Wieviel BIM in BIM-Projekten steckt
- Written by Andre Exner
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Building Information Modeling ist in der Planung schon durchaus weit verbreitet, an der Baustelle ist aber selbst bei BIM-Paradeprojekten Schluss mit der digitalen Herrlichkeit. Der Bau & Immobilien Report erklärt, wie es zu diesem Medienbruch kommt und warum zwischen Theorie und Praxis eine große Lücke klafft.
Der neue Flughafen von Mexico City, ein Stadion in Aserbaidschan, die neue Zentrale eines Autofahrerklubs in Wien: Nur drei von vielen aktuellen Leuchtturmprojekten, an denen bei Konferenzen und in Prospekten gerne der aktuelle Stand der Baubranche präsentiert wird. Denn alle drei sind BIM-Projekte – und hinter diesen drei Buchstaben verbirgt sich die Zukunft am Bau, wenn man Experten glauben darf. Building Information Modeling, die integrierte dreidimensionale Planung, bei der als vierte und fünfte Dimension auch die Faktoren Zeit und Kosten hinzukommen, ermöglicht es erstmals in der Geschichte des Baus, ein Projekt komplett digital zu planen und umzusetzen.
PDF-Grundrisse statt Tablets
So weit die Theorie – doch in der Praxis sieht es anders aus, wie es in der Branche auf Anfrage heißt. »Auch bei den Leuchtturmprojekten endet BIM in der Praxis meistens bei der Planung«, sagt Domagoj Dolinsek, Geschäftsführer des Planungsunternehmens Planradar. »Ein Projekt wo durchgängiges Arbeiten von der Planung über die Errichtung bis hin zum Betrieb realisiert wurde, ist mir nicht bekannt. Wir erleben täglich, dass großartige BIM-Modelle erstellt werden, und am Ende des Tages verwendet man doch gewöhnliche PDF-Grundrisse, um die Dokumentation der Baustelle durchzuführen. Die ausführenden Firmen nutzen das Potenzial nicht, weil sie nicht mit entsprechender Technologie oder Software ausgestattet sind. Auch muss man einsehen, dass leider sehr viele Mitarbeiter mit derartigen Technologien noch nicht vertraut sind.«
Auch Christoph Achammer CEO von ATP architekten ingenieure, sagt, dass zwischen Theorie und Praxis in Sachen BIM eine tiefe Lücke klafft. »Technisch wären 100 Prozent BIM möglich«, sagt der Architekt, der zugleich Professor an der TU Wien ist. In der Realität bleibt es aber bei 20 bis 25 Prozent BIM – und dass die Baubranche die Digitalisierung genauso begrüßt wie beispielsweise die Pkw-Hersteller, bleibt vorerst ein frommer Wunsch. Das hat vor allem zwei Gründe, wie die Experten sagen – Kosten und Wissen. Einerseits kostet BIM zunächst einmal Geld, andererseits braucht es nicht nur in den Planungsbüros, sondern an der Baustelle Menschen, die mit der Technik auch umgehen können. Denn Vorlesungen an der Universität zum Thema BIM sind schön – aber an der Baustelle haben nicht alle einen Universitätsabschluss. »In einem ersten Schritt müssen die Lehrkräfte das Wissen haben, um es weitergeben zu können«, sagt Baumeister Anton Gasteiger, Geschäftsführer b.i.m.m. GmbH. »Die Umsetzung eines Faches BIM z.B. an der HTL bedarf der Änderung des Lehrplanes – das dauert. Auch das WIFI und die Bauakademien starten erst jetzt mit der BIM-Koordinatorenausbildung nach der Ö-Norm für BIM.«
Bessere Schnittstellen nötig
Dazu kommt, dass es unterschiedliche Softwarelösungen für die digitale Baustelle gibt. Sogar wenn alle an einem Projekt Beteiligten bis hin zum Maurer, Polier und Baggerfahrer tatsächlich BIM-fit wären – was heute nicht der Fall ist –, würden sie daher an unterschiedlichen Systemen arbeiten. »Ein Standard-BIM-Programm, wie z.B. in der Flugzeugbranche hat sich im Bauwesen noch nicht etabliert«, sagt Oliver Sterl von Rüdiger Lainer & Partner Architekten. Zwar wäre die Übermacht einer Software schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht wünschenswert – aber zumindest der Informationsaustausch der Systeme untereinander müsste reibungslos möglich sein. Und das ist nicht der Fall, so Sterl: »Diese Informations-Austausch-Schnittstellen sind verbesserungsfähig.« Das findet auch Franz Gruber von BEHF Architects, der wie die meisten Architekten mit ARCHICAD arbeitet, wie eine Umfrage des Bau & Immobilien Report im September letzten Jahres ergab (siehe Ausgabe 9/17; S. 28ff): »Die Softwareindustrie liefert laufende Weiterentwicklungen. Generell ist jedoch in der Verbesserung der Kompatibilität der verwendeten Software noch viel Luft nach oben.«
Auch dass die Digitalisierung enorme Kosteneinsparungen bringt, hält Sterl für ein Gerücht: »Zurzeit ergibt sich kein Kostenvorteil. Es überwiegen die Investitionen in Hardware, Software, Ausbildung und in die Lösung von Koordinations- und Kommunikationsproblemen.« Gasteiger, der seit mehr als 15 Jahren ausschließlich mit digitalen Modellen arbeitet, sieht den Vorteil weniger bei den Kosten als bei der Zeitersparnis und beim »digitalen Zwilling« des Gebäudes, der bei der Senkung der Betriebskosten langfristig hilfreich ist – selbst wenn an der Baustelle keine Tablets im Einsatz waren und das Gebäude mit PDF-Plänen errichtet wurde.
