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»Effektivität von Förderungen hinterfragen«

\"''ÜberspitztMarktforscher Andreas Kreutzer analysiert im Interview mit dem Bau & Immobilien Report das abgelaufene Baujahr, beleuchtet die ständigen »Marktbegleiter« der Branche und bekräftigt seine punktuelle Kritik am heimischen Förderwesen. Für das Jahr 2012 ist Kreutzer entgegen der landläufigen Expertenmeinung aber durchaus optimistisch.

Report: Für 2011 wurde der Bauwirtschaft ein schwieriges Jahr prognostiziert. Jetzt hört man von vielen Seiten, dass es nicht so schlimm gelaufen ist wie befürchtet. Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe dafür, dass die Branche mit einem blauen Auge davongekommen ist?

Andreas Kreutzer: In der Tat zeigt sich die Bauwirtschaft vergleichsweise robust. Das Wachstum folgt haarscharf der Entwicklung der Gesamtwirtschaft. Verantwortlich dafür ist großteils ein nach wie vor lebendiger Sanierungsmarkt. Vor allem private Haushalte schichten noch immer Ersparnisse in Realinvestitionen um. Die Bauwirtschaft profitiert davon zweifelsohne überproportional. Aber auch der Neubau lahmt keineswegs. Für die ersten sieben Monate erhebt Statistik Austria in der Konjunkturerhebung ein Plus von 3,7 % für Gebäude-Neuerrichtungen, wenngleich ein Großteil des Umsatzwachstums hier preisindiziert ist. Der Markt wäre etwa für neue Wohnungen durchaus aufnahmebereit, aber die Krise hat die Bauträger massiv verunsichert und so haben sie den Motor eigentlich zu spät angeworfen. Die Folge sind erhebliche Preissteigerungen am Sekundärmarkt, zumindest für gute Lagen.
Auf Wachstumskurs befindet sich auch der Tiefbau, trotz des Lamentos vonseiten einiger Vertreter der Bauindustrie. Die Bauproduktion wuchs in den ersten sieben Monaten 2011 real um zwei Prozent. Im Jahr 2010 schrumpfte der Markt noch um gut 12 % gegenüber dem Vorjahr. Der Tiefbaumarkt reagiert einfach zäher auf Investitionsimpulse, nicht zuletzt aufgrund der Komplexität der Projekte. Für die nächsten Jahre sieht es allerdings ganz gut aus. Der Auftragsbestand im Inland liegt mit Juli 2011 um 10 Mrd. Euro + (36 %)
höher als noch im Dezember 2010.

Report: Sie haben als Marktforscher einen breiten Überblick über die gesamte Branche. Welche Teilbereiche haben sich besonders gut entwickelt, wer hat ein Seuchenjahr hinter sich?

Kreutzer: Ein »Seuchenjahr« können wir für kein Segment ausmachen. Der Leitungs- und Kläranlagenbau sowie die Elektroinstallationen liegen zum Beispiel »nur« stabil auf Vorjahresniveau. Eine besonders gute Auftragslage gab es hingegen im Ausbaugewerbe, also bei Malern & Anstreichern, Fußbodenlegern, Bautischlern, Dachdeckern usw. Und der Sanitär- und HLK-Bereich wuchs im Markttrend. Auf Unternehmensebene kann das alles natürlich ganz anders ausschauen. Wir kennen das aus dem »Branchenradar«, der bekanntlich größten Melderunde für Baustoffe in Österreich. Kaum ein Anbieter bewegt sich da mit dem Markt. Die Einmeldungen weichen in der Regel signifikant vom Durchschnitt ab, sowohl positiv als auch negativ.

Report: Was sind aus Ihrer Sicht die aktuell vorherrschenden Themen der Branche?

Kreutzer: Aufgrund der Heterogenität der Gewerke und Baumaterialien gibt es kein »Generalthema«. Nehmen wir etwa die Baustoffindustrie: Bei Farben & Lacken beschäftigt man sich intensiv mit der nächsten Umsetzungsphase von REACH. Die Erzeuger von Mauersteinen kämpfen hingegen mit den zunehmend strengeren Energierichtlinien, was zu ganz anderen Wandaufbauten als früher führen könnte. Bei Photovoltaik ist der Preisverfall wohl Thema Nummer eins, wobei man von den großen Anbietern den aktuell geringsten Durchschnittspreis bei einem heimischen Anbieter findet. Und der Holzbau ist bemüht, das Bauen insgesamt zu revolutionieren. Und für die Verarbeiter, also die ausführenden Gewerke, bleibt wohl die Umsetzung der zahlreichen Produktinnovationen auf der Baustelle das zentrale Thema.

Report: Welchen Herausforderungen muss sich die Bauwirtschaft in den nächsten Jahren stellen?

