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Warm anziehen

Die russische Erdgaskrise wirft wieder einmal die Frage auf, wie sicher es um die Versorgung mit fossilen Energieträgern bestellt ist. Die Grenzen der Förderbarkeit von Erdöl und Erdgas sind bald ausgereizt, die Erschließung neuer Quellen ist noch unwirtschaftlich. Rückenwind spüren deshalb die erneuerbaren Energieträger, auf die auch Mineralölkonzerne setzen.

 

Wieder einmal stand Europa, wie schon vor zwei Jahren, zum Jahreswechsel vor der bangen Frage: Werden wir genug Erdgas haben, um über den Winter zu kommen? Oder werden wir uns den Hintern abfrieren, nur weil sich die Ukraine und Russland nicht einigen können? Der Erdgas-Streit zwischen dem russischen Staats-Gaskonzern Gazprom und dem ehemaligen Ostblockstaat hatte massive Auswirkungen auf die Versorgung Mittel- und Westeuropas. Während in Bulgarien Heizungen und Strom rationiert wurden und die Menschen in Bosnien überhaupt in kalten Wohnungen saßen, weil das Land keine Gasvorräte auf Lager hat, war in Deutschland und auch in Österreich vorerst Beruhigung angesagt: Zwar wurden die Speicher aufgrund des Lieferstopps zur Hälfte geleert, in Österreich aber seien OMV und deren Vertriebstochter EconGas in ständigem Kontakt mit der Gazprom, um auf solche Importreduktionen reagieren zu können, wie die OMV versicherte.

 

>> Versorgungslücke abgewendet <<

Der EconGas, an der neben der OMV Gas & Power noch EVN, Wien Energie, OÖ Ferngas, Begas und Linz AG beteiligt sind, stehen 1,7 Milliarden Kubikmeter Gasreserven zur Verfügung, die seit dem Lieferstopp ins österreichische Leitungssystem eingespeist werden. Alleine damit könne die Versorgung Österreichs mit Erdgas für drei Monate gesichert werden, so die OMV. Damit sei Österreich »bis auf Weiteres« mit Erdgas versorgt, wie sich die Teilnehmer des von Wirtschaftsminister Mitterlehner am 7. Jänner einberufenen Energielenkungsbeirats einig waren. Haushalte und Gewerbe seien keinesfalls betroffen, die Industrie dachte »unter Ausschöpfung aller vertraglichen Möglichkeiten« über die »gemeinsame Optimierung von Verbrauchsspitzen« nach. Dass das Rationierungen des Gasverbrauchs für Industrie und Kraftwerke bedeutet, wie die Grünen argwöhnen, bestreitet das Wirtschaftsministerium. Vielmehr gehe es darum, dass in erster Linie Kraftwerke, die mit Gas betrieben werden, auf Heizöl schwer umstellen, wie es Wienstrom etwa beim Kraftwerk Simmering und die niederösterreichische EVN beim Kraftwerk Theiß getan haben. Die Wienstrom komme mit ihrem gelagerten Öl drei bis vier Monate aus, versichert Wienstrom-Sprecher Christian Neubauer. Auswirkungen der Umstellung auf die Strompreise gebe es keine, auch nicht dann, wenn es länger kein Gas geben sollte und Heizöl zugekauft werden müsse, so Wienstrom. Zusätzlich zu den vorhandenen Speicherkapazitäten hat die Rohöl-Aufsuchungs-AG (RAG) angeboten, ihren Speicher Haidach, der normalerweise das deutsche Gasnetz versorgt, für das österreichische Gasnetz zur Verfügung zu stellen. Der an der Grenze von Oberösterreich zu Salzburg liegende Speicher, der 2007 eröffnet wurde und derzeit ausgebaut wird, kann in der zweiten Ausbaustufe bis zu 2,4 Milliarden Kubikmeter Erdgas speichern, das entspricht damit etwa einem Viertel des österreichischen Gesamtjahresbedarfs an Erdgas.

