Menu
A+ A A-
Warnung
  • JUser: :_load: Fehler beim Laden des Benutzers mit der ID: 68

Giftfallen

Ein Asbest-Skandal und US-Sammelklagen haben den Feuerfest-Konzern RHI fast in den Untergang getrieben. Jetzt kämpft der Baustoffhersteller Knauf mit der US-Justiz. Das Unternehmen hat fragwürdige Trockenbauwände »Made in China« verkauft.

Die Manager des amerikanischen Chemieunternehmen Union Carbide waren richtige Sparefrohs. Gespart wurde allerdings am falschen Ort – und mit fataler Wirkung. 1927 war das Unternehmen an einem Tunnelbauprojekt in West Virginia beteiligt. Staubmasken gab es nur für das Management. In der Folge starben mehrere tausend Bauarbeiter – diese mussten anders als die Chefs ungeschützt arbeiten – an Lungenkrankenheiten. Einen industriellen Supergau produzierte Union Carbide im indischen Bhopal. Auch dort wurde mit eiserner Hand gespart. Der lokale Markt für Pestizide war gerade rückläufig, das Management reagierte mit Personal­einsparungen, drückte die Materialkosten für die Wartung und verlängerte die Wartungsintervalle. 1984 entwichen schließlich Tonnen hochgiftiger Chemikalien in die Atmosphäre. Über die Opferzahlen wird gestritten. Alleine die ersten Tage nach der Katastrophe forderten Tausende Todesopfer, die Schätzungen pendeln je nach Interessenlage zwischen 3.800 und 25.000. Eine halbe Million Inder leiden an teilweise dramatischen Spätfolgen. Lange gestritten wurde auch vor dem indischen Gericht. Erst vor wenigen Tagen – ein gutes Vierteljahrhundert nach der Katastrophe - wurden Anfang Juni acht ehemals leitende Manager wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Nicht nur das Strafmaß hielt sich mit zwei Jahren Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe von 1.800 Euro in Grenzen. Ein richtiges Schnäppchen war das Urteil auch für das indische Nachfolgeunternehmen von Union Carbide, das mit einer Strafzahlung von 8.700 Euro davonkam. Der Konzern selbst – mittlerweile eine Tochter von Dow Chemical – kaufte sich gegen Verzicht auf Strafverfolgung schon 1989 für 470 Millionen Dollar frei. Der ehemalige Konzernboss Warren Anderson gilt in Indien bis heute als flüchtig, die USA lehnten zahlreiche Auslieferungsbegehren ab. Weniger zimperlich zeigen sich die USA, wenn es um die Aufarbeitung von Giftskandalen im eigenen Land geht (siehe Kasten). Vor allem die berüchtigten Sammelklagen können richtig teuer werden und selbst Weltkonzerne an den Rand des Ruins treiben.

Faule Eier
Nach den spektakulären Klagen gegen den Feuerfesthersteller RHI Anfang des Jahrzehnts gerät jetzt mit dem deutschen Baustoffhersteller Knauf erneut ein europäischer Konzern ins Visier der US-Justiz. Die chinesische Tochterfirma Knauf Plasterboard Tianjin (KPT) ver­kaufte in Amerika Gipskartonwände, die sich bei vielen Häuslbauern als »Stinkbomben« entpuppten. Durch das Entweichen schwefeliger Gase entsteht der wenig anheimelnde Geruch von faulen Eiern. Zusätzlich entstehen durch die Gase schwefelige Säuren, die Korrosionsprobleme verursachen können. Angegriffen wird vor allem Kupfer, was zu Schäden in der elektrischen Verkabelung oder zu Ausfällen von Klimaanlagen oder Fernsehern führen kann. Vor rund einem Jahr berichteten amerikanische Medien erstmals über Klagen von Hausbesitzern und Bauunternehmen. Welche finanziellen Dimensionen das Gips-Debakel für Knauf haben könnte, ist schwer auszumachen. Die offizielle Informationslage ist dürr. Knauf bestätigt gegenüber dem Report jedoch einige Fakten. So wird Ende Juni in Louisiana eine Sammelklage verhandelt, an der sich Hausbesitzer verschiedener US-Bundesstaaten beteiligen. Über die Höhe der zu erwartenden Schadenersatzforderungen macht Knauf keine Angaben.
Um Peanuts dürfte es sich freilich nicht handeln. Erst kürzlich schloss KPT mit dem in Florida ansässigen Bauunternehmen »Beazer Homes« einen Vergleich ab, der den Konzern 800.000 Dollar kostete. Derzeit laufen weitere Vergleichsverhandlungen mit verschiedenen Unternehmen, wie der Konzern bestätigt. Die Bedenken gegen die fragwürdigen Gipsplatten will Knauf durch »Kooperation mit Hausbesitzern, Bauunternehmen, Regulatoren und Gerichten« einer Lösung zuführen. Ob der Wille zur Kooperation und das Bemühen um individuelle Vergleichsverhandlungen ausreichen wird, um einen juristischen Flächenbrand zu verhindern, bleibt abzuwarten. Beschwerden über die Gips­platten verzeichnet KPT nach eigenen Angaben vor allem in Louisiana, Florida und Virginia. US-Anwälte – in Fällen wie diesen wittern sie das große Geschäft und stürzen sich wie Piranhas auf ihr Opfer – streben aber auch in Alabama oder Ohio Sammelklagen an.

