Der andere Blick auf BIM
- Written by Karin Legat
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Mit großen Schritten kommt die vollständige Digitalisierung der Wertschöpfungskette von Bauprojekten auf die Bauwirtschaft zu. BIM ist ein wesentliches Element, birgt aber auch Gefahren.
Ganzheitliche Betrachtung, in einer frühen Projektphase konsulentenübergreifend, vollständige und interdisziplinäre Planung – Baumeister bewerten das als positive Effekte von BIM. Die erforderliche Beiziehung von Experten und den Mehraufwand im Planungsprozess sehen sie als negative Faktoren. Die Einführung von BIM wird inflationär als neuer Weg beim Bauablauf gepriesen. Dem widerspricht Bernhard Sommer, Leiter von Exikon Architektur&Entwicklung und Vizepräsident der Kammer der ZiviltechnikerInnen für Wien, Niederösterreich und Burgenland: »BIM wird derzeit als die Lösung für alle bauspezifischen Probleme kolportiert.« Darin liegt aber das Missverständnis: Architekten planten Jahrhunderte lang auch ohne BIM termin- und kostentreu – die qualitative Planung bleibt auch mit neuen Technologien die Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Projekt. »Der interdisziplinäre Workflow in den Büros wird derzeit von BIM-Lösungen weniger gut unterstützt als angepriesen. Dadurch entstehen Kosten und Reibungsverluste bei der Einführung.« Bernhard Sommer gehörte Anfang der 90er-Jahre zu den ersten Anwendern von ArchiCAD, er arbeitete mit Generative Components und Digital Project. Der Bau & Immobilien Report hat ihn zum Interview gebeten.
Report: Wie erklären Sie sich den Hype um BIM? Ist es das Allheilmittel, für das es vielerorts gehalten wird?
Sommer: Ich denke, BIM wird zum Mythos, weil es keine Definition dafür gibt bzw. vielen nicht klar ist, was es leistet und leisten kann. Klar ist, dass es im Unterschied zu CAD, dem computerunterstützten Zeichnen und Entwerfen, kein Werkzeug ist, sondern eine Methode. 90 Prozent der Planungsbüros entwerfen bereits dreidimensional. Das ist also kein Thema.
Report: Warum aber dann diese Eile mit der Einführung von BIM?
Sommer: Die EU forciert die Digitalisierung, der Druck auf die öffentliche Hand wächst. Für die EntscheidungsträgerInnen geht es nicht mehr »nur« darum, ein gutes Projekt fertigzustellen, das den Lebensraum der BürgerInnen und das Ortsbild auf Jahrzehnte prägt und im Ergebnis gut ist. Auch die rechtlichen Anforderungen und jene an Transparenz, Bürgerbeteiligung, Nachhaltigkeit, Kosteneinhaltung und demokratische Legitimation steigen. Hier verspricht die Digitalisierung Lösungen. Besonders werden Einsparungen durch BIM erhofft. Es gibt aber bislang europaweit keinen Nachweis, dass die Einsparungspotenziale, die BIM zugeschrieben werden, auch tatsächlich möglich sind.
Report: Die Digitalisierung des Ablaufs schafft aber Transparenz.
Sommer: Zweifelsohne. Ich will BIM auch keinesfalls verteufeln. Ganz im Gegenteil: Die BIM-Methode ist die Zukunft und das ist gut so. Aber die Rahmenbedingungen rund um die Entwicklung müssen passen. Grundvoraussetzung ist ein offenes BIM mit funktionierender Schnittstelle, Basis für die rechtlich verpflichtende Nutzung bei öffentlichen Ausschreibungen. Diese Schnittstelle ist allerdings nicht gewährleistet, genausowenig sind Urheberrechtsfragen geklärt. Daher warnt die Kammer schon seit langem davor, BIM als Verpflichtung aufzuerlegen, ohne sichere Rahmenbedingungen geschaffen zu haben.
Report: Was wäre die Lösung?
Sommer: Eine funktionierende und vor allem nichtdiskriminierende offene Schnittstelle und eine Mehrzahl von Anbietern kompatibler Software sind meines Erachtens eine Grundvoraussetzung für den rechtlich bindenden Einsatz von BIM in öffentlichen Ausschreibungen. Die derzeit am Markt erhältliche BIM-Software ist zu wenig mit modernen Herstellungsmethoden verknüpft, baut auf traditionellen Planungsmethoden auf und forciert architektonisch triviale Lösungen. Die gängigen Pakete sind geeignet, um einfach gestrickte Gebäude effizient abzuwickeln, aber sie fördern keine innovativen Lösungen. Eigene Entwicklungen einzupflegen, gestaltet sich schwierig, hier braucht es eigene Programmierer oder man muss die Softwarehersteller so lange bearbeiten, bis das klappt. Das ist sehr schade, denn das Potenzial, Innovationen zu fördern, bleibt dabei völlig auf der Strecke.
Report: Welche Maßnahmen braucht es dafür?
Sommer: Die Kammer ist hier schon seit Jahren aktiv, vor allem auch auf internationaler Ebene. Wir haben beispielsweise mit den Berufsvertretungen der Deutschen ArchitektInnen und ZivilingenieurInnen im März eine Erklärung mit Forderungen an die Politik verabschiedet. Mit solchen staatenübergreifenden Allianzen bin ich zuversichtlich, dass wir innerhalb der EU ein Bewusstsein für die Probleme, die mit BIM einhergehen, schaffen können.
Reaktion
Die durchaus kontroversen Thesen von Bernhard Sommer stoßen naturgemäß nicht nur auf Zustimmung. Alfred Waschl, Geschäftsführer buildingSMART, wehrt sich gegen den Vorwurf, dass BIM auf traditionellen Planungsmethoden aufbaut und architektonisch triviale Lösungen forciert: »Die BIM-Bibliotheken befinden sich erst in Entwicklung. In Ländern, wo BIM schon Selbstverständlichkeit ist, wie Holland, Norwegen oder auch zunehmend in der Schweiz, wird fehlende Vielfalt hinsichtlich Materialien und Design in zwei oder drei Jahren kein Thema mehr sein. In Österreich werden wir eine gewisse Verzögerung haben.« Bereits heute seien die Mehrheit der aktuell in Europa als besonders kreativ bekannten und realisierten Projekte BIM-Projekte, z.B. das Loi Voitton Center.
Die Bauwirtschaft über BIM
Leyrer+Graf: »In weiten Bereichen ist eine andere Herangehensweise an den Bauprozess erforderlich, aber wenn man mit einer entsprechend strukturierten Arbeitsweise vorgeht, kommt man aus unserer Sicht mit BIM sehr gut zurecht«, betont CEO Stefan Graf.
Strabag: Für die Strabag reicht es langfristig nicht, alte Konventionen digital abzubilden. »Ein optimaler BIM-Prozess startet damit, dass Architekten, Planer, Bauunternehmen und weitere Gewerke gemeinsam mit dem Auftraggeber am Tisch sitzen, um die projektspezifischen BIM-Anwendungsfälle zu definieren«, beschreibt Theodor Strohal, BIM.5D-Abteilungsleiter. »In der Realität werden die Gewerke aber nacheinander und hier eher der Billigstbieter als der Bestbieter ausgewählt.«
Baukultur: Nicht alle Büros können dem aktuellen BIM-Trend folgen. »Einige große Unternehmen eher von ausführender Seite übernehmen hier eine Vorreiterrolle, auch aufgrund ihrer finanziellen Möglichkeiten«, ist Baumeisterin Renate Scheidenberger überzeugt.