von Neuem, die Öffnung für neue Geschäfte und die Verbesserung des zu bewahrenden Bestehenden.


Durch die Blockierung der Akzeptanz von Neuem wird das unternehmerische Denken und Handeln im Unternehmen schwer geschädigt. Die Ressourcen, die Zeit und die Lust für das Aufbauen von neuen Geschäften fehlen weitgehend und auch an der Verbesserung des zu bewahrenden Bestehenden mangelt es. Das aufgrund von Unachtsamkeit, Bequemlichkeit, Fehlannahmen, Mangel an Mut und Konfliktscheu entstandene Übermaß an Altlasten reduziert die Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit von Unternehmen drastisch, wenn nicht bewusst gegengesteuert wird.
Leider ist es so, dass Erstarrung wahrscheinlicher ist als Entstarrung. Sie finden die Worte erstarren und Erstarrung im Duden, jedoch nicht die Worte entstarren oder Entstarrung.3 Auch dies ist eine Indikation, dass noch viel zu selten der Erstarrung die Entstarrung entgegengesetzt wird. Anders ist es mit stauben und entstauben.4 Es fehlt an der Bewusstseinsbildung für die Notwendigkeit der Entstarrung und so kommt es dazu, dass der Abstieg wahrscheinlicher ist als das Halten der Position oder der Aufstieg. Es fehlt an Bewusstsein für die Notwendigkeit des Trennens vom Überholten.

>> Bewusstsein für die Notwendigkeit von Trennen aufbauen <<

Bei der Bewusstseinsbildung wird versucht, durch das Stellen von Fragen Personen und Unternehmen für das Weiterdenken und für problemlösende beziehungsweise chancennutzende Handlungen reif zu machen. In der nachfolgenden Übersicht5 finden Sie dazu bewährte Fragestellungen.

Trennungsfragen:

- In welcher Position der Lebenszykluskurve befinden wir uns? Und unsere Teilbereiche?
- Denken wir mehr in Bestands- oder Flussgrößen?
- Kennen wir unsere Entwicklungsblockaden?
- Was belastet uns im Denken und Handeln?
- Was schränkt uns im  Denken und Handeln ein?
- Wie hoch schätzen wir die Kosten des Nichttrennens ein?
- Welche Inventuren machen wir jährlich?
- Was und wie viel wird bei  uns hinzugefügt und von was und wie viel haben wir uns getrennt?

Wird der Lebenszyklus von Personen beziehungsweise von Unternehmen betrachtet, dann indizieren Positionen mit steigendem Alter, dass in vielen Fällen die Notwendigkeit des Trennens vom Überholten immer bedeutender wird. Ein stark ausgeprägtes Denken in Bestandsgrößen geht nicht selten mit einem Denken in Besitzständen und der oft unreflektierten Verteidigung dieser einher. Wer andererseits in Flussgrößen denkt, bringt Bewegung, Veränderung und Beweglichkeit. Nur wer seine Entwicklungsblockaden erkennt, kann diese bewusst vermindern. Viele Menschen fühlen sich durch andere Personen und Umstände belastet, sind aber nicht in der Lage, darüber zu sprechen. Gespräche mit ihnen, man hat sich dafür Zeit zu nehmen, können hier viel Positives bewirken. Eine ähnliche Argumentation kann auch betreffend Einschränkungen im Denken und Handeln geführt werden.

Unternehmen schleppen zu viele versteckte Kosten mit sich. Eine Schätzung dieser Kosten  zwingt zu einer Differenzierung des Vorhandenen in das, was wert ist bewahrt zu werden und was nicht. Diese Differenzierung begründete eine nachvollziehbare Verantwortung für das Trennen. Ähnliches gilt für Inventuren. Bei diesen werden Bestände festgestellt und bewertet. Wer hier kreativ an die Sache herangeht, kann viel Gestaltbares und Wichtiges erkennen.

Schließlich betrifft die Frage nach der Relation von Hinzufügen und Trennen und der Verbindung von Hinzufügen und Trennen eine Fragestellung, die wert ist, gestellt und kreativ und konsequent beantwortet zu werden. Wer dieses Verbinden von Hinzufügen mit Trennen zur Übung macht, wird über längere Zeiträume agil werden oder über längere Zeiträume agil  bleiben können. Ohne umfassende und nachhaltige Bewusstseinsbildung, dass Trennen vom Überholten zu den Kernaufgaben einer Führungskraft gehört, werden sich Unternehmen nicht lang in den höheren Spielklassen des Unternehmertums aufhalten können und früher oder später in existenzgefährdende Krisen geraten.