»Aktuell betreuen wir einen Krankenhausbau in der Schweiz.Da können dank BIM Wünsche erfüllt werden, wie die virtuelle Prüfung des OP-Raums in Echtzeit mit dem Chefchirurgen, ob die Funktionalität passt, ob die Einrichtung funktioniert, ob die Beleuchtung ausreichend ist und ob so der Betrieb gewährleistet werden kann.« Andere Einsatzmöglichkeiten von BIM sind allerdings weitaus »bodenständiger« – so gibt es den Bauherren eines Mehrparteienhauses in Wien, der das digitale Modell dazu genutzt hat, um seine Haustechnik zu personalisieren und den Aufzug für andere Hausbewohner zu sperren, wenn er mit seinem Auto in die Garage fährt.
Umdenken gefordert
»Ich vergleiche unsere Baubranche gerne mit dem Schiffsbau«, so Gasteiger: »Ein Kreuzfahrtschiff ist eine schwimmende Stadt für 5.000 Menschen. Schiffsbauer können ihre Projekte auf den Tag und auf den Euro genau berechnen und liefern. Wir wissen heute nicht, ob in Zukunft zuerst ein riesiges Zelt über die Baustelle errichtet wird, dann Portalkrane gesteuert nach den vorgefertigten Bauteilen suchen und diese nach Taktplan dann an den Einbauort bringen und ein Schweißroboter die Verbindungen verschweißt. Ich weiß aber, dass vor 15 Jahren noch niemand an ein Smartphone gedacht hat, und unsere Kinder den Bezug zwischen einer Musikkassette und einem Bleistift nicht mehr kennen.«
»Das in den derzeitigen Prozessen liegende Verschwendungspotenzial am Bau von 30 bis 50 Prozent muss und wird gehoben werden«, fordert auch Achammer ein Umdenken in der Branche. Denn mit BIM nur 3D-Abbildungen und schöne Visualisierungen zu produzieren, ist zu wenig: »Wenn heute jemand BIM einsetzt, ohne die internen Prozesse im Unternehmen zu verändern, wird er damit nicht Geld sparen, sondern Geld verschwenden.« Auch Gasteiger ist überzeugt, dass es einen Wandel in den Köpfen braucht, damit BIM vom Etikett zur gelebten Realität wird und Industrie 4.0 in der Baubranche Einzug hält: »Wenn wir heute Methoden für morgen mit dem Wissen von gestern entwickeln, wird das nicht funktionieren. Einen schlechten analogen Prozess zu digitalisieren, kann nur einen schlechten digitalen Prozess ergeben. Disruptive Methoden brauchen Visionäre. Dann wird diese Übung gelingen und ich gehe davon aus, dass in ein paar Jahren alles anders ist und wir mit einem lachenden Auge auf die heutige Diskussion zurückblicken – selbst wenn dann immer noch Menschen mit Draht und Zange zwei Stahlstäbe miteinander verbinden wie vor 100 Jahren.«
BIM-Glossar
Diese Begriffserläuterungen können in ihrer Kürze natürlich nicht die gesamte, vernetzte Bedeutung der Begriffe klären, jedoch ist es besser eine vage Ahnung zu haben, als gar keine…
von Klaus Lengauer
1. BIM-Software (= BIM Authoring Software/Tool): Programm zur Erstellung und Bearbeitung von Hochbau (Gebäude)- und Tiefbau (Straßen, Tunnel, Brücken, Staumauern...) -Modellen und Projekten. Damit wird die BIM-Projekt-Geometrie in 3D modelliert und alle benötigten Eigenschaften (Meta-Informationen) direkt in die virtuellen Bauteile eingearbeitet. z.B. Allplan, ARCHICAD, DDS-CAD, PlanCal, Revit, Scia, Tekla
2. (BIM-)Schnittstelle: Meint den Austausch (Im-/Export) von BIM-Daten (sowohl geometrisch als auch alphanumerisch) zwischen (an sich nicht kompatiblen) Strukturen, Programmen oder Plattformen. Wesentlicher Faktor für einen reibungslosen Datentausch. Muss sich durch Weiterentwicklung noch von einer Schnittstelle zu einer Nahtstelle entwickeln.
