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Einfach und verständlich ...

\"Dorothea... – der Nutzen zählt. Der fokussierte User der IKT-Branche ist jung, männlich und von Technik fasziniert. Unternehmen haben trotzdem begonnen, sich auch an anderen Zielgruppen zu orientieren. Vor allem Frauen spielen als Technik- und Medienkundinnen eine Rolle.

Von Dorothea Erharter, ZIMD

Die Unternehmen, die rein auf den »Joy of Use« einer technikbegeisterten und überwiegend männlichen Community abzielen, bedienen ein allmählich kleiner werdendes Marktsegment. Der Grund: Frauen werden in ihren Ansprüchen an technische Produkte immer selbstbewusster. Für sie muss zusätzlich zu »Coolness« und »Joy« auch der Nutzen passen, denn Frauen lassen sich weniger leicht blenden.

Wie zukünftige Schnittstellen im Detail aussehen werden, darüber traue ich mich nicht zu spekulieren. Doch werden Produktdesign und Usability in Zukunft auf jeden Fall geschlechtssensibler werden und die Anforderungen von Frauen und Männern gleichermaßen berücksichtigen. Gender-Aspekte werden stärker in die Gestaltung von Hard- und Software einfließen. Ich habe dafür den Begriff »Gendability« geprägt. Es geht dabei sowohl um soziale als auch anatomische Aspekte, auch wenn mit Gender genau genommen nur das soziale Geschlecht gemeint ist.

Frauen sind bislang auf beiden Seiten des technologischen Designprozesses stark unterrepräsentiert gewesen. So wurden beispielsweise Frauenstimmen bei der Entwicklung von Spracherkennungssystemen zunächst überhaupt nicht einbezogen. Da das Produkt für die Hälfte der Zielgruppe überhaupt nicht funktionierte, musste es weiterentwickelt werden, was hohe Mehrkosten verursachte.
Oft liegt es aber gar nicht an der mangelnden Berücksichtigung weiblicher Interessen oder weiblicher Anatomie, wenn Produkte an der Zielgruppe Frau vorbei entwickelt werden, sondern schlichtweg an Stereotypen. Ob Autos, Handys oder Notebooks: Frauen wollen es schick und luxuriös, und gehen vor allem Shoppen – dass scheinen zumindest die Hersteller von Navigationsgeräten zu glauben. TomToms »White Pearl« wird nicht nur in der passenden Seidentasche geliefert, sondern hat auch gleich die Points-of-Interest Armani, D&G, Esprit, H&M und Mango vorinstalliert.

Schicke Verpackung und Design sind oft die einzigen Maßnahmen der Hersteller von mobilitätsunterstützenden Systemen, die speziell auf eine weibliche Zielgruppe abzielen. Und das, obwohl Studien geschlechtsspezifische Unterschiede bei Orientierung und Wegfindungsstrategien bestätigen. Höchste Zeit also, sich über Klischees und tatsächliche Unterschiede in Anforderungen, Physiognomie und Verhalten klar zu werden und Frauen auf beiden Seiten des Designprozesses stärker einzubinden: als Kundinnen und als Expertinnen.

Klischee des technischen Verständnisses

Das gängige Rollenbild und oft auch Selbstbild von Frauen legt nahe, dass Frauen als Technikerinnen sowie als Designerinnen von Technik ungeeignet sind. Ebenso meinen viele, dass es Kundinnen vor allem untechnisch und einfach wollen. Dass die Technikdistanz von Frauen tatsächlich häufig durch Informationsmangel geprägt ist, legt eine Studie der Arbeitsgemeinschaft Erneuerbare Energie über Biomasseheizsysteme nahe, die 2011 abgeschlossen wurde. Fazit: Der Informationsmangel ist eine Folge des technik-distanten Rollenbilds und Selbstbilds von Frauen und damit eine selbsterfüllende Prophezeiung, die bewusst durchbrochen werden sollte.

