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Die Chinesen kommen

Für Jin Wang, Marketingvorstand des Hightechunternehmens Huawei Technologies, ist der europäische Markt keine besondere Sache. »Ihr Europäer solltet keinen Unterschied machen, ob nun ein amerikanisches oder ein chinesisches Unternehmen als Mitbewerber auftritt«, plädiert der Manager für ein globales Selbstverständnis in der Begegnung mit neuen Marktteilnehmern. Es sind Konzerne wie Lenovo, der IBM die traditionelle Computersparte abgekauft hat, oder der Netzwerkausrüster Huawei, die für eine neue Welle am asiatischen Markt sorgen. Waren bislang vornehmlich Japan und die Tigerstaaten Südostasiens für rasantes Wirtschaftswachstum und Hochtechnologieprodukte berühmt-berüchtigt, ist nun China ein potenter Neuzugang. Die größte Volkswirtschaft der Welt ist auf dem besten Weg, sämtlichen bekannten Wirtschaftsräumen den Rang abzulaufen. Das bevölkerungsreichste Land der Erde hat mit seinen 1,3 Milliarden Bürgern nicht nur mehr Einwohner als die Europäische Union und Afrika zusammen - es hat sich auch vom Image des Billiglohnproduzenten emanzipiert. Was zählt sind nun Kapital, Investitionen im Ausland sowie Topkonzerne, die, geprüft vom riesigen Binnenmarkt, ihr Glück nun bei den alten Kolonialherren suchen. Wenngleich Glück etwas für Träumer ist: »Unser Land verfügt über mehr als hundert Universitäten, konzentriert Forschung und Entwicklung multinationaler Konzerne und ist anderen in manchen Technologiebereichen um Jahre voraus«, rechnet Wang vor.

Unterschätzte Wirtschaft. Unternehmen wie Huawei ist die westliche Marktwirtschaft alles andere als fremd. Oftmals bereits in den Achtzigerjahren gegründet, haben die vielerorts ausschließlich privat geführten Konzerne reichlich Markterfahrung in den einschlägigen Wirtschaftszonen sammeln können, die in genügend großer Entfernung von der Zentralregierung in Peking liegen.

Regionen wie die Provinz Shandong, die an der Ostküste Chinas liegt, sind so etwas wie der Wachstumsmotor des Riesenreichs. Deren größte Stadt, Qingdao, ist nicht nur für sein Bier bekannt, das als Relikt einer ehemals deutschen Kolonialstrategie geblieben ist. Sie ist auch Sitz zahlreicher Unternehmen, die nicht nur im eigenen Land sondern international keinen Stein auf dem anderen lassen. Eines dieser Unternehmen ist Haier, weltweit viertgrößter Hersteller von Haushaltsgeräten. Die absolute Marktführung hat das 12-Milliarden-Dollar-Unternehmen im Bereich Klimaanlagen. Kein anderer Konzern produziert und exportiert vergleichbare Zahlen in der Klimatechnik. Haier gibt sich zu Recht unbescheiden: Man setzt auf einen einheitlichen globalen Brand und darauf, die weltweite Nummer eins in Sachen »weißer Ware« zu werden. Wer denkt, das Unternehmen baue auf seine Heimat als Billiglohnland, irrt. über dreißig Fabriken besitzt der Konzern in Ländern wie den USA, Italien und im Mittleren Osten. »Wir wollen nahe am Kunden sein«, heißt es aus der Zentrale in Qingdao.Ein wesentlicher Fehler im Umgang mit der Wirtschaftsregion China sei, Orte und Regionen in einen Topf zu werfen, sagen Asienexperten. Die Städte an der Küste sollten nicht mit dem teils noch völlig unerschlossenen Hinterland verwechselt werden. In Peking werden völlig andere Suppen gekocht als in Metropolen wie Shanghai. Shenzhen etwa wurde innerhalb zwanzig Jahren als moderne Hightechstadt aus dem Boden gestampft. Wo früher Reisfelder waren, befindet sich heute eine mit Hongkong konkurrierende Großstadt. Außerhalb Hongkongs ist es die chinesische Stadt mit dem größten Pro-Kopf-Einkommen.

