Menu
A+ A A-

Konjunkturmotor und Klimaretter: Vier Säulen der nachhaltigen Bauwirtschaft

Das Buwog-Projekt „Kennedy Garden“ in Wien wurde etwa ein Monat nach Baubeginn mit dem „Greenpass“-Zertifikat prämiert (Bildquelle: Delta Podsedensek Architekten ZT GmbH). Das Buwog-Projekt „Kennedy Garden“ in Wien wurde etwa ein Monat nach Baubeginn mit dem „Greenpass“-Zertifikat prämiert (Bildquelle: Delta Podsedensek Architekten ZT GmbH).

Die Bauwirtschaft hat sich in den vergangenen Jahren zu einem der größten Konjunkturmotoren in Österreich entwickelt, unter anderem weil an ihr viele weitere Branchen hängen. Die aktuelle Coronakrise lässt diesen Motor zwar stottern, dennoch kam der Bau deutlich besser als andere Wirtschaftszweige durch die Einschränkungen der Pandemie. Vor allem der Wohnbau läuft weiterhin auf sehr hohem Niveau und zieht aktuell die Aufmerksamkeit zahlreicher internationale Investmenthäuser auf sich, die in der Bundeshauptstadt ein Wohnprojekt nach dem anderen kaufen. Richtig umgesetzt kann die Errichtung von Gebäuden nicht nur die Weichen für eine raschere Wirtschaftserholung vor- und nachgelagerter Branchen stellen, sondern nach wie vor als einer der größten Hebel zur Erreichung der Klimaziele wirken. Wolfgang Kradischnig und Rudolf Stürzlinger, Geschäftsführer der Delta Podsedensek Architekten ZT GmbH, sowie Peter Podsedensek, Mitbegründer und Miteigentümer, sehen in der nachhaltigen Bauwirtschaft den Schlüssel und erläutern vier wesentliche Säulen.

Der Wohnbau in Österreich erfährt durch die Coronakrise zwar einen geringen Rückgang, von einem langfristigen Einbruch gehen Experten aber nicht aus. Laut Wirtschaftskammer sei über das ganze Jahr 2020 hinweg bei den Baubewilligungen ein Rückgang von 20 Prozent zu erwarten. Das Vorkrisenniveau war beachtlich: 2019 wurden österreichweit rund 79.000 Wohneinheiten baubewilligt. Dabei kommt der Bauwirtschaft eine Schlüsselrolle in der Klimadebatte zu: „Etwa 40 Prozent des Energieverbrauchs in der EU entfallen auf die Baubranche. Ebenso etwa 50 Prozent aller Transporte, 35 Prozent aller Abfälle und 30 Prozent der CO2-Emissionen. Die Art und Weise, wie wir heute bauen, hat einen wesentlichen Einfluss auf unsere ressourcenmäßige und ökologische Zukunft“, ist Wolfgang Kradischnig, Geschäftsführer des Architekturbüros Delta Podsedensek Architekten ZT, überzeugt. Im nachhaltigen Bau sieht er den Schlüssel. Daher wurde durch die Delta Gruppe bereits im Jahr 2011 die Interessensgemeinschaft Lebenszyklus Bau mitbegründet und seitdem gemeinsam mit vielen anderen Branchenpartnern kontinuierlich ausgebaut. „Mit verschiedenen Leitfäden setzen wir eine Benchmark und haben uns zum Ziel gesetzt, in der Immobilienbranche bei öffentlichen und privaten Bauherren mehr Bewusstsein für den Lebenszyklus zu schaffen – weg vom fokussierten Blick auf die Errichtung“, führt er weiter aus. Dem Experten zufolge sind unter anderem folgende vier Säulen für einen smarten, nachhaltigen Bau ausschlaggebend.