Auch wenn mitunter Studien zu dem Ergebnis kommen, dass »Männer ein signifikant besseres technisch-praktisches Verständnis als Frauen» hätten (Franziska Hanke, 2005) – häufig liegt solchen Untersuchungen ein einseitiger Technikbegriff zugrunde. In einer ebenfalls 2005 publizierten Studie von Anna Neissl und Julia Stiftinger erwarten die von ihnen befragten Studierenden, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zweier technischen Studiengängen, dass Frauen andere Fähigkeiten in die Technik einbringen. Sie erwarten, dass Frauen interdisziplinärer und kommunikativer als Männer sind.

Diese Werte, Kommunikationsformen und Interessen werden üblicherweise nicht als Bestandteil der Technik wahrgenommen. Doch obwohl sie vielfach so dargestellt wird, gibt es keine neutrale Technik: Technologie und ihre Produkte hängen immer mit sozialen Kontexten zusammen.

Einfach und verständlich

Dass Frauen es einfach wollen, hat aber auch einen wahren Kern. Studien zeigen, dass Frauen weniger von Technik fasziniert sind, und daher kritischer gegenüber deren Nutzen. Vielleicht kommt es daher, dass Frauen auch weniger leicht bereit sind, sich in technische Inhalte per se zu vertiefen. Frauen und Mädchen wollen den Kontext kennen, für den etwas gut ist, damit sie sich mit der Sache auseinandersetzen.
Und, wo auch immer es herrührt: Männer zeigen mehr Dominanzverhalten und nutzen dazu auch die Sprache. Indem sie sich komplizierter ausdrücken, erscheinen sie kompetenter. Frauen sprechen über naturwissenschaftliche und technische Themen verständlicher und können sie daher oft besser erklären. Leicht nachvollziehbar, dass Frauen sich daher auch einfache und verständliche Erklärungen wünschen.

Der Nutzen zählt

Frauen scheinen oftmals einen sehr pragmatischern Blick auf den Nutzen zu haben, und fordern ihn auch ein. Als die Arbeitsgemeinschaft für Erneuerbare Energie in einem Forschungsprojekt auch Frauen als Zielgruppe erschloss, wurde als wesentliches Ergebnis ein Support-Button an den Heizkesseln für die grafische Unterstützung der Störungsbehebung vorgeschlagen, der mit unterschiedlichen Systemen wie etwa Smartphones, Internet und Tablet-PC kommunizieren kann. Bei Volvo wiederum entstand 2001 die Idee, ein reines Frauenteam ein Auto entwerfen zu lassen. In dem Projekt wurden viele nützliche Neuerungen erdacht: Die Übersichtlichkeit wird erreicht durch eine in der Mitte sehr flache Motorhaube vorne, eine bis zum Ende des Autos reichende Heckscheibe, durch eine höhenverstellbare Karosserie und durch eine ausgesprochen vielseitige Adaptierbarkeit der Sitzposition, die auf vielfältige Körpergrößen  und Proportionen Rücksicht nimmt. Der Sitz fährt nach dem Einsteigen automatisch in eine Position, die den Körperproportionen der Person angepasst ist, und passt dann auch alle anderen Elemente, wie Lenkrad und Sitzgurt an, so dass der Fahrer respektive die Fahrerin eine gute Übersicht hat und alle Schalter leicht erreichen kann. Die Türen öffnen sich selbst, und zwar nach oben. Dadurch ist der gesamte Türraum zum Ein- und Aussteigen frei. Der unterste Teil der Türen öffnet sich nach unten, so dass auch die Kleidung nicht mit dem Schmutz auf der Fahrzeugaußenseite in Berührung kommt.

Design und Usability

Frauen können relevante Blickwinkel in technische Designprozesse einbringen. Dies ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, weil sie länger leben, 79 % aller Kaufentscheidungen treffen und noch immer oft unerkannte eigene Bedürfnisse bei Produkten und Dienstleistungen haben. Stereotype und Vorurteile erschweren grundsätzlich den Blick auf vielfältige Nutzungskontexte und Nutzergruppen. Es gibt also nur eine Möglichkeit, den Fokus in der Produktentwicklung auf andere Zielgruppen zu erweitern: Interesse und echte Einbindung der Zielgruppen in den Designprozess.