3. BIM-Modell: Summe der aktuellen Teilmodelle der unterschiedlichen Planungspartner. Diese stehen durch ihre Position (Verortung, Koordinaten) und/oder durch ihre Identifikationsnummer (GUID – Global Unique Identifier) eindeutig zueinander in Relation. Mit »Modell« sind nicht nur Geometrie-Daten gemeint, sondern auch »Datenmodelle« in Form von Datenbanken, Tabellen und anderen Metadatenformaten. Nicht als »ein großes 3D-Modell mit allen Informationen integriert« zu verstehen, sondern als Vielzahl von Einzelmodellen, die miteinander in eindeutigem Bezug stehen.
4. Open BIM: Das BIM-Modell, also die Summe der aktuellen Teilmodelle, steht in Form von offenen, standardisierten und dokumentierten Datei-Formaten (z.B. IFC, DXF, XML, SQL, TXT, …) den Projektbeteiligten zur Verfügung. Open BIM ermöglicht die Zusammenarbeit aller Software-Tools, welche diese Formate ex- bzw. importieren können.
5. BIM-Norm: Am 1.7.2015 hat das Austrian Standards Institute (ASI) die beiden Normen A-6241-1 und A-6241-2 veröffentlicht. Teil 1 regelt und definiert die Struktur der (2D) Dokumente mit ihren objektorientierten Metadaten (BIM-Level2), Austauschformat ist DXF.
Teil 2 definiert einen Projektablauf – vor allem dessen Struktur, Nomenklatur und Verantwortlichkeiten – und den geometrischen sowie Metadaten beinhaltenden Detailierungsgrad entsprechend der jeweiligen Projektphase.
Auftraggeber Informationsanforderung (AIA): In den AIA legt der Auftraggeber (Bauherr) detailliert fest, welche Daten und Modelle er in welcher Detaillierung zu welchem Projektzeitpunkt als Teilergebnis erwartet. Es werden Prozesse und Verantwortliche seitens des AG definiert und beschrieben, welche zur Erreichung der gewünschten Ziele des Auftraggebers erforderlich sind. Die AIA ist die Grundlage des wesentlich detaillierteren BIM-Projektabwicklungsplans und maßgeblich für die Qualität des gesamten BIM-Planungs- und Projektablaufs.
BIM-Projektabwicklungsplans (BAP): Im BAP (nicht verwechseln mit der BAB, der Bau- und Ausstattungsbeschreibung) werden vom projektverantwortlichen BIM-Manager auf Basis der AIA und in Zusammenarbeit mit den Vertretern und Verantwortlichen des Auftraggebers ein detaillierter Prozessablauf sowie die maßgeblich verantwortlichen Stellen und Funktionen festgelegt.
Hier werden die Strukturen, Elemente und Informationen und deren Nomenklatur definiert sowie der zeitliche und inhaltliche Planungs- und Projektablauf. Spezielle, projektspezifische Anforderungen werden hier ebenso vereinbart wie die zu liefernde Informations- und Detailtiefe und deren Qualitäten. Der BIM-Projektabwicklungsplan ist wesentliche Grundlage für Vergabe und Angebot, da in ihm grundsätzlich die geforderten Leistungen aller Projektbeteiligten und deren Zusammenwirken festgelegt wird. Der BAP gehört jedenfalls als Vertragsbestandteil in alle Projektverträge zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer des BIM-Projekts aufgenommen.
BIM-Modellierleitfaden: definiert in Form von Leitsätzen und Leitdetails, wie die Geometriemodelle strukturiert und aufgebaut sein sollen, um eine optimale Integration der Teilmodelle in das Gesamtmodell zu ermöglichen. Aufgrund der unterschiedlichsten Planungssituationen und Details in der Praxis hat der Modellierleitfaden Richtliniencharakter, im begründeten Fall kann von ihm abgewichen werden. Dies ist jedenfalls mit dem BIM-Verantwortlichen zu klären und mit den betroffenen Planern abzustimmen. Der Modellierleitfaden ist Teil des BIM-Projektabwicklungsplans.