Totlachen
- Written by Redaktion_Report
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Die Zahl Sieben war immer schon für Zahlenmystik gut, manchmal lassen sich damit auch historische Entwicklungen einfangen. 1907 wurde Erich Mielke geboren. 1937 verteidigte er als Spanienkämpfer die Freiheit gegen das Franco-Regime. 1947 retteten ihn die SED-Genossen vor einem Mordprozess. 1957 findet er schließlich seine Lebensaufgabe als DDR-Minister für Staatssicherheit. Am 7. November tritt er im Revolutionsjahr 1989 zurück. Als »Stasi-Mielke« war der aufrechte KP-Recke aber schon lang davor eine Legende. Als Schnüffel-Dinosaurier schrieb er Geschichte: Seine Spione verplombten Kopierer, von Schreibmaschinen wurden typografische Profile erstellt, von Staatsfeinden Geruchsproben archiviert. Alles überwachungsmaßnahmen im noblen Dienst der DDR-Staatssicherheit. Im aufgeklärten Westen wurde der gute Erich dafür jahrzehntelang mit Hass, Spott und Häme überschüttet. Und 2007 tritt die EU in seine Fußstapfen. Mit technischen Mitteln, von denen »Stasi-Mielke« nicht einmal geträumt hätte. Am 15. September soll EU-weit die Richtlinie 2006/24/EG umgesetzt sein (siehe Kasten).
Das trockene Kürzel steht für eine umfassende Vorratsdatenspeicherung im gesamten Kommunikationsbereich. Aufgezeichnet wird beispielsweise, wer mit wem wann telefoniert, wer wem wann ein E-Mail schickt, wer sich wann welche Daten im Internet ansieht oder auch herunterlädt. Bei Handy-Kunden wird auch noch der Standort zum Zeitpunkt des Gespräches archiviert. »Stasi-Mielke« hätte bei solchen Aussichten wohl feuchte Augen bekommen. Dabei ist die jetzt geltende Richtlinie bereits ein abgeschwächter Kompromiss. Im ersten Furor nach den Terroranschlägen 2005 in London präsentierte der EU-Rat Vorschläge, die direkt aus einem stalinistischen Politbüro stammen könnten - und vom EU-Parlament dankenswerterweise abgelehnt wurden. Aber schon der letztendlich gefundene Kompromiss ist europaweit umstritten. Beim EU-Gerichtshof sind Verfahren anhängig. Datenschützer, Bürgerrechtler und Grüne proben sowieso den Aufstand. Eher neu ist, dass die Ablehnungsfront quer durch alle Schichten der sogenannten gesellschaftlichen Repräsentanten geht.
Breite Ablehnung. Grüne oder Bürgerrechtler könnte man noch als Berufsquerulanten abstempeln. Aber Anwaltsvereinigungen, ärzte, Journalisten und die Telko-Branche? Selbst die Wirtschaftskammer gibt sich kritisch. Hans-Jürgen Pollirer, Bundesspartenobmann der IT-ler und Consulter, beurteilt Forderungen nach einer Fristverlängerung der Datenspeicherung beispielsweise als »wirtschaftsfeindlich«, die positive Entwicklung des Telko-Sektors dürfe durch solche Maßnahmen nicht gefährdet werden. Auch die Telekombranche selbst ist nicht gerade angetan. Nicht nur, dass sie quasi im Auftrag des Staates ihre Kunden präventiv bespitzeln soll, auch die Frage, wie hoch die Kosten sind und wer sie überhaupt tragen soll, ist ungeklärt. Der Entwurf für eine EU-konforme Novelle des Telekomgesetzes liegt zwar seit April dieses Jahres am Tisch, wirklich Klarheit bringt er nicht. »Der Entwurf ist zu wenig bestimmt, um auch nur annähernd eine Kostenabschätzung abzugeben«, äußert sich Telekom-Mann Alexander Kleedorfer. Die Telekom Austria-Group hat auch gleich zwei kritische Stellungnahmen zum laufenden Begutachtungsprozess abgegeben. Der Festnetzbereich wie auch die Mobilkom deponierten ihre Vorbehalte im Infrastrukturministerium. Aber das sind nur zwei Stellungnahmen von insgesamt rund 100 - eine Zahl, die fast rekordverdächtig ist.
Was der Verband Alternativer Telekom-Netzbetreiber (VAT) dem zuständigen Infrastrukturminister Werner Faymann mitgeteilt hat, ist im Detail bekannt. Nach einer kurzen Einleitung mit dem Hinweis, dass der VAT natürlich eine sinnvolle Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Terrorismus unterstützt, geht der Verband auf sieben Seiten in die Vollen. So sei beispielsweise ein angemessenes Kosten-Nutzen-Verhältnis im Auge zu behalten, das die Relation zwischen der Belastung der Unternehmen und dem erzielbaren Nutzen für die Allgemeinheit wahre. In diesem Zusammenhang wird nicht nur an die wirtschaftliche, sondern auch die technische Machbarkeit erinnert. Was der VAT in wohlgesetzten Worten formuliert, klingt unter der Hand schon ein bisschen anders. »Die Sinnhaftigkeit ist schwer zu verdauen«, redet sich ein Telko-Mann den Frust von der Seele.Die technische Umsetzung wird den Providern sowieso noch zu schaffen machen. Da derzeit nicht wirklich klar ist, wie die Gesetzesnovelle aussehen wird, lassen sich präventive Lösungen oder Schnittstellen nur schwer realisieren. Generell muss die EU-Regelung am 15. September umgesetzt sein. österreich zählt zu den Ländern, denen Brüssel eine verlängerte Galgenfrist bis zum Frühjahr nächsten Jahres eingeräumt hat, dennoch drängt die Zeit.
