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Devise Eigenheim

Devise Eigenheim

Das Leben in der Finanzmetropole Mailand war Thema der heurigen Studienreise des Vereins für Wohnbauförderung. Der Bau & Immobilien Report war Anfang Oktober mit dabei und hat architektonisch extravagante Wohnhausanlagen im CityLife wie auch Projekte der Fondazione Housing Sociale besichtigt.

Mailand hat sich in den letzten Jahrzehnten von einer Industrieregion zum wichtigsten Finanz- und Wirtschaftszentrum Italiens entwickelt. Dieser ökonomische Strukturwandel zeigt sich in einer sehr dynamischen städtebaulichen Transformation. Ehemalige Industriehallen wi­chen neuen Wohngebäuden, Büroflächen, Universitäten und öffentlichen Grünanlagen. Wesentlich vorangetrieben wurde die jüngste Stadtentwicklung durch die EXPO 2015 – zahlreiche italienische und internationale Stararchitekten haben innovative Projekte entworfen, die heute das Stadtbild prägen.

VIP & Non-VIP

Gebaut wurde und wird viel, aber vor allem im hochpreisigen Segment. Wer genauer hinsieht, erkennt aber auch Bescheidenheit im Luxus. »Kleine Wohnbau­elemente schaffen einen Dialog zwischen VIP und Non-VIP, einen Dialog zwischen zwei Realitäten«, betont Architektin Katia Accossato, die durch die Mailänder Quartiere führt. Der Wohnsektor kommt dennoch zu kurz. »In Italien fehlen gesamt 2,5 Millionen Wohnungen, davon mindestens 600.000 soziale Wohnungen«, berichtet Markus Sturm, Obmann des vwbf. In der Nachkriegszeit bildete die Wohnungsnot die oberste politische Agenda. Wohnungsfonds wurden geschaffen, Wohnbaujahrespläne entwickelt.

Der gesättigte Wohnungsmarkt in den 1980er-Jahren hat zur Auflösung der Fonds geführt, Immobilienpreise stiegen. Mittlerweile spricht nicht nur Mailand, sondern ganz Italien von der Emergenza Casa, der akuten Wohnungsnot. Bei der Stadtführung berichtet Katia Accossato über Quadratmeterpreise von 8.000 bis 10.000 Euro in Wohnungsanlagen wie CityLife-Areal und Porta Nuova. Für die weniger finanzkräftige Bevölkerung herrscht akuter Wohnungsmangel. In den letzten Jahren wurden von öffentlichen italienischen Wohnungsunternehmen nur durchschnittlich 6.000 Wohnungen pro Jahr errichtet, das entspricht etwa fünf Prozent der gesamten Bautätigkeit und kann den Wohnungsbedarf nicht einmal im Ansatz decken.

In Österreich beträgt die Neubauleistung der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft jährlich 15.000 Wohnungen. 60 Prozent davon werden gefördert errichtet. Wohnbauförderung allein ist aber laut Markus Sturm kein Garant für leistbares Wohnen. »Wohnen wird auch bei uns immer teurer. Die Baukosten steigen durch in den letzten Jahren zunehmende Bauvorschriften. Im freifinanzierten Wohnbau sind ökologisch geringere Vorschriften als im geförderten Sektor zu berücksichtigen.« Auch das Normenwesen trägt zu den ausufernden Wohnkosten bei. Man könne sparen, ohne dass die Qualität leidet. Angesprochen auf das Normenwesen fordert Karl Wurm, Obmann des österreichischen Verbands  gemeinnütziger Bauvereinigungen GBV, eine längere Frist der Normwerdung. Es sei legitim, dass die Industrie eine Norm fordert und forciert. Aber nicht alles müsse sofort in einer Norm enden.

Finanzloch

Aufgrund steigender Arbeitslosenzahlen, sinkender Einkommen und der restriktiveren Kreditvergabepolitik der Banken können sich immer weniger italienische Haushalte eigene vier Wände leisten, die Wohnkostenbelastung steigt. Laut Eurostat liegt der Wohnungsaufwand aufgrund des Preisanstiegs heute um gut ein Drittel höher als vor zehn Jahren. Vor allem für junge Italiener hat das fehlende Angebot an leistbarem Wohnraum gravierende Auswirkungen. Etwa zwei Drittel der Italiener im Alter zwischen 18 und 34 Jahren leben noch bei den Eltern. »Italien ist zudem ein Eigentumsmarkt«, berichtet Karl Wurm. 72 Prozent der Italiener besitzen ein Eigenheim, Anfang der 1970er-Jahre lag die Quote noch bei 51 Prozent. Österreich verfügt über einen relativ ausgewogenen Wohnungsmarkt: 58 Prozent des Bestandes sind Eigentums-, 42 Prozent gewerbliche und private Mietwohnungen.