Wir sollten dabei nicht nur von Männern und Frauen ausgehen, sondern von Menschen mit vielen verschiedenen Merkmalen und in vielen verschiedenen Nutzungskontexten. Davon profitieren auch Männer. Relevant können folgende Merkmale sein: Geschlecht, Alter, kultureller Hintergrund, soziale Zugehörigkeit, ethnische Zugehörigkeit, Milieu, bis zu Körpergewicht und Größe. So zeigte sich beispielsweise im Projekt »FEMroute«, dass unabhängig vom biologischen Geschlecht Personen, die nach der Arbeit direkt nach Hause fahren, den schnellsten und kürzesten Weg bevorzugen. Personen, die Besorgungen zu erledigen und Kinder anzuholen haben, stellen komplexere Anforderungen an die Route. In dem Projekt wurden zusätzlich zur kürzesten Distanz die Profile Attraktivität, Komfort und Sicherheit als Auswahlprofile für Navigationssysteme vorgeschlagen.

Steuerbares Innovationspotenzial

Jedes Produkt hat einen Auftraggeber. Wenn in einem Usability-Engineering oder Mensch-Computer-Interaktion-Designprozess Genderfragen gestellt werden, bietet das meist einen Innovationsschub für das Produkt. Innovation ist vor allem von einem abhängig: von gut gemanagter Diversität. Die Empfehlung lautet daher, Frauen nicht nur als Kundinnen zu entdecken, sondern gleichermaßen wie Männer am Designprozess von Produkten zu beteiligen – und zwar alte, junge, dicke, dünne, und viele andere unterschiedliche.
Auch wenn ich davon ausgehe, dass das Erreichen einer echten gesellschaftlichen Gleichstellung von Männern und Frauen noch 400 Jahre dauern wird: Die gleichberechtigte Einbindung von Männern und Frauen in technische Designprozesse wird schneller vonstatten gehen – nicht zuletzt, weil Förderstellen wie FFG und EU dies immer stärker fordern. Dies wird  technologische Produkte formal, funktionell und nicht zuletzt auch inhaltlich verändern. Aus der Genderdidaktik ist bekannt: Frauen interessieren sich vor allem für soziale, menschliche und biologische Themen. Sie bringen diese Themen daher auch als Anforderung in Technik ein. In jüngster Zeit eines stärker werdenden Drucks am Arbeitsplatz und einer steigenden Burnoutgefahr könnte der Fokus demgemäß darauf liegen, wie Themenbereiche wie Wertschätzung in Unternehmen und Work-Life-Balance durch Technologie unterstützt werden können.

In allem, was Menschen tun, geht es vor allem um eines: gelingende menschliche Beziehungen. Die Frage der Zukunft lautet: Was kann eine Technologie, die Männer, Frauen, Ältere, Jüngere, Migrantinnen und Migranten, Dicke und Dünne gleichermaßen einbezieht, dazu beitragen, dass Kommunikation besser gelingt? Nicht nur technisch, sondern vor allem auch sozial.

Doro Erharter ist Geschäftsführerin des Zentrums für Interaktion, Medien & soziale Diversität (ZIMD), Gender- und Usability-Expertin und Moderatorin für Systemisches Konsensieren. Sie veranstaltet Inhouse-Kickoffs zum Thema Gendability.
Mehr unter www.doroerharter.at und www.zimd.at

Der Artikel: Auszug aus Erstveröffentlichung im Buch zum Usability-Day X
der FH Dornbirn am 1. Juni 2012: G. Kempter & K.-H. Weidmann (Hrsg.) (2012). »Technik für Menschen im nächsten Jahrzehnt.«

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