Die Flut von negativen Stellungnahmen macht es unwahrscheinlich, dass die Novelle im Schnellgang durchgepeitscht wird. Dazu kommt der zunehmende Druck durch die öffentlichkeit. Das ORF-Radio ist beispielsweise über seinen Schatten gesprungen und präsentierte den Hörern das abstrakte Thema in einem Feature. Selbst im tagesaktuellen »Mittagsjournal« waren bereits vereinzelt Sätze zu »Data Retention« und der staatlichen überwachungswut zu hören. Der Datenschützer Hans Zeger von der Arge Daten ist mit Podiumsdiskussionen und Interviews sowieso im Dauereinsatz. Dass eine Gesetzesnovelle auf einem Kunstevent wie der Ars Electronica zerpflückt wird, ist jedoch bemerkenswert. Anfang September beschäftigte sich in Linz die Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter in einem Workshop mit dem Verschwinden der Privatheit. »Goodbye Privacy« lautete das knackige Motto. Fast unnötig zu sagen, dass die RichterInnen den EU-Vorgaben wenig abgewinnen können. »Bislang war ein Grundrechtseingriff die Ausnahme. Jetzt wird er ohne Verdacht zur Regel«, sagte Susanne Reindl-Krauskopf. Die Staaten würden mit dem Ruf nach »totaler Sicherheit« ein im letzten Jahrhundert begrabenes Selbstverständnis aufleben lassen, meinte die Wiener Strafrechtsexpertin. Klaus Steinmaurer, Leiter der Rechtsabteilung von T-Mobile, erinnerte an das Missbrauchspotenzial: »Die sichersten Daten sind immer noch die gelöschten.« Auch welche ungeheuren Datenhalden sich in Zukunft auftürmen werden, lässt eine Zahl erahnen, die Steinmaurer genannt hat. Alleine in Wien speichert T-Mobile nach derzeit gültiger Rechtslage bereits fast 800 Millionen Datensätze im Monat. Derzeit, wohlgemerkt.
Musterknaben und Skeptiker. Weitere Bedenken gibt es im Dutzend. Die Auskunftsverpflichtung der Provider gegenüber Behörden und vor allem der Rechtsgrund dafür sind schwammig, überhaupt unklar ist, welche hoheitlichen Verpflichtungen man den Providern aufbürden kann. Neben der Kostenfrage liegt der Teufel auch im Detail. Wer wird beispielsweise für allfällige Schadenersatzansprüche aus ungerechtfertigter Bespitzelung geradestehen? Selbst dass sich die einflussreiche Lobby der US-Medienindustrie ein Hintertürchen schaffen könnte, um die Kundschaft zu bespitzeln und notfalls auch zu verfolgen, ist nicht gänzlich absurd. Das sind Bedenken, die nicht linke Spinner, sondern der VAT in seiner offiziellen Stellungnahme anklingen lässt. Dass es bei der Novelle hakt, ist auch Werner Faymann klar. Der Infrastrukturminister will für die EU nicht den »Musterknaben« spielen, notfalls lässt er es bei einer verzögerten Umsetzung auf ein Vertragsverletzungsverfahren ankommen. Im Gegensatz zu Faymann ist Minister Günther Platter einer der wenigen Fans von Maßnahmen, die sogar weit über die Data Retention hinausgehen. »Ich lasse die Möglichkeit zur Online-Untersuchung der Computer von Terrorverdächtigen prüfen«, sagt der Innenminister und outet sich so als Fan des »Bundestrojaners«. Und ist damit ganz auf Linie mit seinem konservativen deutschen Ministerkollegen Wolfgang Schäuble. Dass Schäubles Ansichten zwischen Todesstrafe, Generalverdacht und präventiven Strafmaßnahmen zur Verhinderung noch nicht begangener Verbrechen pendeln, ficht Platter nicht an. Auch nicht, dass Schäubles höchst kontroversielle äußerungen Deutschland seit Monaten in Atem halten und Reaktionen auslösen, die überwiegend zwischen Entsetzen und Sprachlosigkeit pendeln.
Ganz wie sein Pendant setzt der österreicher auf mirakulöse Prävention. »Es geht nicht nur darum, Verbrechen aufzuklären, sondern auch von vornherein zu verhindern«, sagte Platter erst Anfang September auf einem Innenministertreffen in Weimar. Wie es um das IT-Verständnis der deutschen Spitzenpolitiker bestellt ist, wurde übrigens kürzlich in der deutschen Variante von »Confetti-TiVi« geoutet. Kinderredakteure befragten Zypries & Co zu einfachen IT-Themen wie E-Mail - und diese blamierten sich bis auf die Knochen. Selbst dem Spiegel war das Spott und Häme wert. So erklärt sich vielleicht auch, warum die deutsche Justizministerin Brigitte Zypries erst kürzlich einen »Hackerparagraphen« in Kraft gesetzt hat, der quasi den Einsatz von Sicherheitstools verbietet. Selbst ein kollektiver Aufschrei der IT-Branche konnte den legistischen Unfug nicht verhindern. Wie Terroristen via Datenspeicherung oder Bundestrojaner gefangen werden sollen, bleibt sowieso unklar. Selbst beim dümmsten Terroristen oder Mafia-Paten dürfte mittlerweile angekommen sein, wie man solche Maßnahmen mit simplen Mitteln aushebelt. Die Hardcore-Sicherheitsfans haben freilich immer noch eine Chance: Vielleicht lachen sich die bösen Buben ja tot.