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»Karriereleben ­sportlicher betrachten«

Christine Bauer-Jelinek, Wirtschaftscoach und Psychotherapeutin, über Wegkreuzungen im Leben, erfolgreiche Torleute und die Kinder der 68er.

(+) plus: Früher blieb man nach Möglichkeit das ganze Arbeitsleben lang bei einer Firma. Ein unfreiwilliger Jobwechsel wurde als persönliches Scheitern empfunden. Ist das heute immer noch so?
Christine Bauer-Jelinek: Das Bewusstsein, mehrere Arbeitgeber in einem Leben zu haben, ist schon weitgehend vorhanden. Aber wenn es unfreiwillig passiert, ist natürlich zuerst der Schock zu verarbeiten.Oft tritt auch einfach nur Stillstand ein – in den nächsten Jahren besteht keine Aussicht auf höhere Positionen oder Erhöhung des Gehalts.
Weder in der Wirtschaft noch im Leben können Kurven immer nur nach oben zeigen. In dieser Zeit kann man sich stabilisieren, die Routine verbessern, sich fortbilden. Das Sozialleben und die Gesundheit können wieder mehr Raum einnehmen – endlich zum Zahnarzt, zur Wirbelsäulengymnastik gehen oder mehr Sport machen. Beim nächsten Anstieg kann man dann besser gerüstet die Herausforderungen annehmen.

(+) plus: Auch bei einer Beförderung übergangen zu werden, empfinden die Betroffenen meist als Rückschlag.
Bauer-Jelinek: Wir müssen lernen, das berufliche Karriereleben sportlicher zu betrachten. Würde jeder Tormann, der ein Tor bekommt, gleich verzweifeln, könnte er nie wirklich erfolgreich sein. Niederlagen und Tore müssen wir lockerer wegstecken. Das ist die Botschaft, die ich im Coaching weitergebe: aufstehen, abputzen, weiterspielen. Sonst kriegen Sie gleich das nächste Tor. Man wird nicht jeden Job, für den man sich bewirbt, bekommen. Daraus lernen Sie und irgendwann werden Sie den Treffer landen.

(+) plus: Ist diese erste Enttäuschung ein erster, notwendiger Schritt in die Phase der Neuorientierung?
Bauer-Jelinek: Auch der Tormann freut sich nicht, wenn er ein Tor bekommt, dann haut er mit der Faust kurz auf den Boden. Aber das große schwarze Loch mit Selbstwertzweifeln, das ist unnötig. Kurzes Ärgern, und dann eine Analyse der Faktoren: Woran ist es gelegen? Was kann ich besser machen?
Gerade Frauen möchte ich gerne ins Stammbuch schreiben: Es ist nicht nur die eigene Leistung, die zum Erfolg führt. Da sind Frauen meistens spitze – sie studieren schneller, haben die besseren Noten, machen wesentlich mehr Fortbildungen und Kurse. Frauen verabsäumen aber, rechtzeitig Lobbying für ihre eigene Person zu betreiben. Sie machen sich keine Gedanken, wer helfen könnte, welche Netzwerke es gibt. Frauen sind zwar in Netzwerken, aber sie nützen sie zu wenig für die Karriere. Das empfinden viele als unmoralisch.

(+) plus: Männern wird dafür in der Gesellschaft die Rolle des Ernährers der Familie zugerechnet – auch nicht immer einfach.
Bauer-Jelinek: Hier stehen wir noch ganz am Anfang, aber es gibt immer mehr junge Männer, die schon mit einer anderen Vorstellung von Familie aufgewachsen sind. Die 68er-Generation hat es schon anders gemacht und die Kinder der 68er sind inzwischen Mitte 30. Diese Generation wird einen großen Umschwung bringen.

(+) plus: Im heutigen Arbeitsleben muss man vor allem flexibel sein. Wie wirkt sich das auf künftige Karrierewege aus?
Bauer-Jelinek: Die heutige »Generation Praktikum« sind Patchworker, die schon während des Studiums gearbeitet haben, danach zum Teil selbstständig sind, zum Beispiel als Grafiker oder EDV-Berater, und daneben in einem wissenschaftlichen Institut für ein paar Stunden pro Woche angestellt sind. Und wenn sie einmal weniger zu tun haben, machen sie eine Fortbildung. Diese jungen Leute sind gewohnt, mit Flexibilität umzugehen und viele verschiedene Lebensentwürfe als erfolgreich zu betrachten.