»China ist das Beschaffungs- und Produktionszentrum der Welt geworden«, weiß Stefan Höffinger, Vice-President und Asienexperte bei der Beratungsfirma A.T. Kearney. An Wirtschaftsgröße wurde vor kurzem die Europalokomotive Deutschland überholt, die Chinesen sind bereits in der Top-5-Liga der größten Wirtschaftsräume zu finden. Mittlerweile werden die Top drei angepeilt. Das Reich der Mitte ist heuer zu den fünf größten Autoproduzenten der Welt vorgestoßen. Das modernste VW-Produktionswerk für das Passat-Modell steht in Shanghai. Die Handyproduktion wiederum lebt vom eigenen Absatzmarkt. Von 1998 an wurde die landesweite Produktion bis 2004 von acht auf 160 Millionen Stück erhöht. Und China ist zu einem Zentrum für F&E-Aktivitäten geworden. Der Bereich Forschung und Entwicklung zog im Jahr 2000 noch 35 Entwicklungscenter internationaler Konzerne an. Zwei Jahre später waren es bereits hundert. Firmen wie Oracle, Motorola, Nokia, JVC, Microsoft oder Panasonic setzen auf einen Riesenpool an willigen Forschern. Stefan Höffinger, der vor einigen Jahren als Talentscout von Roland Berger in Ostasien unterwegs war, erinnert sich an den »Hunger nach Wissen, den die Studenten in China haben«. Nach einem Vortrag an der renommierten Fudan-Universität in Shanghai wäre er »von einer Traube begeisterter junger Leute« umgeben gewesen. Ein frappanter Unterschied zu dem gedämpften Interesse, das normalerweise bei Studenten in den EU-Staaten zu finden sei.

Kaderkapitalismus. Die Großkonzerne Chinas sind nun aufgebrochen, um ihrerseits Marktanteile am Hightechmarkt zu gewinnen. Dass dies in der Branche nicht so gern gesehen ist, ist klar. So mancher Branchenplayer in Europa ortet eine drohende Gefahr der Verstrickung von Wirtschaft und nationalen Interessen der Chinesen. Da ist gar von einem »Kaderkapitalismus« die Rede: Wirtschaftlich erfolgreich sind meist Unternehmer mit guten Beziehungen zu den Mächtigen. Doch widerlegen Unternehmen wie Huawei diese These: Nachdem dem Konzern schon von der mächtigen France Telecom das Mandat erteilt wurde, halb Frankreich für eine Modernisierung des Festnetzes umzugraben, hat Huawei ebenfalls den Etat des milliardenschweren Netzwerkprogramms »21st-Century-Network« der British Telecom gewonnen. Prompt kündigte daraufhin der britische, im Bieterverfahren unterlegene Netzwerkausrüster Marconi eine umfangreiche Neuorganisation seiner Unternehmensstruktur an. Gerüchten zufolge steht nun eine übernahme durch Huawei ins Haus. Es gibt auch andere Märkte, in denen chinesische Unternehmen den Westlern das Fürchten lehren: Der Automobilhersteller Nanjing Automobile hat den im April in Bankrott gegangenen britischen Traditionskonzern Rover übernommen. Und die Mineralölgesellschaft China National Offshore Oil Corporation gab eben erst medienwirksam im Bieterwettstreit um den amerikanischen ölkonzern Unocal w.o. Grund für die Rückzugsentscheidung sei der »beispiellose politische Widerstand« in den Vereinigten Staaten gewesen, teilten die Chinesen mit.

Angriff auf Europa. Und es geht weiter im neuen Wettbewerb mit den Europäern. Der chinesische börsennotierte Telekomausrüster ZTE greift nun Branchengrößen wie Siemens, Ericsson, Alcatel oder Nokia auch in Deutschland an. ZTE werden gute Karten in der Ausschreibung für den deutschen Blaulichtfunk bescheinigt. »Wir sind jung und lernfähig. Wir werden unsere Marktanteile auf jeden Fall bekommen«, erklärt ZTE-Manager Haifeng Ling. Europäische Unternehmen wie Siemens hätten in China Zehntausende Mitarbeiter - da müsse es auch erlaubt sein, dass chinesische Unternehmen den Wettbewerb in Europa beleben.