>> Fehlannahmen verhindern das Erkennen der Notwendigkeit zum Trennen <<

Unternehmen können als ein mehr oder weniger geordneter Haufen von Projekten mit einer gemeinsam geteilten Infrastruktur und gemeinsamen Zielsetzungen angesehen werden. Wenn den Vitalitätsanforderungen6 
>> Durchlässigkeit fördern,  Bestehendes erneuern, 
>> Neues schaffen und 
>>Diskontinuitäten (Krisenenergie, d. Verf.) nutzen
nicht entsprochen wird, dann setzt das System Unternehmen Inkrustierungen (Altlasten) an. Wenn diese Inkrustierungen nicht rechtzeitig abgebaut werden, führen diese zuerst zu Leistungsverlusten und später zu einem frühzeitigen Ende des Unternehmens/Systems durch die Verstopfung der Betriebskanäle.
In der nachfolgenden Abbildung7 werden einige Fehlannahmen, die zu einem Unterlassen vom Trennen führen können, angeführt.

Die Wachstumsfalle schlägt zu, wenn das Wachstum nachlässt oder Pause macht. Dies gilt insbesondere dann, wenn unter der Fehlannahme des langfristigen Bestands die Fixkosten vorauslaufend erhöht wurden. Diese Fehlannahme wirkt sich auch auf den Ersatz aus, wenn nicht oder unzureichend hinterfragte Ersatzinvestitionen in Anlagen und Ersatzaufnahmen getätigt werden. Eine klassische Fehlannahme ist auch, dass das Beenden von selbst erfolgt. Die Anforderungen für ein systematisches Abschaffen liegen nämlich sehr hoch.8 Die Erfahrung zeigt, dass in der Regel Trennen aktiv gestaltet werden muss und nur in exzellenten Unternehmen aus dem System heraus passiert.
Eine weitere Fehlannahme ist, dass Hilfe von oben kommt, wenn etwas Größeres bzw. Gröberes passiert. Dies führt dazu, dass z.B. für einen wesentlichen Einbruch der Einnahmen, z.B. um 50 %, nicht vorgesorgt wird. Aber auch die Brauchbarkeit von Anschaffungen, Mitarbeitern, Patenten usw. haben ein Ablaufdatum.

Nach der Hervorhebung der Notwendigkeit der Bewusstseinsbildung für die Notwendigkeit des Trennens und dem Aufzeigen von ausgewählten Fehlannahmen wird anhand eines vom Autor erarbeitenden Datenmaterials gezeigt, welch hohe Bedeutung dem Trennen bei dem Führen von und in Unternehmen zukommt.

>> Schlüsselergebnisse der empirischen Forschung <<9

Für die Auswertungen wurden 30 Datensätze von an dem Forschungsprojekt »Initiativen und Umsetzungsorientiert Führen« teilnehmenden Unternehmen herangezogen. Die Auswertungen erfolgten mithilfe von Clusteranalysen, mit Regressionsanalysen und Mittelwerten.  Als ein Ergebnis der Clusteranalyse mit vier Clustern kann hervorgehoben werden, dass sich der beste Cluster vom zweitbesten insbesondere durch die viel stärkere Ausprägung der Erfolgstriangel Bewahren, Werden lassen und Abschaffen unterscheidet.10 Alle drei sind Themen der Gestaltung und werden im Einsatz der jeweiligen Situation entsprechend gewichtet. Der zweitbeste Cluster unterscheidet sich von dem dritten insbesondere durch die stärkere Ausprägung der Abstimmung von Trennen, Innovationen & Kernkompetenzen und die geringere Blockierung durch Altlasten. Beide Gestaltungsfelder zeigen auf, dass Unternehmen im zweitbesten Cluster viel beweglicher (anpassungsfähiger) sind als im dritten. Der dritte Cluster unterscheidet sich von dem schlechtesten durch ein viel geringeres Durchschlagen von Fehlannahmen auf die Performance. Rund 50 % der Unternehmen sind schon schwer durch das Unterlassen des Trennens vom Überholten gezeichnet (Cluster 3 und 4).11
Das hochinteressante Gestaltungsfeld »Trennen mit Hinzufügen verbinden« hängt wechselseitig mit den Gestaltungsfeldern »Bewusstsein für Trennen schaffen« und »Blockaden durch Altlasten« sehr hoch signifikant bzw. hoch signifikant zusammen.12

