Grenzgänger
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Der Papst und Apple-Frontman Steve Jobs haben mehr gemeinsam, als man glaubt. Das Outfit und die Markenbotschaft könnten zwar nicht unterschiedlicher sein, doch beide Männer verbindet ein hoher Guru-Faktor. Beide wirken als starke Stifter von Identität und Zugehörigkeit und scharen eine Fangemeinde von wahrhaft Gläubigen um sich. Auch ein Heilsversprechen für die Kundschaft gibt es da wie dort. In Rom setzt man auf das Transzendente. In Cupertino aber auch. Dort werden keine schnöden Funktelefone und Musikabspielgeräte verkauft – sondern das iPhone und der iPod. Quasi die Materialisierung überirdischer Hightech-Gadgets. Was für ein Glück für Apple-Shareholder, dass man die Elektronik im Laden oder beim Provider auch schon im Diesseits kaufen kann. So richtig rational geht es weder bei Auftritten des Papstes noch von Jobs zu. Ende Jänner war es wieder einmal so weit: Der Apple-Messias trat leibhaftig vor seine Jünger und verkündete die jüngste Frohbotschaft. Nach dem iPhone und dem iPod schenkt Apple der Welt jetzt das revolutionäre iPad. Das hat fast schon den Charakter der Dreifaltigkeit. Das iPad ist so etwas wie ein elektronisches Buchlesegerät, wie es Amazon und Kindle schon länger verkaufen. Oder je nach Sichtweise ein kleiner Tablet-PC, dessen relativ großer Bildschirm berührungssensitiv ist.
Die zugrundeliegende Bildschirmtechnologie ist nicht wirklich neu. Sogar fade Selbstbedienungsterminals oder Bankomaten haben das seit Urzeiten – und werden von den Kunden ohne orgiastisches Kreischen bedient.
Aber jetzt wird – maßgeblich dank Apple – nicht mehr banal am Bildschirm herumgetippt, sondern die Gerätschaft großartig durch »Gesten« gesteuert. Das ist hip. Für die Marketing- und PR-Strategen aus Cupertino muss wieder einmal ein feuchter Traum wahr geworden sein. Man präsentiert ein Produkt – und die Weltpresse berichtet darüber, als ob Jesus wieder auferstanden wäre. Mit dabei die heimischen Medien: Der Kurier etwa spendierte fast die ganze Titelseite für »Apples nächsten Streich«. Leser, die mit dem seitenfüllenden Mann in Schwarz nichts anfangen konnten, wurden aufgeklärt: Steve Jobs bringt ein neues Kultgerät auf den Markt! Im Blatt selbst gab es ellenlang die Detailinfos. 680 Gramm wiegt die »Kreation« und ist 1,27 Zentimeter dick. Das Fellner-Blatt Österreich bot etwas mehr: 1,3 Zentimeter und das gleich unter dem Titel-Aufmacher »Apples neue Wunderwaffe«. Die Welt staunt. Und das nicht zu Unrecht, heißt es dann in der fast doppelseitigen Story selbst. Gestaunt haben auf jeden Fall die Spiegel-Leser: Die Online-Redaktion der altehrwürdigen Medieninstitution brachte sogar einen Liveticker über das vermeintliche Großereignis – und wurde im Lesernforum dafür beinahe gesteinigt. Der Tenor der massenhaft empörten Zuschriften: Ist der Spiegel jetzt schon komplett übergeschnappt? Ein Liveticker für eine tumbe Produktvorstellung statt kritischer Berichterstattung?
Sturmtief aus dem Web
Die harsche und geballte Reaktion der Leserschaft führte prompt zum Sinneswandel. Flugs verschwand der Ticker irgendwo in den Untiefen der Spiegel-Webseite. Dann brach das Unheil über Apples Marketing wie eine Urgewalt darnieder. Stunden später tauchte die erste kritische Geschichte über das iPad auf, ätzendere folgten. Dabei rezitierte der Spiegel nur, was Fachjournalisten auch schon herausgefunden hatten: Apple nimmt scheinbar viel Geld für wenig Leistung. Dazu kommt ein leidiger Streit um die Namensrechte. Der IT-Riese Fujitsu versuchte, sich die Rechte für sein »iPad« bereits 2003 sichern zu lassen – und rückt nicht davon ab, dass die Namensrechte eigentlich ihm gehören. Dass »pad« im Englischen pikanterweise auch eine Damenbinde bezeichnen kann, war auch nicht ganz neu. Seit sich der Medienleithammel Spiegel jedoch auf diese Geschichten gesetzt hat, wird auch in vielen deutschsprachigen Printmedien nur mehr gelästert statt gelobt.