 

>> Verlässlichkeit in Zweifel gezogen <<

Die Erdgaskrise wirft aber, über die aktuelle Situation hinaus, die Frage nach der Versorgungssicherheit auf, wenn Österreich zu einem Großteil von einem einzigen Partner abhängig ist, der das Erdgas als politische und wirtschaftliche Waffe einsetzt. Knapp mehr als die Hälfte des heimischen Gasbedarfs in der Höhe von rund acht Milliarden Kubikmetern jährlich wird derzeit aus Russland gedeckt. Immerhin ein Drittel des Erdgases, das in diesem Land verbraucht wird, stammt aus Norwegen und anderen Ländern, der Rest kommt aus Österreich selbst. Um die Gasversorgung langfristig gewährleisten zu können, hat die EconGas im Jahr 2006 den direkten Bezugsvertrag der OMV mit der Gazprom übernommen und ihn bis 2027 verlängert. Ob der Lieferstopp vonseiten der Gazprom nun irgendwelche Auswirkungen auf diesen Vertrag hat und ob Schadenersatzforderungen oder Klagen im Raum stehen, will die EconGas, die festhält, dass nur die gelieferten Mengen bezahlt werden, nicht beantworten. Die deutliche Aufforderung der EU an die Adresse Russlands, die Gaslieferverträge auch einzuhalten, könnte allerdings als Hinweis in diese Richtung gedeutet werden.

 

>> Russland zu energielastig <<

Dass Russland längerfristig ein sicherer Partner bei der Lieferung der fossilen Energieträger Gas, aber auch Öl sein kann, wird nun auch von wissenschaftlicher Seite bezweifelt: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin stellt in seiner jüngsten Studie die Behauptung auf, Russland werde künftig Schwierigkeiten haben, die mit westeuropäischen Ländern eingegangenen Verpflichtungen einzuhalten. Grund dafür sei der zunehmend energielastige Außenhandel Russlands: Erdgas- und Erdölexporte Russlands machen bereits 61 % aus, 70 % davon gehen in die Europäische Union. Die gesamtwirtschaftlichen Probleme, die aus dieser einseitigen Ausrichtung resultieren werden, könnten für Europa Lieferengpässe zur Folge haben, meint das Institut. Gleichzeitig würden im Inland Gas und Öl weiter verschwendet, Energiesparen und Energieeffizienz seien in Russland kein Thema. Die nur mehr langsam zunehmenden Förderkapazitäten bei den fossilen Brennstoffen in Kombination mit der Vernachlässigung der Förderung im Inland zugunsten des Erwerbs ausländischer Beteiligungen durch Gazprom könne dazu führen, dass Russland beim Öl in 20 Jahren und beim Gas etwas später nicht mehr in der Lage sein wird, über den eigenen Bedarf hinaus zu exportieren.

Einen weiteren Grund für die kommende Rohstoffverknappung Russlands sehen die Wirtschaftsforscher in der Abschottung des russischen Energiemarktes, was ihn für ausländische Investoren zunehmend unattraktiv mache. In Kombination mit den hohen Subventionen, die Russland den heimischen Energiepreisen angedeihen lässt, und der Energieverschwendung könne dieser Investitionsrückstand zum Ausfall als westeuropäischer Energielieferant führen.

 

>> Nabucco als Ausweg? <<

Die weltweiten Gasreserven von über 175 Billionen Kubikmetern würden bei gleichbleibendem Verbrauch bis zum Jahr 2060 reichen, meint man bei der EconGas. Allerdings soll der Bedarf an Erdgas in Europa Prognosen der Europäischen Kommission zufolge von 485 Milliarden Kubikmetern im Jahr 2006 um 45 % auf 575 Milliarden bis 2030 steigen, der Importbedarf im gleichen Zeitraum von 295 auf 480 Milliarden Kubikmeter wachsen. Neue Quellen könnten die Kaspische Region und der Mittlere Osten bringen. Die OMV Gas & Power hat dazu im November gemeinsam mit RWE die »Caspian Energy Company« (CEC) gegründet. Heuer sollen die Transportmöglichkeiten ausgelotet werden, um Erdgas vom östlichen Ufer des Kaspischen Meeres nach Europa zu bringen. Das Gas könnte in die bereits vorhandene Süd-Kaukasus-Pipeline eingespeist und in die geplante Nabucco-Pipeline weitergeleitet werden, die das Rückgrat des »Southern Gas Corridors« bilden soll.