I. Mobilität ganzheitlich denken
„Es ist nicht allzu lange her, dass Mobilität im Zusammenhang mit Gebäudeentwicklung lediglich durch das ausreichende Schaffen von Stellplätzen Berücksichtigung fand. Mittlerweile hat sich das Mobilitätsverhalten geändert – vor allem bei der jüngeren Bevölkerung. Die Verfügbarkeit von Fahrradabstellplätzen und ein Mobilitätsangebot in der Nähe sind in den Fokus der Bewohner gerückt“, so Rudolf Stürzlinger, Geschäftsführer der Delta Podsedensek Architekten ZT GmbH. Um den sich verändernden Klimabedingungen auch im sozialen Wohnbau gerecht zu werden, braucht es intelligente und leistbare Energiekonzepte. Die sommerliche Überhitzung spielt eine sehr große Rolle in der Gesamtkonzeption eines Gebäudes. Die Kombination aus verschiedenen Maßnahmen führen zu einem behaglichen Raumklima im Sommer. „Wer klimaneutral bauen will, baut dort, wo Bewohner auf das Auto verzichten können. Beispielsweise ist das Bauen auf der grünen Wiese deutlich weniger nachhaltig als ein Projekt im Zentrum, selbst wenn der Neubau in Passivhausqualität errichtet wird“, führt der Wohnbau-Experte weiter aus. Schließlich werde die Zersiedelung forciert, dazu kämen der Aufwand für die Bereitstellung von Infrastruktur und ein deutlich höherer Aufwand in puncto Mobilität.

II. Energieeffizienz im Vorfeld planen
Energieeffizientes Bauen mit erneuerbarer Primärenergieversorgung bedeutet auf lange Sicht ökologisches und leistbares Wohnen. Ambitionierte Energiestandards im Neubau sind eine Investition und vermeiden Kosten in der Zukunft. Mittlerweile widerlegen mehrere Studien das Vorurteil, dass energieeffizientes Bauen teuer sei. Die geringen Mehrkosten bei der Errichtung werden im Lebenszyklus durch die reduzierten Energiekosten mehr als ausgeglichen. Kradischnig zufolge zählt, wo die Energie herkommt: „Wir brauchen immer mehr Kälte, Wärme und Strom. Diese müssen wir aus erneuerbaren Quellen herstellen und die Gebäude von fossiler Energie und CO2-Emissionen entkoppeln. Dazu gehört, dass erneuerbare Energien nicht nur mit großem technischem Aufwand im Nachhinein aufgesetzt, sondern schon als Teil des Niedrig- oder Plusenergiegebäudes geplant werden.“ Das beginnt bereits bei der Ausrichtung des Gebäudes, um sowohl aktiv als auch passiv möglichst viel Solarenergie nutzen zu können. „Selbst im geförderten Bereich des Wohnbaus wird das Thema Energie immer wichtiger. Bei großvolumigen Wohnbauten kommt immer öfter eine Flächenheizung und -kühlung über die Decke zum Einsatz. Bei einigen Wohnbauträgern wird sich dieses System als Standard etablieren. Lüftungsanlagen werden aufgrund der Hygienekriterien und dem hohen Wartungsaufwand eher kritisch gesehen“, ergänzt Stürzlinger.
Eine aktuelle Umfrage der DELTA Gruppe zeigt, dass Kunden nachhaltige Aspekte auf einer Skala von 1 bis 10 (1= niedrig, 10= hoch) generell wichtig sind – der Durchschnittswert liegt bei ca. 7,4. Dazu gehören beispielsweise „Cradle-to-Cradle“ (Kreislaufwirtschaft), Lebenszykluskosten, partnerschaftliche Kulturgestaltung oder Ökobilanz. Kunden würden branchenübergreifend sogar durchschnittlich etwa 10 Prozent mehr für nachhaltige Projekte ausgeben. Bezüglich der aktuellen Situation aufgrund des Coronavirus gibt es unterschiedliche Ansichten. Einige Probanden waren der Meinung, dass es eine Veränderung in Richtung klimabewussteres Bauen geben wird. Andere hingegen sahen die Coronakrise nicht als eine Verstärkung dieses Trends.