Kreutzer: Abgesehen von den ständigen »Marktbegleitern« wie Kosten- und Preisdruck sowie Facharbeitermangel sehe ich die größte Herausforderung im Bauen im öffentlichen Raum. Zum einen verhindern, verzögern und verteuern die mittlerweile weit überzogenen Bürgerbeteiligungen zahlreiche wichtige Bauprojekte, insbesondere im Infrastrukturbereich. Zum anderen kürzen öffentliche Auftraggeber allerorts Bauinvestitionen, weil ein immer größerer Anteil des öffentlichen Haushalts für die Finanzierung des privaten Konsums oder Unternehmenssubventionen verwendet wird. Und wenn doch wo neu gebaut wird, dann meist nur in der Sparvariante. Ich frage, wo bleibt hier die Verhältnismäßigkeit? Österreich haben Investitionen groß und stark gemacht und nicht die Subvention des Konsums. Eine Erhöhung von Pensionen, Pflegegeld u.Ä. um nur ein Prozent kostet den Staat pro Jahr 280 Millionen Euro. Das entspricht etwa dem Jahresbudget aller neu errichteten Gebäude für das Bildungswesen. Es fehlt mir auch das Verständnis für »Rotstift-Attacken« wegen ein paar hunderttausend Euro für eine innovative Vorhangfassade, wenn gleichzeitig mit immer mehr Steuergeldern das Leben von unproduktiven Privathaushalten finanziert wird. Wie wäre es da mit einer neuen Art von Generationengerechtigkeit und die Alten verzichten einmal ein paar Jahre auf die Erhöhung und die Beamten schließen sich dem Verzicht gleich an?

Report: Sie sind in der Branche bekannt dafür, sich kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Sie haben den Sanierungsscheck kritisch hinterfragt, als die ganze Branche darüber gejubelt hat, und die Wohnbauförderung in Frage gestellt, während die Branche die Zweckbindung zurück wollte. Wo sehen Sie aktuell Fehlentwicklungen bzw. falsche Einschätzungen der handelnden Personen?

Kreutzer: Vorweg, ich bin kein Gegner von Förderungen für die energetische Optimierung von Gebäuden. Aber ja, es ist richtig, ich stelle die Effektivität des Sanierungsschecks, so wie er derzeit konfiguriert ist, massiv in Frage. Unsere Befragungen zeigen, dass mehr als 90 % aller Anspruchnehmer des Sanierungsschecks auch ohne die zusätzliche Förderung saniert hätten. Die Hebelwirkung des Sanierungschecks ist also vergleichsweise gering. Überspitzt gesagt finanziert der Sanierungsscheck nicht die Sanierung des Gebäudes, sondern alimentiert den nächsten Urlaub oder die Ledersitze im neuen PKW, weil man sich das Geld dafür bei der Eigenheimsanierung »erspart« hat. Dafür erreicht der Sanierungsscheck jene Haushalte, die sich mangels Kaufkraft eine Sanierung ihres Hauses in der Tat nicht leisten können, überhaupt nicht. Denn wer keinen Kredit über zumindest 20.000 Euro bekommt, dem hilft der Sanierungsscheck auch nicht weiter. Um eine signifikant steigende Sanierungsquote zu erreichen, müssen wir mit den Sanierungsscheck daher besonders bei den kaufkraftschwachen Familien ansetzen.

Auch bezüglich der Wohnbauförderung bin ich keineswegs gegen eine Alimentierung des Wohnbaus, rege aber doch an, für neue Finanzierungsquellen offen zu sein. Wenn man es mit der Senkung der Lohnnebenkosten ernst meint, dann steht auch der 1%-Zuschlag für die Wohnbauförderung zur Disposition. Wenn wir an die Wurzeln der Wohnbauförderung zurückkehren wollen, dann müssen wir uns auch über die primäre Aufgabe der Idee im Klaren sein, nämlich günstigen Wohnraum zu schaffen. Dies ist heutzutage aber primär dadurch vielerorts praktisch unmöglich, weil die Grundstückspreise in den letzten Jahrzehnten explodierten. In den 70er-Jahren lagen die Grundstückskosten bei durchschnittlich 12 % der Gesamterrichtungskosten. Heute müssen dafür 30 % und mehr angesetzt werden. Gleichzeitig belaufen sich die steuerfreien Gewinne aus der Umwidmung von Agrarflächen in Bauland auf rund 2,7 Milliarden Euro pro Jahr. Eine Änderung in der Widmungspolitik samt Rückabwicklung bereits umgewidmeter, aber noch nicht verbauter Grundstücke käme einer Stützung der Baukosten von bis zu 25 % gleich. Das nenne ich Wohnbauförderung.

Report: Was wird 2012 der Bauwirtschaft bringen?

Kreutzer: Wenn uns die Krise eines gelehrt hat, dann mit Prognosen vorsichtig umzugehen. Wir verwenden auf der Ebene der Baustoffmärkte wirklich komplexe Modelle und liegen auch immer wieder daneben. Aus heutiger Sicht und vor dem Hintergrund der Auftragsbestände mit Juli 2011 gehen wir im Hochbau für 2012 von einem etwas schwächeren Neubau, aber von einem nach wie vor robusten Wachstum im Sanierungsmarkt aus. Es sei denn, das Konsumvertrauen bricht infolge eines makroökonomischen »Störereignisses« zusammen. Für den Tiefbau sind wir hingegen in jedem Fall optimistisch.

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