Entscheidend für den Anteil des sozialen Wohnbaus ist auch die Finanzierung. In Italien liegt die Stadtentwicklung und der Wohnbau in den Händen von Privaten und Fonds. »Das passt mit dem System der Gemeinnützigkeit nicht zusammen«, zeigt Karl Wurm auf. Das Porta-Nuova-Viertel wurde etwa von der Immobiliengruppe Hines Italia und dem US-Pensionsfonds TIAA Cref entwickelt. In die Immobiliengruppe haben sich zuletzt verstärkt ausländische Finanz­investoren eingekauft, etwa die arabische Fondsgemeinschaft Qatar. Das ist laut Karl Wurm ein europäischer Trend. Bei Wohnen fehle die Sensibilität. »Die Wasserversorgung in Händen eines arabischen Fonds kann sich keiner vorstellen.« Großstädte wie Wien leiden zwar auch unter budgetären Problemen, die Stadtentwicklung und der Wohnbau erfolgt aber nicht über private Investoren.

Sozial voran

Mit rund 900.000 gemeinnützigen und kommunalen Mietwohnungen, 24 Prozent vom gesamten Wohnungsbestand, kommt dem sozialen Wohnbau in Österreich ein hoher Stellenwert zu. In Italien spielt der soziale Wohnbau mit nur vier Prozent am Wohnungsbestand eine untergeordnete Rolle, wobei Sozialwohnungen bisher nur für Notsituationen gedacht waren. Nur allmählich kommt der Neubau kostengünstiger Wohnungen in Gang. 2014 wurde in Italien ein 1,7 Mrd. Euro umfassendes Wohnbauprogramm beschlossen, das auch die Förderung des sozialen und öffentlichen Wohnungsbaus vorsieht. Eine Facette davon ist die Einführung einer Mietkaufoption, laut der die Mieter nach sieben Jahren die Möglichkeit haben, ihre Wohnungen zu kaufen. Giordana Ferri berichtet dazu von der Fondazione Housing Sociale, einer gemeinnützigen Stiftung, die 20.000 soziale Wohnungen zur Verfügung stellt.

»Grundgedanke ist immer ein intensives Sozialleben der Mieter.« Die BewohnerInnen bilden einen Verein und bewirtschaften die Gebäude selbst. Zehn Prozent der Gebäudefläche sind Gemeinschaftsräume. Ein Projekt der Fondazione Housing Sociale ist das Wohnprojekt in der Via Cenni, das seit zwei Jahren besteht. Grund und Boden des Areals gehören der Gemeinde Mailand, daher konnten günstige Konditionen angeboten werden. Die vier neungeschoßigen Gebäude umfassen 124 Miet- und Mietkauf-Wohnungen. Das Gebäude ist in Holz-Massivbauweise mit großflächigen Brettsperrholzelementen errichtet.

Karl Wurm: »Das Projekt Via Cenni ist sehr zu begrüßen. Es  hat einen starken Fokus auf sozialen Aspekten, wodurchder gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt wird.« Franco Zinna von der Gemeinde Mailand berichtete vom Projekt Contratti di Quartiere, einer Quartiersaufwertung mit einem Wohnungsangebot für die unterschiedlichen sozialen Lebenslagen der Bevölkerung. Innerhalb des 4.000 Wohnungen zählenden Bestandes sollen abgestufte Sozialmieten für eine soziale Durchmischung sorgen.


Hintergrund

Werden in Italien Grundstücke über 15.000 m² in Bauland umgewidmet, müssen 50 Prozent für den sozialen Wohnbau zur Verfügung gestellt werden. Das grenzt an Kommunismus, meinen einige. Diesen Prozess gibt es aber auch in Österreich: In Innsbruck und Salzburg gilt bei Umwidmungen von Grün- in Bauland eine zivilrechtliche Vereinbarung, wonach 75 Prozent dem geförderten Mietwohnbau zur Verfügung gestellt werden müssen. Der Eigentümer kann laut vwbf die Sozialwohnungen auch selbst bauen – die Kosten schrecken jedoch ab.

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