Potenzial-Analyse
- Written by Karin Legat
- font size decrease font size increase font size
Der Bau & Immobilien Report hat nach dem jährlichen Stahlbautag in Graz mit Experten über die umstrittene EN 1090, Stahl-Innovationen und die österreichische Stahlbau-Forschung gesprochen.
In besonders gefährdeten Regionen der Welt werden Bauwerke bevorzugt aus Stahl errichtet, so z.B. die 260 Meter hohe Transamerica Pyramid in San Francisco, eine Konstruktion aus Stahlseilen, Tragstrukturen aus Stahlbeton und mitschwingenden Fundamenten. Der österreichische Stahlbau ist sehr exportorientiert. Daher sind Erdbeben- und Feuersicherheit sowie Nachhaltigkeit die Themen aktueller Informationspapiere des ÖSTV – abrufbar auf stahlbauverband.at. »Derzeit arbeiten wir außerdem an der Überarbeitung der Brandschutz-Richtlinie«, kündigt Geschäftsführer Georg Matzner an. Diese soll bis Ende 2017 fertig sein, ebenso wie eine Diplomarbeit zur Simplifizierung des Eurocodes. Dabei werden Statik-Muster für den Level 0 für Hallen und Carports erstellt. Bis Mitte 2018 wird eine Neuauflage der Verzinkungs-Richtlinie geschrieben, sie wird die zehn Jahre alte ersetzen.
Wetterfest + Hochfest
Bei der Verwendung höher- und wetterfester Stahlsorten gibt es in Österreich wenig Bewegung. Laut Matzner wird in den nächsten Monaten für höherfesten Stahl über die gesamte Wertschöpfungskette, von der Planung über die Fertigung bis zur Montage, ein Übersichtsdokument erstellt. Neben der Vorlaufzeit beim Einkauf wird besonders auf Statik und Schweißnähte geachtet. Nutznießer ist v.a. der Brückenbau. Wirtschaftlichkeit war bereits Thema beim Österreichischen Stahlbautag. »In der Baupraxis gibt es bei Bemessung und Ausführung meist wenig Kreativität«, berichtete Marc May von ArcelorMittal Europe aus seinem Alltag. Eingesetzt werden fast nur geringfeste Stähle wie S235 oder S275.
Foto: Wetterfester Stahl im Einsatz bei der Überführung Schörfling in Oberösterreich.
»Produktentwicklungen wie hochfester Stahl S460 oder selbst S355 sind häufig unbekannt«, bedauerte er. Übersehen wird, dass durch den Einsatz hoch- und höherfester Stahlgüten kosteneffizient gebaut und nachhaltig gewirtschaftet werden kann. Hochfeste Stähle erreichen Festigkeiten über 1000 N/mm², besondere Sorten sogar über 1800 N/mm². »Unser Forschungs- und Entwicklungsteam entwickelt derzeit einen noch stärkeren Stahl«, informierte May. Histar Grade 70 soll die bestehende Sorte 460 übertreffen, was noch weniger Gewicht und noch weniger CO2-Ausstoß bedeutet.
Wetterfester Stahl ohne Verzinken und Korrosionsschutz erlaubt das Bauen langlebiger Konstruktionen ohne große Sanierungsinvestitionen, was speziell beim Brückenbau punktet. Unter Mitwirkung von Schwefeloxiden bildet sich bei Bewitterung eine Sperrschicht aus festhaftenden Sulfaten oder Phosphaten. Die rostbraune Patina wird von vielen Architekten als ästhetisch empfunden. Infolge der fehlenden Neubeschichtungen und Sanierungen sinken die Lebenszykluskosten erheblich. In Österreich wird wetterfester Stahl im Gegensatz etwa zur Schweiz und zu Italien noch kaum eingesetzt.
Reife EN 1090?
