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Ad ACTA

\"BereitsNach jahrelangen Geheimverhandlungen steht das umstrittene Handelsabkommen ACTA knapp vor der weltweiten Ratifizierung – oder vor dem Aus.

Das Anti-Counterfeiting Trade Agreement, kurz ACTA, bewegt die Gemüter. Auf dem Papier soll das Abkommen »Produktpiraterie« und Markenfälschungen sowie etwa den Handel mit gefälschten Medikamenten eindämmen; in der Praxis, so warnen seit Jahren Bürgerrechtsorganisationen, würde die Einführung des bürokratischen Regelwerks drastische Eingriffe in bestehende Bürgerrechte bringen und vor allem auf das Internet abzielen. An den Geheimverhandlungen von Anfang an beteiligt waren Lobbyisten und Großkonzerne, unter anderem Vertreter der Pharmabranche, Gentechnikriese Monsanto sowie die finanzstarken Rechteverwerter der Film- und Musikindustrie. Außen vor blieben Vertreter der Zivilgesellschaft oder Experten für Bürgerrechte.

Diese Art der Hinterzimmerpolitik stößt in Zeiten weltweiter Vernetzung auf Empörung und Widerstand. In den vergangenen Wochen demonstrierten hunderttausende Europäer trotz sibirischer Temperaturen gegen das unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgehandelte Abkommen, über zwei Millionen User haben europaweit bislang dagegen unterschrieben. Analog zu den erfolgreichen Protesten gegen die nationalen US-Gesetzesvorlagen PIPA und SOPA, die ebenso auf eine Einschränkung der Rechte im Netz und Netzzensur gerichtet waren, zeigten in ganz Europa Netzbürger ihren Unwillen. Unter dem Eindruck dieser doch vehementen Opposition haben bislang Polen, Tschechien, die Slowakei, Lettland, Slowenien, Bulgarien und die Niederlande die Ratifizierung bis auf Weiteres gestoppt; die slowenische Botschafterin in Japan entschuldigte sich sogar in der Öffentlichkeit dafür, »aus Unwissenheit« bei der großen Erweiterungsrunde in Tokio ihre Unterschrift auf das ACTA-Vertragsdokument gesetzt zu haben. Auch in Deutschland wurde die Ratifizierung vorerst ausgesetzt.

Seit 2008 wird an dem Vertragswerk unter höchster Geheimhaltung gearbeitet, und nach dem Willen der Initiatoren sollte die Öffentlichkeit am besten wohl erst nach einem weltweiten Inkrafttreten bemerken, was mit dem umfangreichen Regelwerk auf sie zukommen würde. Diese höchst undemokratische Vorgehensweise und der zugleich brisante Inhalt bewegte im Januar den sozialdemokratischen Europaparlamentarier Kader Arif (Frankreich) dazu, unter Protest von seiner Position als Berichterstatter des Europäischen Parlaments zum Thema ACTA zurückzutreten; in einem Interview mit der französischen Zeitschrift Numerama machte er seinem Ärger Luft: »Von Anfang an geschoben« sei der Prozess, »eine Maskerade«, bei der er in Hinblick auf die Rechte und Befürchtungen der europäischen Bevölkerung nicht weiter mitmachen wolle.

Der Protest kommt spät: Buchstäblich in letzter Sekunde mobilisiert sich nun der öffentliche Widerstand. Rund um Weihnachten war ACTA in einer nichtöffentlichen Sitzung überraschend im EU-Agrar- und Fischereirat (!) beraten und beschlossen worden, die Vertragsunterzeichnung mit großem Zeremoniell Ende Jänner in Tokio war eine Formalität, und die Ratifizierung in den nationalen Parlamenten ebenso: Brav wurde ACTA noch vor dem Einsetzen der großen Proteste in den meisten Staaten abgenickt und durchgewinkt – so auch in Österreich. Hierzulande bekommt die geheimniskrämerische Scharade noch eine typisch austriakisch tragikomische Note, denn angesichts der Proteste scheint sich hierzulande hinterher dafür niemand so richtig zuständig zu fühlen: Auf mediale Nachfrage der Futurezone wurde die Verantwortung für die ACTA-Verhandlung zwischen Bundeskanzleramt, Wirtschafts-, Außen-, Justiz-, Finanz und Innenministerium hin und her geschoben; auch das im Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie angesiedelte Patentamt wurde als verantwortlich genannt. Gewesen will es keiner sein – ACTA wurde also im Parlament abgenickt, ohne dass jemand zuständig war. Dass die Nationalratsmitglieder das Regelwerk, das sie mit ihrer Stimme in Gesetzesform gegossen haben, gelesen oder gar verstanden hätten, wird angesichts dieses Eiertanzes wohl ohnehin niemand ernsthaft annehmen. Immerhin melden nun, nach Aufbranden der Proteste, auch heimische Parlamentarier ihre Zweifel an ACTA an.

Über alles Weitere entschieden wird – angesichts österreichischer »Kompetenz« wohl: zum Glück – in Strassburg. Anfang Juni, spätestens im September muss nämlich auch das europäische Parlament sein Votum zu ACTA abgeben – und die Chancen stehen gut, dass die Skeptiker hier die Oberhand behalten. Sollte ACTA scheitern, wäre dies ein deutliches Signal: Die Zeiten lobby-zentrierter Hinterzimmerpolitik nähern sich dem Ende.

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