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Vernetzen und kooperieren

Die demografische Entwicklung ist alarmierend. Im Jahr 2050 wird die Erdbevölkerung laut UN-Bericht auf über neun Milliarden Menschen angewachsen sein. Knapp ein Viertel davon, zwei Milliarden Menschen, werden den 60. Geburtstag schon hinter sich haben. Damit wird die Anzahl der Senioren die der Kinder bis 14 Jahren erstmals übertreffen. Zum Vergleich: In der Mitte des vorigen Jahrhunderts tummelten sich noch viermal so viele Kinder wie Senioren auf unserem Planeten. 200 Millionen älteren Menschen standen 800 Millionen Jungen gegenüber. Noch dramatischer ist die Situation in Europa. Bereits 1995 haben die Senioren die Kinder zahlenmäßig abgehängt. Heute stehen 120 Millionen Kinder 150 Millionen Senioren gegenüber. Bis 2050 wird die Zahl der Kinder auf unter 100 Millionen sinken, während die ältere Generation auf über 225 Millionen angewachsen sein wird. Im Gegensatz zum globalen Trend sinkt in Europa seit 2005 auch die Anzahl der 15- bis 59-Jährigen und wird sich bis 2050 immer mehr den Senioren angleichen. Diese demografische Entwicklung in Verbindung mit einem gestiegenen Gesundheitsbewusstsein ist die treibende Kraft in der Medizintechnikbranche. Derzeit wird der Weltmarkt für Medizintechnik auf ein Umsatzpotenzial von mehr als 200 Milliarden Dollar geschätzt. Zudem soll der Höhepunkt der Wachstumskurve laut Wirtschaftsexperten noch nicht erreicht sein. Mit neuen Technologien will die Branche gegenüber den sich wandelnden Rahmenbedingungen gewappnet sein. Das Europäische Patentamt vermeldet für 2006 einen Anstieg der Patent-anmeldungen aus dem Bereich der Medizintechnik um 6,8 Prozent. Damit liegt man klar vor anderen Zukunftsmärkten wie der elektrischen Nachrichtentechnik (plus 3,8 Prozent) oder elektrischen Elementen wie Bauteile, Halbleiter und Chips (plus 5,9 Prozent). Lediglich die Bereiche organische Chemie und makromolekulare Verbindungen wie Kunst-, Farb- und Aromastoffe weisen mit 10,6 Prozent einen deutlich höheren Zuwachs an Patenten auf. Auch in den USA wurden die deutlichsten Zuwachsraten in der Medizintechnik registriert. Was nicht weiter überraschend ist, wenn man bedenkt, dass 54 Prozent der weltweiten Ausgaben im Gesundheitswesen in Nord- und Südamerika getätigt werden und die USA mit durchschnittlich knapp 6000 Dollar jährlichen Gesundheitskosten pro Kopf unangefochten an der Spitze liegen.

Der Medizintechnikboom macht auch vor österreich nicht halt. Davon profitiert auch die österreich-Niederlassung von Philips. »Mit einem Umsatzwachstum von sieben Prozent wachsen wir derzeit schneller als der Markt. Besonders hohe Zuwächse konnten wir bei Computertomografen verzeichnen«, sagt Beate McGinn, Kommunikationsleiterin bei Philips österreich. Global betrachtet kamen im letzten Jahr 25 Prozent des gesamten Konzernumsatzes von 27 Milliarden Euro aus der Medizintechnik. Die Hälfte seines Medizinumsatzes erzielt Philips in Amerika, rund 30 Prozent entfallen auf Europa. Weltweit arbeiten bei Philips 33.000 Personen in über 100 Ländern in der Sparte Medizintechnik, 2006 wurden zwölf Prozent des Umsatzes in Forschung und Entwicklung investiert. Neben bildgebenden Technologien wie Röntgen, CT, MR, PET und Ultraschall sowie Patientenmonitoringsystemen und Lösungen für Krebs-, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sieht Philips auch ein enormes Potenzial in der Analyse und Neugestaltung von Prozessen und Arbeitsabläufen in den einzelnen klinischen Segmenten. Hier werden deutliche Verbesserungen im Sinne einer integrierten Versorgungskette erwartet. »Daraus resultierende Effizienzverbesserungen erlauben einerseits langfristige Einsparungen im Gesundheitssystem und bieten andererseits Wachstumsmöglichkeiten für die Medizintechnikbranche«, sagt McGinn.
Aber nicht nur internationale Konzerne, sondern auch kleine und mittlere Unternehmen können vom Boom in der Medizintechnik profitieren. »Vor allem dann, wenn sie sich vernetzen, Kooperationen eingehen und Nischen besetzen«, sagt Harald Hochgatterer von der oberösterreichischen Technologie- und Marketinggesellschaft TMG in Ober-österreich, einem Bundesland, das in der Medizintechnik sehr gut aufgestellt ist. Es gibt internationale Leitbetriebe wie Greiner Bio One, Vamed, Fresenius Kabi und Wozabal sowie einschlägige Forschungseinrichtungen wie Profactor, Upper Austrian Research UAR, Biomed und diverse Fachhochschulen und Universitäten. Der oberösterreichische Gesundheitscluster verfügt derzeit über 153 Partnerbetriebe, davon sind 85 Prozent KMUs. Die Schwerpunktfelder liegen aktuell in der Blutdiagnostik, der bildgebenden Diagnostik, der Medizinmechatronik, Medizinmechanik und Medizinelektronik.Wie wichtig der Zusammenschluss zu Netzwerken und Clustern ist, zeigt das Beispiel der Nanotechnologie. In Deutschland arbeiten Wissenschafter der Fraunhofer-Gesellschaft und der Max-Planck-Gesellschaft an bioaktiven Oberflächen für die Medizintechnik der Zukunft. Das ehrgeizige Ziel sind intelligente Oberflächen - etwa auf Analyseröhrchen, die bestimmte Zellen, Bakterien oder Viren aus einer Probe herausfischen und auf Knopfdruck wieder abgeben, oder Implantate, die sich durch bioaktive Oberfächen schnell und dauerhaft mit Knochen, Haut und Gewebe verbinden. Entscheidend für den Erfolg des Projekts ist die Interdisziplinarität. »Bioaktive Oberflächen kann man nur entwickeln, wenn man über den eigenen Tellerrand schaut«, sagt Jean François Lutz. »Wir bei Fraunhofer wissen beispielsweise zu wenig über die Grundlagen. Die sind aber wichtig, denn erst wenn wir die Grundprinzipien wie Molekülerkennung, Proteinadsorption oder Rezeptoradhäsion verstanden haben, können wir gezielt Anwendungen entwickeln.« Im Max-Planck-Institut gibt es genau hierfür Fachleute: Physiker und Chemiker, die die komplexen Interaktionen an den Grenzflächen simulieren und sichtbar machen.

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