»Die Attraktivität der Märkte ist ungebrochen«
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Stefan Bergsmann, Geschäftsführer der Consultingkanzlei Horváth & Partners, über den Lohnkostenvorteil, rechtliche Grauzonen und die Kunst der Balance in Osteuropa.
Stefan Bergsmann: Die Unternehmen sind sicher vorsichtiger geworden. In den Ostländern besteht aber nach wie vor für viele Branchen ein riesiger Nachholbedarf. Die Attraktivität der Märkte ist ungebrochen. Was sich durch die Krise definitiv geändert hat, sind das Risikomanagement und die Steuerung. Solange die Niederlassungen Wachstumsraten berichtet haben, die immer schön im zweistelligen Bereich lagen, hat man sich nicht so sehr eingemischt. Jetzt schaut man sehr genau auf die Detailentwicklung und hat auch die Reportings und Steuerungssysteme professionalisiert.
(+) plus: In den Nachbarländern Österreichs steigen die Lohnkosten kontinuierlich an. Bemerken Sie bereits eine Verlagerung der Niederlassungen weiter ostwärts, etwa nach Russland oder in die Ukraine?
Bergsmann: Die Lohnkosten steigen stärker als bei uns und werden irgendwann Westniveau erreichen. Das ist aber noch in weiter Ferne. Durch die Krise wurde dieser Aufholprozess ein Stück zurückgeworfen. Natürlich sind Weißrussland und die Ukraine noch deutlich günstiger. Aber wenn ein Standort einen guten Qualitätsstandard erreicht hat, wird sich eine Firma gut überlegen, ob sie wegen eines geringen Lohnkostenvorteils noch einmal 500 Kilometer weiter nach Osten geht.
Es bestehen auch große Unterschiede zwischen den Ballungsräumen und der Peripherie. Ein Standort direkt in Bratislava oder Bukarest wird sich sicher schneller an ein österreichisches Niveau angleichen. Aber auch in kleineren Städten machen ein, zwei große Investitionen mehr aus als die generelle Konvergenz auf Westniveau. In Cluj in Rumänien beispielsweise hat Nokia ein größeres Werk errichtet – die Löhne sind in der Region innerhalb weniger Monate gleich um zehn bis 15 Prozent gestiegen.
(+) plus: Ist die politische Stabilität ein Kriterium?
Bergsmann: Wenn ich Produkte innerhalb der EU liefere, ist ein Standort in einem Mitgliedstaat natürlich präferierte Wahl. Die politische Stabilität ist in den meisten Ostländern kein Problem. Man muss nicht befürchten, dass irgendwo eine Revolution ausbricht oder das ganze Regime in sich zusammenfällt. Die Schwierigkeit ist eher, dass wir in manchen Ländern, zum Beispiel in Rumänien, noch keine Rechtssicherheit vorfinden. Es gibt natürlich Gesetze, diese sind aber teilweise widersprüchlich. Man hängt etwa in Steuerfragen von der Interpretation der Behörden ab. Diese Grauzone ist für westliche Unternehmen doch ungewohnt.
(+) plus: Was ist beim Standortaufbau grundsätzlich zu beachten?
Bergsmann: Es muss in die Strategie des Unternehmens passen. Etliche Märkte sind inzwischen aufgeteilt. Der Osten ist ja nicht seit gestern offen, sondern seit 20 Jahren. Und viele Unternehmen waren auch schon vor der Öffnung aktiv. Für globale Produzenten ist es inzwischen interessanter, nach Asien zu gehen, aber auch dort ist der Zug vielfach schon abgefahren.
Bei der Standortanalyse arbeiten wir mit einem Kriterienkatalog. Die Verkehrsanbindung spielt eine größere Rolle, aber auch das Thema Sprachen. Was man außerdem beachten muss: Im Osten sind die Märkte kleiner. Langfristig werden nur jene bestehen, die aus diesen kleinräumigen Märkten Größenvorteile ziehen können. Wer in jedem Land eine voll ausgeprägte Niederlassung hat und keine Synergien zwischen den Standorten nutzen kann, wird nicht erfolgreich sein.
(+) plus: Unterscheiden sich die Länder und Märkte nicht stark?
Bergsmann: Sie unterscheiden sich schon. Die Unternehmen standardisieren ihr Produkt- und Serviceportfolio aber sehr stark, weil es sonst einfach nicht profitabel wäre. Die Länder haben eigene Kulturen, Gesetze, Sprachen, Bürokratie. Diese Komplexität zu managen ist die eigentliche Herausforderung.
(+) plus: Wie geht man aber mit lokalen Besonderheiten um? Angeblich sind etwa Fensterputzmittel in Tschechien praktisch unverkäuflich, weil die Hausfrauen dort auf Essigwasser schwören.
Bergsmann: Manchmal muss man für ein spezielles Produkt eine Sonderlösung anbieten. Aber der Großteil der Produkte und Services wird schon mehr und mehr angeglichen. Ich würde wetten, dass spätestens in zehn Jahren auch die tschechische Putzfrau mit Fensterreinigern arbeitet, weil sie die in der Werbung ständig sieht.
Es ist wichtig, die richtige Balance zwischen Standardisierung und lokaler Differenzierung zu finden: Wie stark kann ich standardisieren, damit ich profitabel und effizient bin – und wo muss ich lokale Schwerpunkte setzen, um nicht aus dem Markt zu fallen?
(+) plus: Wie sollte die Niederlassung dann gesteuert werden?
Bergsmann: Üblicherweise berichten die lokalen Manager direkt an das CEE-Headquarter oder an die Zentrale im Westen. Wenn Sie in zehn bis 20 Ländern vertreten sind, wird das bald zu aufwändig. Deshalb ist die Bildung von Ländergruppen, sogenannten Regional Hubs, ein sehr gutes Modell.
Die Entscheidungsfreiheit dieser Regionsleiter ist recht groß. Die Niederlassungen bekommen Vorgaben, aber der Weg dorthin steht ihnen frei. Diese Leine wurde im Zuge der Krise nur ein wenig kürzer. Das Geschäftsportfolio ist jetzt einheitlicher strukturiert, die Kontrolle wurde etwas verstärkt – auch im Sinne des Risikomanagements. Wenn ich überall dieselben Produkte habe, kann ich das Risiko viel besser abschätzen. n