»Wird davon ausgegangen, dass eine Erhöhung der Ausprägungen im Gestaltungsfeld ›Trennen mit Hinzufügen verbinden‹ zu ›greifbar‹ verbesserten Ergebnissen führt, dann wirken sich diese durch ihre Faktizität sehr hoch signifikant auf die Bewusstseinsbildung für die Notwendigkeit von Trennen aus. Es kann mit einem Mix von Zug und Druck geführt werden. Eine Kombination, die sehr anstrebenswert erscheint. (…13) Eine Reduktion der ›Blockade durch Altlasten‹ schafft Freiraum für Neues und kann daher das Trennen vom Odium des einseitigen Einsparens und Wegnehmens befreien. Dies wird aber nur möglich sein, wenn Trennen in der Regel rechtzeitig erfolgt und zur Routine wird.«14

Die nachfolgende Abbildung zeigt, wie sich ein Wandel durch Hinzufügen ohne Trennen auswirkt und wie der dadurch entstehende additive Wandel weitgehend vermieden werden kann.15

Hinzufügen mit dem Trennen verbinden

> Den additiven Wandel vermeiden
- Zuerst trennen, dann hinzufügen
- Keine Investitionsgenehmigung ohne Devestition
- Keine Regelung ohne die Aufhebung einer alten (überholten)
- Prämien für erfolgreiches Trennen
- Trennen in das Chancenmanagement aufnehmen

Unten in der Abbildung ist zu erkennen, dass progressiv immer höhere Kosten angehäuft werden, da man sich nicht von den Kosten des Überholten befreit. Wir sprechen hier von dem Versuch des additiven Wandels der mittel- bis langfristig nicht gelingen kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Wachstum sich verabschiedet oder sich in eine Schrumpfung verwandelt. Oben sind exemplarisch vom Autor in der Praxis angewandte Maßnahmen angeführt, die erfolgreich zur weitgehenden Vermeidung des additiven Wandels geführt haben.

>> Zusammenfassung <<

Der Beitrag zeigt auf, wenn Unternehmen sich nicht vom Überholten trennen können, sich bis hin zur Existenzgefährdung mit Altlasten belasten. Trennen ist in vielen Fällen eine recht unangenehme Fragestellung und fordert das soziale Gewissen und das Durchhaltevermögen heraus. Nichttrennen führt in vielen Fällen zu viel härteren Maßnahmen als rechtzeitiges Trennen.

Rechtzeitiges Trennen erfordert eine Unternehmensführung mit Tiefgang, Konsequenz in der Umsetzung und Mut, sich fallweise unbeliebt zu machen. Es vermeidet Ho-Ruck-Maßnahmen sowie viele Härten von akuten Krisen und ermöglicht auf Sicht ein freudvolleres und erfolgreicheres Leben in Unternehmen. Dies macht den Charme vom Trennen aus.

Die die Serie »Überlegene Unternehmensqualität schaffen« abschließende Kolumne im März wird sich mit der Themenstellung »Balanced Leadership leben« befassen.

 

Fußnoten:

1 Die Serie des Report(+)Plus »Überlegene Unternehmensqualität schaffen« begann im März 2011 und behandelte bereits die Themenstellungen »Persona«, »Opportunitäten« , »Risiko« , »Wertschöpfung« , »Qualität« , »Marke«, »Situation« und »Konsequenz«.
2 Risak, J. (2010): Überlegene Unternehmensqualität schaffen, Wien, S. 260.
3 Vgl. Duden (2004): Die deutsche Rechtschreibung, 23. Auflage, Mannheim u.a., S. 350 und S. 342.
4 Vgl. Duden (2004), S. 1037 und S. 342.
5 Risak, J. (2010), S. 251.
6 Dörfler, A. (2002): Vitalitätsmanagement für Unternehmen, Wiesbaden, S. 267.
7 Eigene Darstellung in Anlehnung an Eder, A./Risak, J. (2003): Gedanken zur Endlichkeit, in: Risak, J. (2003): Der Impact Manager, Wien, S. 78–80.
8 Vgl. Grün, O./Risak, J. (1985): Der Weg aufwärts! Abschaffen, in: DBW Die Betriebswirtschaft, Heft 6, S. 646-656, hier S. 652 f.
9 Vgl. Risak, J. (2010) S. 261–269.
10 Vgl. Risak, J. (2010), S. 198 f.
11 Risak, J. (2010), S. 264–66.
12 Sehr hoch signifikant (< 0,01), hoch signifikant (< 0,05).
13 Auslassung durch den Verfasser.
14 Risak, J. (2010), S. 267.
15 Risak, J. (2010), S. 258.

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