Melkkuh Knauf
Ironischerweise wurde für Knauf ausgerechnet ein markttechnischer Glücksfall zum Verhängnis. Ab 2005 konnte die Produktion der heimischen US-Baumaterialhersteller kaum mehr mit der Nachfrage mithalten. Der Bauboom war am Höhepunkt, die Zerstörungen durch Wirbelstürme Katrina und Wilma heizten den Markt noch zusätzlich an. 2006 schlug dann die Stunde der KPT. Zehn Monate lang bediente die chinesische Knauf-Tochter, ausgehend von Florida, den gesamten US-Markt mit Trockenbauwänden. Das »faule Osterei« dürfte in einer chinesischen Gipsmine gelegt worden sein, die als Zulieferer Ende 2006 – als die ersten Beschwerden auftauchten – von Knauf gecancelt wurde. Die amerikanischen Konsumentenschützer von »America’s Watchdog« taxieren die Zahl der betroffenen Hausbesitzer auf etwa 100.000, möglicherweise aber auch mehr. Zwischen 2004 und 2008 wurden geschätzte 250.000 Tonnen chinesischer »Giftgips« importiert. Genug, um im schlimmsten Fall sogar 300.000 bis 400.000 Eigenheime zu kontaminieren.
Wenn in US-Medien vom »Chinese Drywall«-Skandal die Rede ist, wird dieser zumeist mit Knauf verknüpft. Dass die Deutschen so prominent zum Handkuss kommen, dürfte aber sachlich nicht gerechtfertigt sein. Auch wenn sich Knauf über Mengendetails ausschweigt, der Zeitraum der Lieferungen lässt darauf schließen, dass KPT nur einen kleineren Teil des stinkenden Importgipses gestellt hat. Für die US-Anwälte ist Knauf natürlich ein Glücksfall: nicht nur juristisch greifbar, sondern eine finanziell außerordentlich potente Melkkuh noch dazu. Der »Chinese-Drywall«-Skandal hat längst auch politische Dimensionen. America’s Watchdog bombardiert Senatoren und möchte sogar Barack Obama nach Florida zwingen, um dort die Schäden persönlich in Augenschein zu nehmen. Wenn der »amerikanische Traum der Hausbesitzer« – so nennt das America’s Watchdog – durch Stinkegips gefährdet ist oder gar der Fernseher ausfällt, ist Schluss mit lustig. Gegeißelt werden etwa die laxen Qualitäts- und Kontrollmechanismen »der Chinesen«. Das hat schon was – aber ob sich Obama deswegen mit China anlegen wird? Vorerst werden die Deutschen gemolken. Die sind bekanntlich willige Zahlmeister.

 

Made in USA: Spektakuläre Fälle

- Der Bauboom und die Wirbelstürme Katrina und Wilma sorgten in den US-Südstaaten ab 2005 zu einer derart hohen Nachfrage an Trockenbauwänden, dass US-Firmen mit der Produktion nicht schritthalten konnten. Eine Lücke, die die chinesische Knauf-Tochter KPT füllte. Deren Wände entpuppten sich jedoch als »Stinkbomben«, die nach faulen Eiern riechen. Ob die Wände auch giftig sind, wird die Justiz klären. Eine Sammelklage läuft in Louisiana, wie weit sich hier Betroffene etwa aus Florida, Alabama oder Virginia anschließen, ist noch abzuwarten. Nach unbestätigten Meldungen könnten bis zu 100.000 amerikanische Häuslbauer betroffen sein.

- So schön hatte sich McDonald’s das ausgedacht: Millionen Kinder quengeln so lange, bis Mami und Papi endlich entnervt aufgeben und diesen Trinkbecher mit dem giftgrünen Animationshelden »Shrek« besorgen. Jetzt musste der Fastfoodriese 12 Millionen seit Mitte Mai in den USA verkaufte Shrek-Becher zurückrufen. Die Aufschrift enthielt das hoch giftige und krebserregende Schwermetall Cadmium. Österreichische Eltern können übrigens beruhigt sein: Zwar läuft auch hierzulande eine »Shrek-Promo«, Giftbecher kamen jedoch nicht in Umlauf.

- Bausünden aus der Vergangenheit« brachten beinahe den österreichischen Vorzeigekonzern RHI zu Fall. Der Weltmarktführer im Feuerfestbereich werkte eine halbe Ewigkeit erfolgreich vor sich hin. Vor bald zehn Jahren tauchten erste Gerüchte über Asbestbelastungen aus grauer Vorzeit auf, kurz später stand der Konzern dank US-Sammelklagen bereits haarscharf am Abgrund. Oder schon knapp dahinter. Die Krisenmanager Eduard Zehetner und Helmut Draxler behielten die Übersicht, Finanzierer wie etwa RZB-Vorstand Karl Sevelda die Nerven. Das Ergebnis: Statt pleite ist RHI ist nach wie vor Weltmarktführer.

back to top