Menu
A+ A A-

Brückenbahnhof

Wer den Bahnhof Tullnerfeld (Nö) sucht, sollte sich vorab schlau machen. In der Nähe von Judenau mitten im Grünland erfolgt die Gleisanbindung erst in ein paar Jahren, wenn die Strecke Wien-St. Pölten in Betrieb geht. Bautechnisch ist der als Regional- und überholbahnhof konzipierte Bau eigentlich eine Brücke, der Bahnhof liegt unter den Gleisen. Auf dem Weg dahin können die Fahrgäste in zwei Tunnelröhren mit jeweils 62 Metern noch einkaufen und die Sichtbetonwände begutachten, die gerade im Entstehen sind.
Mit den unverkleideten Stützen des Tragwerks eröffnet sich Schalungsspezialisten, Betontechnologen und der ausführenden Arge Ast und Wolff Müller ein breites Betätigungsfeld. Sie sind nämlich gewölbt und extrem stark bewehrt, um später auf acht massiven 33 Meter langen Tragwerken die Hochleistungszüge zu tragen. Nach mehreren Versuchsstützen wurde klar, dass Normalbeton nicht zielführend ist. Seit selbst verdichtender Beton eingesetzt wird, ist man guter Dinge. Fast, denn jede Stütze, deren Sichtbild von der Referenzstütze abweicht, kann Opfer des Abbruchshammers werden. Passt der Sichtbeton nicht, gehen also flott 30.000 Euro den Bach hinunter. So viel kostet es, eine Stütze neu zu schalen, zu bewehren und zu betonieren. Kosmetik im Nachhinein, also Nachbearbeitung der Oberflächen ist nicht erlaubt.
Da insgesamt 52 Stützenprofile in gleich bleibend konstanter Betonoberflächenqualität (inklusive Schraubenbild) errichtet werden müssen, stehen die Chancen für Betonlieferanten nicht schlecht mehrmals zum Zug zu kommen. Erschwerend für die Baufirma kommt hinzu, dass keine Stütze einer anderen gleicht und eine spezielle Nagelplattenkonstruktion und eine eigens dafür vorgewölbte Schalplatte erfordert, die im Werk des Schalungsherstellers Mewa in Haiterbach (Deutschland) gefertigt und per Lkw angeliefert wird. Lediglich die Höhe von 3,40 Metern ist konstant, die Breiten variieren zwischen 50 Zentimetern und 4,7 Metern. Der Grund dafür liegt in der Planung des Bauwerks. Die Fußgängerröhren zu den Gleisen verjüngen sich ausgehend vom Bahnhofseingang.
Der Aufwand um die Stützen des Pendlerbahnhofs Tullnerfeld ist also erheblich. Auf die Gesamterrichtungskosten der Neubaustrecke Wien-St. Pölten wird der Sichtbeton dennoch wenig Einfluss aus-üben. Die unterliegen schon naturgemäß einer gewissen Dynamik. Noch im Februar 2003 ging man bei der HL-AG von 1,1 Milliarden Euro aus. Die aktuelle Kostenschätzung des zur Infrastruktur Bau AG gewordenen Unternehmens beläuft sich schon auf 1,3 Milliarden - auf Preisbasis 2004. Der Rohbau des Bahnhofs Tullnerfeld kostet 4,3 Millionen. Erheblich mehr ins Gewicht fallen werden vermutlich die Aufwendungen für Lärmschutz entlang der Neubaustrecke. Die im Freiland verlaufenden Geleise werden über weite Bereiche hin auf einem Damm liegen, was entsprechend höhere Lärmschutzwände bedingt.
Zusatzwaggon
Die öBB neu sind auf Schiene, die Dienstleistungsqualität hinkt noch ein paar Jahrzehnte nach. Freitag, 29. Juli, knapp vor 16 Uhr, Wiener Westbahnhof. Der internationale Reisezug Budapest-München fährt auf Bahnsteig 7 ein. Hunderte Reisende mit viel Gepäck drängen sich ins Zuginnere. Es hat 34 Grad, alle Reisenden schwitzen und wissen, dass es nicht für alle Sitzplätze gibt. Rund zehn Minuten später kommt die scheinbar erlösende Durchsage: »Am vorderen Ende des Zuges wurden zwei Waggone zusätzlich angehängt, es ist genug Platz. Wir werden mit einer kleinen Verspätung abfahren.« Zwanzig Minuten später verlässt der Zug schließlich den Bahnhof. »Die zwei Zusatzwagen haben wir dem Huber zu verdanken, weil ein Kollege ihn bekniet hat«, erklärt später ein sichtlich genervter öBB-Bediensteter. Ist das eigentlich für solche Angelegenheiten zuständige mittlere Management schon auf Urlaub? Nach kurzer Fahrzeit versagt die Klimaanlage im neuen Waggon. Das Abteil wird zur glühenden Sauna und die Reisenden beginnen zu sinnieren. »Früher habe ich noch Briefe und Mails geschrieben, habe aber aufgehört, weil man ja doch nur Blablaantworten bekommt«, erzählt eine regelmäßig Bahnreisende. »So schlimm hatte ich das nicht in Erinnerung«, meint eine Reisende, die länger nicht mehr Zug gefahren ist. »In der früh im Doppelstockwagen ist es immer eiskalt und jetzt am Nachmittag extrem heiß«, weiß eine Pendlerin über die öBB-eigenen Klimazonen.
Kurz vor Linz gelingt es dem Zugchef, die Klimaanlage wieder in Betrieb zu nehmen. Der schnelle Anschlusszug ist wegen der Verspätung längst abgefahren. Die Alternative: ein Regionalzug, bei dem der Schaffner noch höchstpersönlich den Bahnsteig entlanggeht und alle Türen schließt. So, als wären die letzten dreißig Jahre spurlos an der Bahn vorübergegangen. Zeitgemäß ist nur der Preis: 34,80 für knapp 300 Kilometer.
back to top