Die Hardcore-Fans wird es nicht beeindrucken, für das Apple-Management ist der plötzliche Stimmungsumschwung eine unerwartete Wendung. Getrieben wurde dieser Umschwung weniger von klassischen Medien als von Postern, Bloggern und Netzaktivisten, denen das seichte Marketinggelabere scheinbar einfach zu viel wurde. Wer sich in lichten Höhen wie Steve Jobs und Apple befindet, kann nach den Gesetzen der Schwerkraft fast nur fallen.
Aber welche Rolle spielt das Internet für Marketing und Werbung für »erdnahe« Unternehmen? Ganz ausgemacht ist das noch nicht. »Das Web 2.0 wird bei weitem überschätzt. Man wird erst sehen, wie sich Facebook und Co in Zukunft entwickeln«, meint etwa Peter Drobil, Präsident der Österreichischen Marketinggesellschaft (ÖMG) und Brand-Manager der Bank Austria. Im Vergleich zu den USA ist Kontinentaleuropa in Sachen Web 2.0 tatsächlich fast noch unbetretenes Neuland. Eine bloße Präsenz auf YouTube oder das Gezwitscher auf Twitter sind in den Staaten fast schon out. Angesagt sind »Branded Communities«, mit denen Größen wie WalMart oder Procter ihre Kunden vernetzen. Uneigennützig geschieht das nicht.
Spielwiese für Spaßguerilla
Dass Markenbindung oder Firmentreue zwischen all den gebotenen Tipps und Tricks oder Gewinnspielen nicht zu kurz kommen, versteht sich von selbst. »Im Vergleich zu US-Firmen sind wir da noch ein bisschen hinterher«, meint Fujitsu-Marketingchef Stefan Kero. Dabei investiert Kero nach Konzernvorgaben bereits die Hälfte seines Budgets in Online-Aktivitäten, um »die Multiplikatoren dort abzuholen wo sie sich bewegen«. Bei den technikaffinen Kunden des IT-Konzerns funktioniert das. Auch wenn es immer schwieriger wird, gezielt einzelne Produkte zu lancieren. Wenn Postvorstand Herbert Götz bloggt, dann lockt das im besten Fall eine Handvoll Leute so weit aus der Reserve, dass sie dazu auch einen Kommentar abgeben. Von einem regen Kommunikationskanal oder gar einer eingeschworenen Branded Community weit und breit keine Spur.
In Österreich scheinen die neuen Medien vor allem noch eine Spielwiese der Spaßguerilla zu sein. Der Online-Standard ist nicht zuletzt deswegen attraktiv, weil im Leserforum auch begnadete Spötter ihr Unwesen treiben. Manchmal zumindest – und nie zur Freude von betroffenen Politikern oder Unternehmen. Der Multiplikatoreffekt des Web ist ohnehin zweischneidig. Das jüngste Werbefilmchen des Bundesheeres – eine Schar junger Mädchen ist vom Sexappeal eines Soldaten so angetan, dass sie wie aufgescheuchte Hühner hinter seinem Panzer herlaufen – landete auf YouTube und schlug dort ein wie eine Bombe. Der trashige Spot avancierte zum Kult und schaffte Platz fünf im Beliebtheitsranking. Norbert Darabos und seine Mannen sind seither weltberühmt.
Bittere Pillen gab es auch für Billa. Da investiert der Konzern Millionen in eine Kampagne und dann wird im Netz respektlos gewitzelt: »Billa sagt der Hausverstand, Hofer sagt der Kontostand.« Die Frage, wie und wo in der fragmentierten Werbelandschaft geworben wird, Erfolgskontrolle und die Vermeidung von Kommunikationspannen sind auch für die Agenturen eine echte Herausforderung.
