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»In England mit BIM zu arbeiten, ist keine große Kunst«

Foto: »Ich bin sehr stolz, Grundlagenforschung in einer Disziplin wie dem Bauwesen zu betreiben. Das ist in einer forschungsfernen Branche keine Selbstverständlichkeit«, sagt Iva Kovacic. Foto: »Ich bin sehr stolz, Grundlagenforschung in einer Disziplin wie dem Bauwesen zu betreiben. Das ist in einer forschungsfernen Branche keine Selbstverständlichkeit«, sagt Iva Kovacic.

Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report spricht Iva Kovacic, Leiterin des Forschungsbereichs für Integrale Bauplanung und Industriebau an der TU Wien, über ihre aktuellen Forschungsschwerpunkte, das Interesse der Unternehmen an Forschung und Innovation und Rückenwind durch die Coronakrise. Außerdem erklärt sie, warum sie stolz darauf ist, Grundlagenforschung zu betreiben und warum es viel schwieriger ist, in Österreich mit BIM zu arbeiten als im angloamerikanischen Raum.

Report: Sie leiten den Forschungsbereich für Integrale Bauplanung und Industriebau am Institut für Interdisziplinäres Bauprozessmanagement (IBPM). Wo liegen die aktuellen Schwerpunkte in Ihrem Forschungsbereich?

Iva Kovacic: Ich habe mich zwei großen Forschungsbereichen gewidmet. Das eine ist Digital Design. Hier ist das grundsätzliche Ziel, digitale Technologien und Werkzeuge vor allem in der Planung zum Einsatz zu bringen. Das passiert in enger Kooperation mit dem Center for Geometry and Computational Design GCD, beidem ich als Principal Investigator tätig bin.

Dort treffen Forschende der Informatik, Mathematik, Bauingenieurwesen und Architektur der TU Wien aufeinander, um sich der Erforschung von maßgeschneiderten digitalen Technologien für die Planung zu widmen. Building Information Modeling spielt dabei eine zentrale Rolle, ist aber bei weitem nicht das einzige Werkzeug, mit dem wir arbeiten. Und natürlich geht es auch darum, völlig neue Werkzeuge zu entwickeln, die unseren Bedürfnissen als Planer entgegenkommen.

Report: Was kann das sein?

Kovacic: Da geht es um die Beherrschung von Geometrie oder Folgesimulationen wie etwa Lichtsimulationen oder die Gestaltung von Fassaden. Zukünftig geht es da auch verstärkt um ökologische Fragen wie die Optimierung des ökologischen Fußabdrucks oder die thermische Gebäudesimulation. Der Fokus liegt aber ganz klar auf dem Design, auf der Unterstützung der Gestaltungsabsicht des Planers. Das ist mit den aktuellen digitalen Werkzeugen nicht immer einfach. Wir ermöglichen den Architekten, ihre Idee zum Ausdruck zu bringen und sie – das ist ganz wichtig – in Real Time zu optimieren. Diese Optimierungen dauern heute noch Wochen.

Report: Wo liegt der zweite Forschungsschwerpunkt?

Kovacic: Der zweite Forschungsschwerpunkt sind digitale Plattformen für die Kreislaufwirtschaft. Hier beschäftigen wir uns mit der materiellen Zusammensetzung sowohl von neuen als auch bestehenden Gebäuden. Dafür haben wir den digitalen Gebäudepass entwickelt.

Report: Handelt es sich bei Ihrer Forschungstätigkeit eher um Grundlagenforschung oder um angewandte Forschung? 

Kovacic: Ich bin sehr stolz, dass das Themenfeld Digital Design echte Grundlagenforschung ist. Das ist im Bauwesen nicht alltäglich. Das ist der große Erfolg des GCD. Da sind wir weltweit führend. Einen größeren Praxisbezug gibt es beim Einsatz von Building Information Modeling und dem Themenfeld der Kreislaufwirtschaft. Da arbeiten wir auch eng mit Unternehmen zusammen, weil wir deren Input brauchen. Hier entsteht ein gemeinsames neues Wissen.

Report: Der Wissenstransfer von der Wissenschaft in die Wirtschaft stellt immer eine große Herausforderung dar. Würden Sie also sagen, das funktioniert in Ihrem Bereich? Oder würden Sie sich noch mehr Offenheit und Engagement seitens der Unternehmen wünschen?

Kovacic: Die Offenheit ist sicher vorhanden. Die Kontakte sind da, die Zusammenarbeit funktioniert. Aber natürlich sind nicht alle Unternehmen an Forschung interessiert. Das ist ein bestimmter Kreis. Planung und Ausführung sind sehr kleinteilige Branchen. 90 Prozent sind Klein- oder Kleinstunternehmen. Da ist das Interesse an Forschung und Innovation überschaubar. Da fehlen einfach die Ressourcen. Aber generell ist es schon nötig, das Bewusstsein für Forschung und Innovation zu steigern. Dafür braucht es Anreize und Förderinstrumente, die es zum Teil aber ohnehin schon gibt.

Report: Ihre Hauptansprechpartner sind also in erster Linie die großen Player wie Strabag, Porr oder auf Planungsseite ATP?

