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Homo ludens

\"StolzeComputerspiele sind längst nicht mehr nur für Kids: Mit dem Einzug von Smartphones, Tablets und ­Social Web in unseren Alltag gewinnen Spiele auf Millionen Endgeräten täglich an Publikum. Der unaufhaltsame Aufstieg des jungen Mediums ist ein Milliardengeschäft.

Es ist schlecht für die Augen, verführt und verdirbt die Jugend und ist meilenweit davon entfernt, mit Kunst und Kultur im selben Atemzug genannt zu werden. Nein, die Rede ist nicht von Computerspielen: So oder so ähnlich lauteten vor über hundert Jahren die Vorurteile gegenüber einem anderen damals jungen Medium – dem Film. Den schwarzen Peter hat inzwischen aber schon das nächste suspekte Medium erhalten: Computerspiele haben es trotz weltweitem Massenerfolg nicht leicht, ernstgenommen zu werden – zu Unrecht.

Im August 2008 machte es zumindest die EU-Kommission offiziell: Computer- und Videospiele sind Kulturgüter, in deren Erhaltung und Förderung auch öffentliche Mittel fließen sollen. Das elektronische Spiel ist im Lauf seiner schon 50-jährigen Geschichte von zwielichtigen Automatenspielhallen zuerst in Form von Spielkonsolen in die Wohnzimmer und in Form von PCs in die Büros gewandert; in den letzten Jahren ist der elektronische Zeitvertreib durch den Siegeszug von Smartphones, Tablets und Social-Media noch näher an den Menschen herangerückt.  So gut wie jeder unter 30-Jährige ist mit Computerspielen aufgewachsen, und zunehmend finden auch ältere Semester nichts dabei, hin und wieder ein Spielchen zu wagen. 

>> Casual Games für alle <<

Ein Grund für die steigende Popularität von Games ist auch in der neuen Zugänglichkeit zu suchen. Während vor gar nicht langer Zeit viel Einsatz nötig war, um Handbücher, Eingabegeräte oder komplexe Spielprinzipien zu studieren, eroberte in den letzten Jahren ein weltweiter Trend die Spielewelt: Casual Games sind kleine, täuschend einfache Spiele, die sich auf die Schnelle oder auch zwischendurch spielen lassen. In Verbindung mit Smartphones und Tablets, die inzwischen mehr Rechenpower aufweisen als die vorletzte Generation hochspezialisierter Spielkonsolen, haben Casual Games die Spieleindustrie auf den Kopf gestellt. Von schnellen Sudoku- oder Puzzlespielen über Physik-basierte Geschicklichkeitsspiele bis hin zu Autorenn- oder Sportspielen sind fast alle Spielgenres inzwischen in einsteigerfreundlichen Zwischendurchvarianten auch auf die tragbaren Hosentaschencomputer gewandert.

Natürlich gibt es sie noch, die von riesigen Spielekonzernen wie Nintendo oder Electronic Arts entwickelten Triple-A-Titel mit Budgets in der Höhe von Hollywood-Blockbustern, die nur auf Konsolen oder schnellen PCs spielbar sind und um die 50 Euro kosten. Doch der Markt der Casual Games funktioniert anders: Viele Titel sind gratis und finanzieren sich über Werbung oder Mikrotransaktionen – und die erfolgreichsten von ihnen verbreiten sich im Social Web wie ein Lauffeuer und ziehen Millionen Nutzer in ihren Bann, die in ihrem Leben nie zuvor ein Computerspiel gespielt haben. Facebook weiß das: 40 Prozent der Zeit, die User auf den Seiten des Social-Web-Giganten verbringen, werden inzwischen mit Spielen verbracht.

>> Geschäft mit Psychologie <<

Das bekannteste Beispiel ist »Farmville«, eine Echtzeit-Bauernhof-Simulation im niedlichen Comic-Stil. Zu seinen besten Zeiten Mitte 2010 spielten unglaubliche 80 Millionen Facebook-User das simple Browsergame; insgesamt sind über 200 Millionen Spieler in den knapp 50 verschiedenen Titeln der »Farmville«-Macher Zynga registriert. Obwohl Farmville und seine unzähligen Nachfolger selbst gratis spielbar sind, generiert das Spiel durch clevere Psychologie Umsätze in Rekordhöhe.

