Menu
A+ A A-

Nüchterne Betrachtung

Kürzlich behauptete der bei der Europäischen Kommission für »Software Technologies« verantwortliche Jesús Villasante, die Open-Source-Community wäre vor allem ein Zulieferer für amerikanische Multis.

Prompt ging ein Rumpeln durch die Szene. Die einschlägigen Online-Diskussionsforen waren voll mit entrüsteten Beiträgen, wilden Wirtschaftstheorien und einem noch höheren Maß an Firmen-Bashing als üblich. Kein Wunder, denn niemand lässt sich freiwillig in die Rolle des nützlichen Idioten drängen. Wer die damit verbundene Kränkung aber weglässt, erkennt schnell: Natürlich hat Villasante damit Recht, dass viele Open-Source-Entwicklungen von und für große IT-Multis passieren. Warum sollten Firmen wie IBM nicht auf Open-Source zurückgreifen, wenn sie damit den Endkundenpreis senken und dennoch ihre Umsätze halten können? Und warum sollten diese Firmen nicht auch bei ihren eigenen Open-Source-Entwicklungen vor allem Probleme ihrer zahlenden Kunden lösen? Alles andere wäre doch grober wirtschaftlicher Unfug. Wenn man dann auch noch ein wenig Unabhängigkeit vom größten Softwarehaus der Welt bekommt, ist es schon verständlich, warum Einfluss und Sog der großen IT-Unternehmen so stark sind.

Einen Schritt weiter. Leider dreht sich die Diskussion um das Für und Wider von Open-Source immer wieder um Fragen, die wenig relevant sind. Eines der »dirty little secrets« von Open-Source und (meiner Meinung nach) ein Quell der geringen Frustrationsschwelle mancher Open-Source-Proponenten lautet nämlich: Die meisten erfolgreichen Open-Source-Projekte sind einfach nicht innovativ. Das können sie auch nicht sein, denn in vielen dieser Projekte wird eine erfolgreiche kommerzielle Software (-kategorie) Feature für Feature nachgebaut. Die Innovationen kommen, unter anderem motiviert durch den kostenlos erhältlichen Klon, von den kommerziellen Anbietern, welche dadurch ihre Wertschöpfung halten möchten. Erfolgreiche neue Softwarekategorien enstehen (ganz im Sinne Schumpeters) ebenfalls meist als (patentrechtlich) geschütztes System.Fazit: Open-Source treibt die Weiterentwicklung kommerzieller Software voran. Und wenn sie selbst erfolgreich ist, dann zwingt sie den Markt auch noch zu einer Standardisierung der vormals proprietären Dateiformate, wodurch wiederum der Markt der (kommerziellen) Third-Party-Anbieter gefördert wird. Das mag für die vielen Idealisten furchtbar und frustrierend sein, ist aber bei nüchterner Betrachtung die große Chance und Aufgabe von Open-Source. In jedem funktionierenden wirtschaftlichen ökosystem benötigt man Kräfte, welche die negativen Auswüchse der reinen Marktwirtschaft im Sinne eines größeren Ganzen regulieren. Früher hatte der Staat diese Aufgabe. In der Softwareindustrie sind wir bereits einen Schritt weiter auf der Evolutionsleiter und regeln das selbst - durch Open-Source. Die EU wäre deshalb gut beraten, die Entwicklung von Open-Source zu fördern. Nicht, um damit der US-Industrie Paroli zu bieten (das müssen wir Europäer anders lösen), sondern um sich von einer staatlichen Aufgabe zu entlasten.

back to top