Auch wenn man sich vordergründig nicht über den Preis definieren möchte, sind Produkte und Dienstleistungen made in China in der Regel markant günstiger als ihre Pendants aus Hochpreisregionen wie der EU. Huawei-Manager Wang übt sich in freundlicher Zurückhaltung, »wir nehmen niemandem Marktanteile weg, sondern arbeiten gemeinsam an der Vergrößerung des Kuchens«. Angst vor dem Fremden bringe keinem etwas, so Wang. Zudem seien die Europäer und Chinesen gar nicht so verschieden, beobachtet der Marketingexperte, der seit Jahren in Schweden lebt. »Tief im Inneren sind wir sehr ähnlich. Lediglich Ausdruck und Emotionen werden verschieden gezeigt.« Das chinesische Volk sei »sehr offen und technologieaffin«. Sobald aber ein Unternehmen aus dem Reich in Europa die Zelte aufschlägt, müsse es ohnehin wie eine hiesige Firma geführt werden. »Hier in Schweden ist Huawei ein schwedisches Unternehmen nach schwedischem Gesetz.« Arbeitspolitische Wunder, die normalerweise in Europa nicht möglich wären, werden damit ausgeschlossen. Dies möchte auch Huawei nicht: »Wir konzentrieren uns auf die lokalen Märkte in den einzelnen Staaten«, sagt Wang. Nicht die neue Konkurrenz würde die Preise bestimmen, sondern der Zugang zu neuen Technologien und Produkten. Auch in China wird mit Wasser gekocht: Die wirklich Großen haben internationale Wirtschaftsprüfer wie PriceWaterhouseCoopers und KPMG an Bord. Die Art, wie Business in China stattfindet, ist mittlerweile internationaler Natur.

Europäer: Nicht verstecken! Bei aller Flexibilität und Aufgeschlossenheit, die chinesische Unternehmen den Europäern voraus haben, ortet Stefan Höffinger für die Alte Welt auch Chancen im Kampf um Weltmarktanteile. »Der chinesische Arbeitsmarkt ist zwar sehr flexibel, die Loyalität zum jeweiligen Unternehmen hält sich aber in Grenzen.« Diese sei vielmehr in den Beziehungen zur eigenen Familie und den Clans ausgeprägt. Firmen, die sich mit dem Reich der Mitte beschäftigen, sollten aus diesem Grund ihre Hausaufgaben gewissenhaft erledigen. Zwar sei kurzfristig oft vieles möglich, so Höffinger. über einen längeren Zeitraum hingegen zähle aber Kontinuität und Stabilität - Attribute, die China erst beweisen muss. Zudem könne bei der Produktivität, die viele Chinesen an den Tag legen, noch einiges verbessert werden. Fazit: Im Vergleich mit dem europäischen Arbeitsmarkt sieht die Welt dann wieder ganz anders aus. Ob dieser Vorteil auch auf Unternehmungen in Europa selbst ummünzbar ist, bleibt fraglich. Hierorts kommt einer der Vorteile, die asiatische Konzerne gegenüber den Europäern haben, schwer zu tragen: Service. Der Dienstleistungsgedanke sei im Fernen Osten weitaus ausgeprägter vorhanden, hat Höffinger beobachtet. Schon aus diesem Grund sollte sich Europa auf eine stärker werdende Konkurrenz einstellen.

»Die Chinesen sind wirtschaftlich sehr begabt«, ist ein gängiges Vorurteil, das sich bewahrheitet hat. China dürfe man nicht unterschätzen, so der A.T. Kearney-Experte. Eines aber sollte man ebenfalls nicht vergessen: Allein der Wirtschaftsraum um Tokyo, der rund dreißig Prozent der japanischen Wirtschaft ausmacht, ist derzeit größer als der Gesamtmarkt Chinas und wird auch in den nächsten Jahren nicht so schnell die kapitalistische Vorherrschaft in der Region aufgeben. Dennoch: Zukünftig wird vom ostasiatischen »Powerhouse« Japan-China-Korea die Rede sein. Auch wenn die derzeit noch stark zerklüftete Wirtschaftsregion Indien zunehmend an Bedeutung gewinnt. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

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