Das Nabucco-Projekt, das ein Konsortium unter der Führung der OMV bis 2013 errichten will, könnte dieses Erdgas mit Umgehung Russlands über die Türkei, Bulgarien, Rumänien und Ungarn zum wichtigen Erdgasterminal in Baumgarten in Österreich und von dort weiter nach Westeuropa transportieren. Die anderen Gesellschafter sind die Erdgaslieferanten aus Rumänien, Bulgarien, Ungarn, der Türkei sowie die deutsche RWE. Geplanter Baubeginn für die 7,9 Milliarden Euro teure Pipeline mit einer Länge von 3.300 Kilometern soll 2010 sein.

 

>> Neue Quellen <<

Bei der OMV, Österreichs und Mitteleuropas größtem Mineralöl- und Erdgaskonzern, sieht man die Frage der Versorgungssicherheit mit den fossilen Energieträgern nicht nur bei Erdgas, sondern auch beim Erdöl entspannt. Die OMV fördert derzeit 318.000 Fass Rohöl-Äquivalent pro Tag. Weltweit werden 85 Millionen gefördert. Mit der Weiterentwicklung der Fördertechnologien hofft man, in 15 bis 20 Jahren auf eine Kapazität von 100 Millionen zu kommen. Dieser Level namens »Plateau Oil« könne dann längere Zeit gehalten werden, so OMV-Sprecher Sven Pusswald. Auf wie lange, darauf will er sich nicht festlegen. Rund die Hälfte der Reserven liege in konventionellen Feldern, an der Erschließung anderer Quellen arbeitet die OMV derzeit mit Hochdruck und in Kooperation mit der Montanuni Leoben.

Dazu gehören hochviskose, dickflüssige Öle, wie sie etwa in Kanada gefunden wurden. Zu finden sind diese Öle in gemischten Gesteinspaketen, wo sie stark verdichtet als Teer nahe an die Erdoberfläche gelangen und dort abgebaggert werden können. Diese Teersande zu gewinnen und zu verarbeiten, sei allerdings noch unrentabel, weil der Gewinnung von zehn Fass Rohöl ein vergleichbarer Energieaufwand von vier Fass entgegensteht, wie Stephan Matthäi, Professor am Lehrstuhl für Reservoir Engineering an der Montanuniversität Leoben, erklärt.

 

>> Öl für 40 Jahre <<

Sorgen, dass es in Bälde kein Erdöl mehr geben wird, wie es zu Beginn der 70er-Jahre noch der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter und auch der Club of Rome prophezeit hatten, brauchen wir uns also keine zu machen. Laut aktuellen Berechnungen von Geologen schlummern noch vier bis fünf Billionen Fass Erdöl unter der Erde. In den vergangenen 100 Jahren verbrauchte die Menschheit 1.000 Milliarden Fass – auch wenn der Verbrauch innerhalb dieses Zeitraums zugenommen hat, können wir davon ausgehen, dass uns das schwarze Gold noch einige Zeit lang zur Verfügung stehen wird. »Wir werden sicher noch 60 Jahre Erdgas und 40 Jahre Erdöl haben«, meint Herbert Hofstätter, Professor am Lehrstuhl für Petroleum Production and Processing an der Montanuni Leoben. Heute werden weltweit zwischen 15 und 20 Millionen Fass Rohöl jährlich verbraucht. Die meisten Reserven hat der Nahe Osten mit 739 Milliarden, Nordamerika folgt mit 213 Milliarden Barrel, gefolgt von Afrika mit 114 und Mittel- und Südamerika mit 103 Milliarden Barrel. Schlusslicht ist Europa mit einer Reserve von 15 Milliarden Fass.

Dass die Prognosen über die Verfügbarkeit von Erdöl immer weiter nach hinten verschoben werden, liegt auch an den verbesserten Fördertechnologien, mit deren Hilfe die vorhandenen Reserven immer effizienter ausgebeutet werden können. 1979 lag der Ausbeutungsfaktor noch bei 20 %, im Jahr 2000 waren es bereits 35 %. Mit den Methoden der »Enhanced Oil Recovery« – dem Einpressen von Lösungsmitteln – seien weitere Steigerungen des Ausbeutungsfaktors möglich, die bei porösem Sandstein bei 60 bis 80 Prozent liegen könne, meint Matthäi. Dabei geht es um viel Geld, aber auch um Zeit: Jedes Prozent zusätzlicher Ausbeute bringt ein weiteres Jahr für den Welterdölverbrauch.