Tatsächlich werden Social Games wie »Farmville« und Co von hochspezialisierten Teams aus Psychologen, Marktforschern und Mathematikern konsequent auf Monetisierung designt. Die simplen Mechanismen aus anfänglicher Belohnung und zunehmender absichtlicher Frustration lassen in Verbindung mit der durch die sozialen Netze gegebenen leichten und vom Spieldesign geförderten Massenverbreitung die Kassen klingeln. Durch Mikrotransaktionen im Spiel lassen sich Wartezeiten verkürzen oder virtuelle Gegenstände erwerben – das Freemium-Modell, bei dem die Grundvariante gratis ist, für Premiumdienste aber bezahlt wird. Virtuelles Kleinvieh, das gehörig Mist macht: Zynga hat nach einem Börsengang Ende 2011 einen Marktwert von unglaublichen 8,9 Milliarden Dollar.

>> Verspielte Welt <<

Aber auch abseits dieser sinistren Giganten der Arbeitszeitvernichtung blüht die Games-Szene. Während Film- und Musikindustrie regelmäßig durch lautes Wehklagen auf sich aufmerksam machen, blüht auch das klassische Games-Big-Business und schreibt Jahr für Jahr Milliardengewinne. An den Verkaufsstartswochenenden von großen Spielen traut sich kaum ein Hollywoodblockbuster in die Premierenkinos – der Aufstieg des neuen Mediums schlägt sich somit auch in den Verlusten der weniger interaktiven Unterhaltungsindustrie nieder.

2013 werden die großen Konsolenhersteller mit der nächsten Generation ihrer Spielkonsolen auf den Markt drängen, und dank Downloadplattformen wie Steam und einer riesigen Independent-Szene ist auch der gute, alte Windows-PC als Spielgerät attraktiv und lukrativ wie nie zuvor. Und auch die Spieler selbst sind inzwischen selbstbewusst geworden: Durch Kickstarter-Funding, die durch Hunderttausende Freiwillige geteilte Finanzierung, gönnt die Games-Community vielen ihrer Helden Finanzspritzen in Millionenhöhe, damit diese alte Klassiker neu aufleben lassen oder ambitionierte Traumprojekte verwirklichen können – und finanziert somit Produkte, die an den riesigen Marketingabteilungen des klassischen Geschäftsleben unbemerkt vorübergegangen sind.

Das 21. Jahrhundert, so scheint es, wird demnach das Jahrhundert des Computerspiels werden. Eigentlich kein Wunder, denn der Mensch ist, so wie der Kulturwissenschaftler Johan Huizinga schon 1938 bemerkte, nicht nur Homo sapiens, sondern in seiner ganzen Kultur vor allem auch Homo ludens – der verspielte Mensch. Und nie ließ sich dieser Spieltrieb so einfach ausleben wie heute: Dank moderner Technologie passen tausende Spielzeuge in jede Westentasche.


>> Spiele für die Westentasche:

> Bus verpasst? Stundenlange Wartezeiten am Flughafen? Mit diesen Spielen vertreiben Sie sich mühelos am Smartphone oder Tablet die Langeweile.

> Angry Birds: Mit Vögeln physikalisch korrekt auf Schweine schießen – klingt bizarr, ist aber eine der spaßigsten Games-Ideen seit Jahren. (Android, iOS)
> Tiny Tower: Wer baut den höchsten Wolkenkratzer? Vorsicht: Die Freemium-Simulation im Knuddel-Look macht süchtig und lebt von Mikrotransaktionen. (iOS)
> Draw Something: Der Überraschungshit des Jahres 2012 lässt Sie Begriffe malen und erraten. Der Hersteller wurde übrigens soeben um 180 Mio. Dollar verkauft – an Zynga. (Android, iOS)
> Bejeweled: Juwelen in Dreiergruppen zusammenzupuzzlen ist der Klassiker des meditativen Zeitvertreibs – in hunderten Varianten bewies das »Match-3«-Spielprinzip seine Zeitlosigkeit.
> Infinity Blade: Wer wissen will, welche Grafikpower in seinem iPad steckt, ist mit diesem Fantasy-Action-Schlacht­epos bestens bedient: Eye Candy für Tablet-Krieger. (iOS)

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