Stillstände sinnvoll nutzen
- Written by Redaktion
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Baustellen, die komplett oder teilweise eingestellt sind, stellen viele Unternehmen vor große Probleme. Daraus ergibt sich aber die Chance, die erzwungenen Ruhephasen sinnvoll zu nutzen. Einzelne Projekte und ganze Organisationen können analysiert und für »den Tag danach« optimiert werden. Bestehendes kann verbessert und wenn nötig Neues geschaffen werden. Welche Maßnahmen Wissenschafter, Unternehmens- und Strategieberater empfehlen und was führende Branchenvertreter bereits umgesetzt haben.
Die durch die Coronakrise verursachten kurz- und langfristigen Stillstände der Baustellen haben der österreichischen Bauwirtschaft einen harten Schlag versetzt. Auch wenn ein kompletter Baustopp verhindert werden konnte, sind die meisten Baustellen von einem Normalbetrieb ein Stück weit entfernt (siehe auch Seite 14). Jetzt geht es darum, den Schaden so gering wie möglich zu halten. Es gilt, diese erzwungenen Phasen, in denen Baustellen gar nicht oder nur auf Sparflamme laufen, sinnvoll zu nutzen.
»Baustellenschließungen bieten Raum und Zeit zur Optimierung und Neuaufstellung für die Zeit danach«, erklärt Franz Biehal, Unternehmensberater und Mitbegründer der Trigon Entwicklungsberatung. Das gilt sowohl für die einzeln Baustelle als auch die Organisation als Ganzes. »Aufgrund der hohen Auslastung in den letzten Jahren waren sowohl Ausführende als auch Planende immer am Anschlag und am Rande des Machbaren«, sagt auch Marc Höhne, Geschäftsführer von Drees & Sommer Österreich. Gerade große Projekten hinken mit der Planung oft hinterher. »Das kann man jetzt aufholen«, ist Höhne überzeugt.
Dafür muss man das Projekt aber noch einmal anschauen, gegebenenfalls neu aufsetzen sowie neue Methoden und Tools implementieren. »Jetzt ist die Zeit, Abweichungen auf Baustellen gezielt zu analysieren und gegenzusteuern«, sagt Höhne. Das beginnt bei vertraglichen Regelungen und geht über Projektorganisation bis zum Termin- und Ressourcenmanagement. Auf fast allen Baustellen fehlen Teile des Personals, ausländische Mitarbeiter kommen nicht ins Land. Damit wird die ohnehin schon knappe Ressource Arbeitskraft noch knapper. »Die vorhandenen Ressourcen müssen viel effektiver eingesetzt werden. Darüber muss man sich jetzt Gedanken machen, nicht erst dann, wenn die Baustellen wieder voll am Laufen sind«, so Höhne. Man muss priorisieren, wo auf der Baustelle der Druck am größten ist.
Wettbewerbsfähigkeit steigern
Unternehmen, die jetzt Maßnahmen zu wirtschaftlichen Optimierung setzen, die ihre Organisation aufräumen oder in verabsäumte Anpassungen und Nachrüstungen investieren, verbessern langfristig ihre Wettbewerbsfähigkeit. »Trotz allen Versuchen der Regierung, die Wirtschaft zu stützen, wird diese Krise wesentliche und einschneidende Auswirkungen auf die österreichischen Unternehmen haben und es wird zu einer Marktkonsolidierung und einem Überleben der Fittesten kommen«, ist Martin Lamprecht, Unternehmenssanierer und geschäftsführender Gesellschafter der Avatar Management und Beteiligungs GmbH, überzeugt.
Allerdings erfordert diese Neuorganisation Investitionen zu einem Zeitpunkt, wo die Ergebnisse einbrechen und man lieber sparen will. »Um nicht im eigenen Saft zu kochen, ist es vermutlich auch sinnvoll, sich bei der Neuorganisation von erfahrenen Prozess- und Organisationsberatern begleiten zu lassen«, sagt Lamprecht.
Für jene, die Rücklagen gebildet haben, ist jetzt aber eine gute Zeit, in die Zukunft zu investieren. »Das Mindeste, was man tun kann, ist, organisatorische Optimierungen ohne große Investitionsanforderungen sofort umzusetzen und sich einen Investitions- und Maßnahmenplan zu erstellen, den man nach Bewältigung der Krise konsequent angeht«, erklärt Lamprecht. Die Neuordnung des Unternehmens kann dann beginnen, wenn das Überleben gesichert ist.
Optimieren vs. Neues schaffen
Bei der Neuordnung von Unternehmen wird entweder versucht, Bestehendes zu optimieren oder völlig Neues zu schaffen. »Die erste Neigung vieler Menschen in Veränderungssituationen ist die Suche nach Verbesserung im Rahmen des bestehenden Systems, ohne grundsätzliche Veränderung des dahinterliegenden Denk-, Werte- und Handlungsmodells«, sagt Lamprecht. Es wird dann oft nach jenen Best Practices gesucht, die auch in der Krise äußerst belastbar erscheinen.
In der Regel sind das Unternehmen, die ausreichend Rücklagen und Liquidität aufgebaut haben, möglichst geringe Fixkosten aufweisen, breit gestreute Kundenstrukturen in Märkten mit unterschiedlichen Konjunkturzyklen und geringe Abhängigkeiten von einzelnen Zulieferern oder Mitarbeiter haben. An diesen Unternehmen versucht man sich im Veränderungsprozess zu orientieren.
Die zweite Variante ist mutiger und riskanter. »Hier wird das bestehende Denkmodell hinterfragt und gegebenenfalls grundsätzlich verändert«, erklärt Biehal. Dafür ist es nötig, den Pfad des Bekannten zu verlassen und sich auf das unangenehme Gefühl einzulassen, im Trüben zu fischen.