Massive Kritik aus der Branche und der Ruf nach Reform betrifft die geltende EN 1090. Matzner: »Von einer Konformitätserklärung hat man umgestellt auf ein Verfahren zur Leistungsdeklaration, die Leistung interessiert aber niemanden.« Stahlbau kann heute nur mit Angabe zur Schweißbarkeit auf den Markt gebracht werden. »Was bringt die Angabe der Schweißbarkeit dem Marktteilnehmer? Nichts«, so der Stahlbauverband. »Die Schweißzusatz- und Elektrodenhersteller haben lange darum gerungen, relevante Eigenschaften wie die Zugfestigkeit in die Kennzeichnung einzubringen. Ohne Erfolg – angegeben wird nun die völlig nutzlos chemische Zusammensetzung der Elektrode.« Das System gehe in der Praxis völlig an der Realität vorbei. Der Kommission genüge es scheinbar, ein geschlossenes Rechtssystem entwickelt zu haben. Der ÖSTV-Chef kritisiert auch die Trägheit des EU-Systems. »Nach drei Monaten kann man mit einer völlig nichtssagenden Antwort aus Brüssel rechnen«, berichtet er aus eigener Erfahrung.
Foto: Beeindruckendes Beispiel einer Stahllösung von Haslinger Stahlbau: Das wellenförmige Stahldach überspannt die Inselbahnsteige des Grazer Hauptbahnhofes.
Versuche einer Erweiterung der Kriterien und Normenverweise sind erfolglos. Die Kommission hält zusätzliche Qualitätseigenschaften bzw. Produktanforderungen in europäischen Normen für rechtswidrig. 2015 wurden von Deutschland Einwände gegen sechs unvollständig harmonisierte Normen vorgebracht, um bestehende Lücken zu schließen. Jene zu Holzfußböden und Sportböden wurden seitens der EU-Kommission zurückgewiesen. Dagegen hat Deutschland Klage erhoben, denn die Hersteller sind nicht mehr verpflichtet, einen Nachweis über die Emissionen ihrer Bodenbeläge zu geben. Matzner: »Es darf auch keine Normenverweise mehr geben. Wie soll eine Revision der EN 1090-1 ohne Verweise aussehen, wie werden Audits erstellt?« Künftig kann vielleicht nach Lust und Laune produziert werden, Hauptsache man hat eine Leistungserklärung wie die Angabe zur Schweißbarkeit und fertig.
In Frankreich und Italien wird ein anderer Weg gegangen. Dafür braucht es aber laut ÖSTV Mut. »Die Bauproduktenverordnung verneint für bestimmte Produkte die Notwendigkeit einer CE-Kennzeichnung, die beiden Länder nutzen das.« Angeblich überlegt die Kommission eine Reform der Bauproduktenverordnung. »Es stellt sich die Frage, ob und wann das erfolgt«, stellt Matzner nicht sehr überzeugt fest.
Stahl und Studenten
Wenn der Stundenplan permanent Statik vorgibt, ist es schwierig, Schüler für Stahlbau zu begeistern. Statik ist notwendig, sollte aber laut Matzner erst an zweiter Stelle kommen. Der Schwerpunkt muss darauf liegen, zu zeigen, was mit Stahl möglich ist. Daher gibt es die Stahlbautage des ÖSTV, ab Herbst 2017 auch an der HTL Villach. Interesse muss auch verstärkt bei Architekten geweckt werden.
Über fehlende Begeisterung nicht beklagen können sich die österreichischen technischen Universitäten. Beim Stahlbautag in Graz präsentierten die drei TUs einen Auszug aus ihren Projekten. Univ.-Prof. Gerhard Lener von der Leopold-Franzens-Universität in Innsbruck berichtete etwa über ein Life-Cycle-Management-Tool für Eisenbahnbrücken, Messungen und Simulationen zum dynamischen Verhalten von Brücken bei Zugsüberfahrten und Ermüdungsfestigkeit mittels Methoden der Schädigungsmechanik sowie Windeinwirkung auf Bauwerke mittels CFD. Univ.-Prof. Harald Unterweger, TU Graz, erwähnte Brückendynamik bei Hochgeschwindigkeitszügen, Ermüdungsnachweise bei Brücken, Stabstabilität und Ertüchtigung alter orthotroper Fahrbahnplatten mit UHPC, Beton auf Epoxidharzschicht. Univ.-Prof. Josef Fink von der TU Wien referierte über Arbeiten rund um die SCSC-Platte, Steel – Concrete – Steel – Composite, Schotteroberbaumodelle und DynDi, Dynamische Diagnose von Eisenbahnbrücken bei Zugüberfahrt.