(+) plus: Fühlen sich diese Menschen nicht trotzdem manchmal als Verlierer?
Bauer-Jelinek: Nicht unbedingt. Ich sehe das eher bei jenen Menschen, die nach einem anspruchsvollen Auslandsstudium gleich in die Konzernkarriere gestartet sind. Dort geht’s weiter ins Management, das bedeutet, die nächsten 20 Jahre rund um die Uhr zur Verfügung zu stehen. Die trifft dann jeder Rückschlag besonders hart, das kratzt am Selbstwertgefühl. Sie müssen lernen, dass in jedem Leben Rückschritte dazugehören. Es kann nicht jeder immer gewinnen. Kein Opernsänger trifft immer das hohe C.
Die Menschen, deren Lebensentwürfe nicht unbedingt auf die große Karriere ausgerichtet sind, können mit den Gegebenheiten meist lockerer umgehen. Sie haben vielleicht unterschiedliche Richtungen angefangen, bis sie wussten, was sie eigentlich studieren wollen. Ihnen sind künstlerische Betätigung, soziales Engagement, mehr Zeit für die Familie wichtig – durchaus auch ein leistungsorientiertes Berufsleben, aber sie lassen sich nicht voll in diese Maschinerie einspannen. Das sind keine Loser.

(+) plus: Dieser Lebensentwurf wird neuerdings mit »Work-Life-Balance« umschrieben.
Bauer-Jelinek: Bei mir heißt es Optimierung von Leistung und Lebensqualität. Manche machen das in großen Abschnitten – die arbeiten 20 Jahre bis zum Umfallen und wollen sich dann mit 40 eine Almhütte oder ein Penthouse kaufen und ein Buch schreiben. Das geht sich natürlich nicht immer aus, aber es ist ein legitimer Entwurf. Ein Schifahrer, eine Primaballerina, ein Opernsänger, ein Fußballheld kann auch nur bis 35 rechnen.

(+) plus: Schade, wenn dann mit 40 der Herzinfarkt kommt – so gesehen wäre vielleicht doch die erste Variante besser?
Bauer-Jelinek: Wenn es einen vorher erwischt, ist es Pech. No risk, no fun. Ich will jetzt aber gar nicht entscheiden, was besser ist. Die Menschen haben ganz unterschiedliche Charaktere und Voraussetzungen. Es kann ja auch nicht jeder ein Leistungssportler sein. Es können nicht alle an die Spitze. Es gibt nur eine Goldmedaille, es gibt nur eine Geschäftsführerin oder einen CEO. 
Wenn man bei einer Beförderung übergangen wird, muss man sich fragen: Bewerbe ich mich an der richtigen Stelle? Liegt es an mir, mache ich etwas falsch oder habe ich falsche Vorstellungen von den Anforderungen? Vielleicht fehlt es aber auch an der sogenannten Macht-Kompetenz. Das kann man im Coaching gut abklären.

(+) plus: Kann ein Karriereknick auch positive Impulse bringen?
Bauer-Jelinek: Sogar sehr oft! Manchmal gräbt man verschüttete Talente aus. Ich frage dann im Rahmen des Coachings: Was wollten Sie eigentlich ursprünglich werden? Es gibt oft Wegkreuzungen im Leben, an denen man etwas zurücklässt, das man später wieder ausgraben kann.

(+) plus: Ich bin auf den Begriff »Zickzack-Lebenslauf« gestoßen. Karrieren, die nicht ganz geradlinig verlaufen, sollten als Fähigkeit interpretiert werden, die Widrigkeiten des Lebens zu bewältigen – trotzdem muss man sich bei Bewerbungsgesprächen noch immer für Lücken oder Abstecher in andere Bereiche rechtfertigen – wirklich akzeptiert wird es wohl doch noch nicht.
Bauer-Jelinek: Das hängt davon ab, wo man sich bewirbt. In großen Konzernen ist noch immer die direkte Laufbahn von Vorteil. Aber in KMU sind vielfältige Lebensläufe gern gesehen. Ich habe selbst eine Assistentin angestellt, die zunächst ein kleines Geschäft von ihren Eltern geerbt hatte und selbstständig war, daneben Betriebswirtschaft studierte, dann als Berufsschullehrerin arbeitete. Zudem machte sie eine Coaching-Ausbildung und war zuletzt Assistentin der Geschäftsleitung in einem Fortbildungsinstitut. Dazwischen hat sie noch zwei Kinder großgezogen. Ein absoluter Zickzack-Lebenslauf – aber es war diese Vielfalt, die sie für mich attraktiv gemacht hat.

(+) plus:  Viele Leute suchen nach einem Karriereknick den Weg in die Selbstständigkeit. Ist das ein typischer Verlauf?
Bauer-Jelinek: Viele machen sich selbständig, weil sie endlich ihr eigener Chef sein wollen. Den Start in die Selbstständigkeit sollte man jedoch sehr gut vorbereiten. Man muss gerne verkaufen wollen und es auch können. Mit Freiheit auf der einen und Unsicherheit auf der anderen Seite muss man gut umgehen können. Auf meinen Vortragsreisen spüre ich eine richtige Aufbruchstimmung – von Krise ist oft nicht viel zu spüren. Ich prophezeie ja eine neue Gründerwelle. Aus der Krise werden wieder mehr große Unternehmerpersönlichkeiten hervorkommen.

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