III. Umorientierung bei Baustoffen
Bei der Verwendung der Rohstoffe für den Bau sollte das Bewusstsein gestärkt werden, auf Verbundmaterialien zu verzichten und auf die spätere Trennbarkeit der Baumaterialien zu achten. Auch soll recyclebaren Stoffen der Vorzug gegeben werden. Ein möglicher Ansatz, um den Einsatz von Recyclingmaterial zu erhöhen, ist Urban Mining (Stadtschürfung). Dabei werden die Ressourcen moderner Städte genutzt, um eine effiziente Rückgewinnung von Materialien zu gewährleisten. Städte fungieren somit in diesem Konzept als Rohstofflagerstätten, deren bestehende Ressourcen aus Gebäuden und Infrastruktur weiterverwendet werden. „Urban Mining ist vor allem aufgekommen, weil der EU klar geworden ist, dass Primärressourcen in Zukunft immer knapper und damit teurer werden“, lässt Kradischnig wissen. „Die Bauökologie kommt aufgrund des Preisdrucks im geförderten Wohnbau derzeit noch zu kurz. Die Vorteile von ökologischen Baustoffen wie Holz resultieren jedoch nicht nur in kurzer Bauzeit und hohem Vorfertigungsgrad, sondern auch in einem gesünderen und verbesserten Raumklima“, betont Stürzlinger.

IV. Verschiedene Lebenslagen berücksichtigen
Wohnbau bedeutet flexible Anpassung an technologische Entwicklungen und geänderte Lebensumstände der Bewohner oder die Zuführung einer gänzlich neuen Nutzung. Vor allem ist die Expertise bei späteren Nachverdichtungen gefragt: Die Forderung besteht darin, wertvolle Umnutzungen zu schaffen und in der Lage zu sein, aus Gewerbeflächen oder anderen Gebäudetypen Wohn- und Lebensraum zu erzeugen. „Mischnutzungen mit Wohnungen im Obergeschoss und mit Dienstleistungen wie Kindergärten oder Shops im Erdgeschoss gewinnen zunehmend an Bedeutung“, sagt Stürzlinger. Mit der richtigen Planung entsteht Flexibilität und Lebensqualität durch Barrierefreiheit, Generationen- und Gendergerechtigkeit sowie Chancengleichheit. Alltagstauglichkeit ist für einen Wohnbau das Um und Auf. Er soll verschiedene Nutzergruppen ansprechen und gleichzeitig soziale Aspekte berücksichtigen. Dies gelingt durch unterschiedliche Wohnformen und vielfältig nutzbare Grundrisse, aber auch durch Außenbereiche, wie Grünflächen oder Spielplätze. Fahrrad- und Kinderwagenabstellräume erleichtern den Alltag genauso wie eine mögliche Kombination von Arbeiten und Wohnen, beispielsweise durch wohnungsnah mietbare Arbeitsräume.

Um nachhaltige Projekte in der Baubranche voranzutreiben, hat die DELTA Gruppe 2012 eine sogenannte „DELTA green line“ innerhalb des Unternehmens geschaffen. Mit dieser wurde ein Gesamtkonzept zur lebenszyklusoptimierten Planung von Immobilien geschaffen. Es wurden bereits etliche Projekte, an denen auch die Delta Podsedensek Architekten ZT GmbH beteiligt ist, umgesetzt und sogar ausgezeichnet – so beispielsweise das IFA (Interuniversitäres Department für Agrarbiotechnologie) Tulln und das Bürogebäude Ekom in Piešťany (Slowakei). Erst kürzlich wurde ein aktuelles Projekt, das Buwog-Projekt „Kennedy Garden“ in Wien, etwa ein Monat nach Baubeginn mit dem „Greenpass“-Zertifikat prämiert. Greenpass zeichnet klimaresiliente Stadtplanung aus und analysiert dabei sechs Themenfelder (Klima, Wasser, Luft, Biodiversität, Energie, Kosten). „Damit zeigen wir, dass nachhaltiges Wohnen im urbanen Raum attraktiv umsetzbar ist und setzen ein starkes Zeichen für künftige Projekte“, ist Peter Podsedensek überzeugt.

Last modified onMittwoch, 25 November 2020 11:34
back to top