»Intuition spielt gemeinsam mit Erfahrungswissen eine wesentliche Rolle beim Herantasten an neue Wege«, so Biehal. Dafür muss das aktuelle Geschäftsmodell und dessen Wertschöpfung ohne Tabus hinterfragt werden. Dasselbe gilt für das Selbst- und Beziehungs-Verständnis im Umgang mit Kunden und Lieferanten und für das Verständnis für das im Unternehmen geschaffene Arbeitsumfeld. »Wer sich darauf einlässt, geht Risiken ein, wird aber vielleicht mit einer phönixhaften Neuerschaffung des Unternehmens belohnt«, so Biehal.
Integrales und digitales Arbeiten
Die Krise hat gezeigt, dass viele Unternehmen deutlich flexibler und leistungsfähiger sind als sie vielleicht selbst dachten. Homeoffice, Videokonferenzen oder flexible Arbeitszeiten funktionieren in vielen Fällen einwandfrei. »Leistungsfähigkeit lässt sich als ein Spektrum zwischen Effizienz und Veränderungsvielfalt beschreiben«, erklärt Jan Mendling, Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien. Viele Unternehmen sind deshalb besonders leistungsfähig, weil sie ihre Abläufe effizient organisiert haben. Die Krise hat viele nun dazu gezwungen, sich kurzfristig auf Veränderungsvielfalt zu konzentrieren.
»Die Chance der Krise besteht nun darin, viele dieser Adhoc-Änderungen nicht gleich wieder abzudrehen. Vielmehr ist es sinnvoll, nützliche Änderungen beizubehalten und weiterzuentwickeln«, so Mendling. In der Phase der erzwungen Stillstände kann das nicht zur Gänze ausgelastete Personal auf mehr Veränderungsvielfalt vorbereitet werden. »Im eng getakteten Tagesgeschäft bleibt oft wenig Zeit für Weiterbildung. Insbesondere jetzt empfehlen sich Maßnahmen, um neue Formen der digitalen Arbeit bzw. der Anreicherung von klassischen Bauarbeiten mit neuen Technologien zu trainieren«, so Mendling.
Christoph M. Achammer, Ehrenvorstand der IG Lebenszyklus Bau, sieht durch die staatlich verordneten Maßnahmen die »einmalige Chance, das digitale, integrale und partnerschaftliche Arbeiten in der Bauwirtschaft zum Wohle aller Beteiligten und der gebauten Umwelt nachhaltig zu implementieren«. Achammer ist überzeugt, dass die bei der IG Lebenszyklus Bau seit Jahren entwickelten digitalen und integralen Projektarbeitsmodelle- und Methoden wie das K.O.P.T.-Modell (Kultur, Organisation, Prozess, Technologie) und die vernetzte und digitale Bauplanung, Ausführung und Baubewirtschaftung mit BIM massiv an Bedeutung gewinnen.
»Das vom Verband entwickelte ›hybride Projektmanagement‹ als Mixform zwischen agilen und klassischen Methoden, Interdisziplinarität als gelebtes und aktives ›daily business‹, der zeitgleiche digitale Austausch und Abgleich von Baudaten und die maximale digitale Vernetzung der Bauakteure ermöglichen ein erfolgreiches, nachhaltiges und in jeder Hinsicht weitreichendes Bauprojektergebnis«, so Achammer. Diese positiven Effekte würden gerade in der jetzigen Situation auf den Baustellen durch die Abwicklung im Partnerschaftsmodell, wie etwa beim Allianzvertrag mit risk sharing, verstärkt (siehe auch Seite 40).
Heute für morgen
Viele Unternehmen haben die Zeit des erzwungenen Stillstands auch genutzt, um sich für die Zeit nach Corona zu wappnen. Die Strabag hat sich in der Phase der geringeren Geschäftstätigkeit um Themen gekümmert, die sonst zu kurz kommen. »Wir konnten die Zeit nutzen, um einige Projekte, denen in Zeiten der Vollauslastung weniger Ressourcen zur Verfügung stehen, weiter voranzutreiben, vor allem in der Bereichen Digitalisierung, Personalentwicklung und -marketing«, erklärt Manfred Rosenauer, Unternehmensbereichsleiter Österreich. Um nach der Krise über ausreichend qualifiziertes und engagiertes Personal zu verfügen, werden jetzt auch Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung und -gewinnung gesetzt.
Porr-CEO Karl Heinz Strauss sieht in der Krise einen »Beschleuniger vieler Themen«. Die digitale Welt mit Online-Handel, Cloud-Diensten oder virtuellen Meetingräumen wird auch die Zusammenarbeit in der Bauwirtschaft nachhaltig verändern. »Das Fundament für die Digitalisierung haben wir schon vor Jahren gelegt. Heute erschaffen wir Projekte ganzheitlich. Mit den Themen BIM und Lean Construction haben wir uns schon längst in vielen Projekten bewiesen«, so Strauss.
Auch Peter Giffinger, CEO von Saint-Gobain Österreich geht davon aus, dass die Coronakrise die digitale Transformation stark beschleunigen wird. »Die Digitalisierung wurde vom Trendthema zur Notwendigkeit, um Geschäftsprozesse weiter am Laufen zu halten.« Durch die digitalen Möglichkeiten konnten die Prozesse von Saint-Gobain und seinen Kunden aufrecht erhalten werden. »Nicht nur bei der Planung mit dem digitalen Bau-Management und systemübergreifenden BIM-Plugin, sondern auch beim täglichen Business – vom Dokumentenlauf über unsere Homeoffice-Plattform bis hin zu digitalen Meetings«, so Giffinger.