 

>> Grenzen der Ausbeutung <<

Die Erdölförderung kämpft heute allerdings mit dem Problem, dass es auf der einen Seite kaum mehr unentdeckte Ölvorkommen mehr gibt und dass auf der anderen Seite die Fördertechnologie an ihre Grenzen stößt. Um den Ausbeutungsfaktor der bearbeiteten Lagerstätten zu vergrößern, muss der Druck in den Bohrlöchern mithilfe von Wasser-, Dampf- oder Gasinjektionen erhöht werden. Das kann dazu führen, dass, wie etwa in der Nordsee, das ans Tageslicht geförderte Gemisch nur mehr einen Ölanteil von zehn Prozent hat. Wird der Druck zu hoch, könne sich das Gestein, in dem das Öl gelagert ist, verflüssigen. »Eine kritische Situation, die Steigerungen immer schwerer möglich macht«, so Matthäi.

Auch die Tiefe der Bohrungen ist technisch begrenzt: Denn je nach Gesteinsart erwärmt sich das Erdöl auf seinem Weg an die Erdoberfläche, die Grenze, bis zu der das Öl noch brauchbar ist, liegt bei 120° Celsius. Selbst im lockeren Sedimentgestein, wo die Erwärmung bei weniger als 20° pro Kilometer liegt, sei daher bei 6.000 bis maximal 7.000 Metern Tiefe Schluss, so Matthäi.

Doch was die Fördertechnologien betrifft, hat die Mineralölindustrie in Österreich ein Problem: Es gehen ihr die Experten aus. Zu wenig Nachwuchs in den 80er- und 90er-Jahren ist dafür verantwortlich, dass in den nächsten Jahren mit einer Pensionierungswelle in dieser Branche zu rechnen ist. »Wir brauchen pro Jahr zehn bis 15 Absolventen«, schildert OMV-Sprecher Pusswald die Situation. Aus diesem Grund investiert der Konzern zwei Millionen Euro in die Ausbildung zum Erdölingenieur in Leoben.

 

>> Erneuerbare im Aufwind <<

Die Krise der fossilen Energieträger – die exorbitanten Preisanstiege bei Erdöl und Erdgas im ersten Halbjahr 2008, dann der russische Gaslieferstopp – hat andere Energieformen zu potenziellen Gewinnern gemacht. In Österreich wird, mit dem Argument der Autarkie, wieder intensiver über den Ausbau der Wasserkraft nachgedacht. Italien beginnt, seine strikte Anti-Atompolitik zu überdenken, die Slowakei will ihr Atomkraftwerk Bohunice ausbauen. Und die Vertreter der erneuerbaren Energieträger wittern ebenfalls Rückenwind. Ende Jänner wird in Bonn die Internationale Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) gegründet, die ihren 51 Mitgliedsstaaten Unterstützung bei der Anpassung politischer Rahmenbedingungen sowie der Finanzierung und des Technologietransfers zur Weiterentwicklung von Wind-, Biomasse- und Photovoltaikenergie anbieten will.

Dass der Trend in Richtung Erneuerbarer geht, zeigt aber vor allem der Umstand, dass sich die großen Mineralölkonzerne wie BP bereits jetzt mit der Endlichkeit des Erdöls abfinden und sich schon seit einigen Jahren mit dem Thema Photovoltaik befassen. Auch die österreichische OMV setzt mit dem 2006 gegründeten OMV Future Energy Funds darauf, dass der derzeitige weltweite Anteil der erneuerbaren Energien von sechs Prozent steigen muss – schon allein deshalb, weil die EU ihre Mitgliedsstaaten verpflichtet, bis zum Jahr 2020 ihren Anteil daran auf 20 % zu bringen. Damit soll die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern im Allgemeinen reduziert werden. Für Russland, den Hauptlieferanten Europas im Bereich Öl und Gas, soll das signalisieren: Bitte warm anziehen.

 

Facts

>> Als »Enhanced Oil Recovery« werden bei der Erdölförderung die Methoden bezeichnet, die die Charakteristik im Ölreservoir verändern. Vorzugweise geht dies in alten Feldern mit komplexer geologischer Struktur. Mit dem Einpressen von Gas, Wasser oder Heißdampf sowie geeigneten Chemikalien können der Druck im Ölreservoir, die Gleitfähigkeit des Öls und damit die Förderrate erhöht werden.

 
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