»Die Rolle der Media-Agenturen hat sich geändert. Die Kunden brauchen einen strategischen Partner, der umfassende Lösungen anbieten kann«, sagt Mindshare-Chefin Friederike Müller-Wernhart. Die aktuelle Herausforderung ist freilich die Krise, die die Branche 2009 erfasst hat. Die Budgets schmolzen, lediglich einzelne Sektoren wie Handel, Versand oder Pharma steigerten ihre Werbeausgaben und verhinderten so einen ernsthaften Absturz.
»Derzeit herrscht wenig Amüsement. Wir leben in unruhigen Zeiten, denen man mit Inhalten begegnen muss«, sagt ÖMG-Präsident Peter Drobil. Einen Leitfaden liefert die ÖMG gleich selbst und präsentierte erst kürzlich den sechsten Titel der hauseigenen Buchreihe: »Effectuation – Unternehmergeist denkt anders«. Eines der Prinzipien, die besprochen werden: Auch Scheitern gehört zum Erfolg.
Seitenblick: Tops, Flops, Helden und Grenzgänger
Speed kills, meistens zumindest. Oft jedoch im Internet. Selbst einzelne Poster oder Blogger multiplizieren Marken-Kult oder Spott und Häme, die selbst Weltkonzerne in die Knie zwingt. Bei Re-Branding oder Imagewechsel dominieren die Beharrungskräfte. Dann schlägt die Stunde der Marketing-Helden.
Bundesheer: Das jüngste Werbevideo des Bundesheeres entwickelte sich weit über Österreichs Grenzen hinaus zum Publikumshit – und schaffte kurzfristig sogar den sensationellen Platz 5 im Beliebtheitsranking von YouTube. Der Schuss ging jedoch kräftig nach hinten los. Das peinliche Macho-Filmchen avancierte zwar zum Kult, aber nur deswegen, weil es taxfrei zum schlechtesten Werbespot aller Zeiten erklärt wurde. Neue Rekruten hat man damit wahrscheinlich nicht gewonnen, aber wenigstens hat man die Lacher auf seiner Seite.
Apple: Was für ein Wirbel! Apple stellt den iPad vor und weltweit schreiben sich Journalisten die Finger wund, als ob sie dafür die Salbung von Steve Jobs erhalten würden. Der Kurier oder Österreich strickten daraus den Tagesaufmacher, der Spiegel spendierte einen Online-Liveticker. Der verschwand aber schnell wieder in der Versenkung. Im Forum schrien die Leser auf: Spinnt der Spiegel komplett, ein Ticker für eine tumbe Produktvorstellung? Stunden später folgte eine ernsthafte iPad-Kritik, tags darauf schon der erste Verriss. Wenn der Spiegel umschwenkt, wachen auch die anderen Medien auf. Jetzt setzt es Häme statt Euphorie.
Billa: Der onkelhafte Mr. Hausverstand, mit seinem Rolli so etwas wie ein Steve Jobs für Arme und Hausfrauen, war eine Steilvorlage für kreative Veralberungen. Im Netz kursieren etwa Sprüche wie »Billa sagt der Hausverstand, Hofer sagt der Kontostand«. Ebenfalls im Netz zu finden: ein verwackeltes Handyvideo, das »Mr. Hausverstand« beim Einkauf im Hofer filmt. Ob er es tatsächlich ist oder nicht, bleibt offen. Auf Nachfrage des »Straßenreporters« flüchtet der Mann wie von der Tarantel gestochen. Die Ähnlichkeit ist jedoch verblüffend. 27 Millionen Euro hat Billa in die Kampagne investiert – und dann das.
Weichspüler zu verkaufen, ist Tagesgeschäft. Geht es jedoch um Übernahmen, Fusionen, Image- oder Markenwechsel, schlägt die Stunde der Marketing-Helden. Aufwand und Kosten sind gewaltig. Die Bank Austria etwa hievte ihr neues Logo via Hubschrauber auf den Donauturm. Orange-Boss Michael Krammer muss »One« aus den Köpfen kriegen, Microsoft sein Vista. Manchmal geht ein Imagewechsel schnell. Gestern war Goggle noch gut, heute sind sie fast schon die Bösen. Manchmal dauert er ewig. IBM wird noch ein paar Jahrzehnte »Big Blue« bleiben, obwohl das seit den 90ern nicht mehr so recht zutrifft. Und das Image von HP hat sogar die Ex-Chefin Carly Fiorina überstanden.