Kovacic: Genau, mit diesen genannten Unternehmen arbeiten wir zum Teil auch schon viele Jahre zusammen. Es gibt aber zunehmend auch einige kleine und mittlere Unternehmen, mit denen wir zusammenarbeiten. Das ist auch für uns sehr wichtig, weil es neue Perspektiven eröffnet. Da ist der Wissenszuwachs für beide Seiten enorm.    

Report: Welche Auswirkungen hat die Coronakrise auf Ihre Arbeit, auf den Stellenwert von Digitalisierung allgemein und BIM im Speziellen?

Kovacic: Ich stehe für die durchgängige Digitalisierung des Planens und Bauens. Seit Jahren predige ich, dass wir eine digitalisierungsfremde Branche sind. Spätestens jetzt ist jedem Einzelnen bewusst geworden, dass wir hier einen großen Aufholbedarf haben. Ich bin überzeugt, dass die aktuelle Situation der Digitalisierung einen enormen Schub geben wird.

Die Unternehmen müssen umdenken, ob sie wollen oder nicht. Früher wurde BIM oft noch als große Gefahr wahrgenommen, es gab auch zahlreiche Versuche, BIM zu bremsen. Das ist jetzt Vergangenheit. Die Situation hat sich über Nacht geändert. Das ist für die Branche eine riesige Chance, in Sachen Digitalisierung einen großen Schritt nach vorne zu machen.

Report: Ist dieses Umdenken tatsächlich schon spürbar?

Kovacic: Wer jetzt nicht digital arbeitet, hat keine Chance. Da mussten viele Unternehmen in kürzester Zeit ihre Komfortzone verlassen. Da haben Unternehmen, die sich mit Digitalisierung schon auseinandergesetzt haben und auch bereits mit BIM arbeiten, natürlich enorme Vorteile. BIM alleine ist aber nicht genug, es müssen auch durchgängige Prozessketten definiert werden.

Report: BIM lässt sich nicht über Nacht implementieren. Welche ersten Schritte raten Sie Unternehmen in der jetzigen Situation, die auf den BIM-Zug aufspringen wollen?

Kovacic: Das hängt davon ab, was man unter BIM versteht und in welchem Netzwerk und Projektkonstellationen man sich bewegt. Aber wenn man in der Lage ist, einen gemeinsamen Server zu betreiben und die Daten erfolgreich austauschen kann, ist schon viel gewonnen. Das ist kein High-Level-BIM, wo alle Beteiligten in einem 3D-Modell arbeiten. Da geht es vor allem um einen reibungslosen Datenaustausch.

Aber ich befürchte, dass nur sehr wenige Unternehmen ihre Prozesse so strukturiert haben, dass überhaupt klar ist, welche Daten in welcher Genauigkeit und in welchem Format benötigt werden. Da geht es jetzt nicht um 3D-Modelle mit IFC-Schnittstellen, sondern es würde schon ausreichen, wenn sich das Planungsteam auf einer digitalen Plattform trifft und Austauschstandards definiert werden.

Report: Oft wird kritisiert, dass Österreich in Sachen BIM anderen Regionen wie Skandinavien oder Großbritannien deutlich hinterherhinkt. Wie sehen Sie Österreich positioniert?

Kovacic: Die Ingenieurs-Expertise und das technische Know-how sind in Österreich auf jeden Fall vorhanden und auf einem sehr hohen Niveau. Auf einem sehr niedrigen Niveau ist aber leider die  Bereitschaft für Veränderung. Man wartet lieber ab, was andere machen und springt dann auf, wenn etwas funktioniert.  Diese Mentalität steht uns leider im Weg.
Man muss aber schon auch festhalten, dass es deutlich aufwendiger ist, in Österreich mit BIM zu arbeiten als in England. Bei uns wird schon ab den frühesten Planungsphasen mehrschichtig modelliert, im angloamerikanischen Raum ist das kein Thema. Dafür braucht es viel Know-how und Genauigkeit. Es ist kein großes Kunststück, auf diesem Niveau mit BIM zu arbeiten.

Report: Wer steht aus Ihrer Sicht in der Pflicht, um BIM zum Durchbruch zu verhelfen: Auftraggeber, Auftragnehmer oder die Politik?

Kovacic: Ich bin kein Freund von politischen Vorgaben. Dadurch wird sich kaum etwas ändern. Aber wenn Investoren und Auftraggeber BIM verlangen, kann das schon etwas bewirken. Das wird aber bei großen öffentlichen Projekten nur bedingt funktionieren, weil es da auch entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen gibt.

Es wird eine Mischung verschiedener Maßnahmen brauchen. Ich denke auch, dass sich der Markt da ganz stark selbst regulieren wird. Je mehr der Nutzen gesehen wird, desto schneller wird sich BIM durchsetzen. Bei Auftraggebern aus der Automobil- oder Luftfahrtindustrie gibt es jetzt schon kein Vorbeikommen an BIM. Die fordern BIM für ihr Facility Management ein.

Auch die digitale Baueinreichung wird ein wichtiger Schritt sein. Da sind die Benefits sofort sichtbar. Es geht schneller und ist genauer. 

Last modified onDonnerstag, 09 Juli 2020 13:04
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